Werner Rügemer (Zusammenfassung aus dem neuen von Werner Rügemer herausgegebenen Buch „Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft“. transcript-Verlag, Bielefeld 2004, 250 Seiten, 21,90 Euro)
Der Berater-Staat
Wie McKinsey, Price Waterhouse Coopers und die globale Beraterbranche den Staat privatisieren
Wenn von Globalisierung und Privatisierung gesprochen wird, dann bleiben wesentliche Akteure meist ausgeblendet: Die Berater. Ich meine damit nicht die Politik- und Kommunikationsberater wie Hunzinger und die neue Berliner Beraterbranche, in der ehemalige Politiker, Unternehmensvorstände und Bild-Redakteure ein undurchsichtiges Netzwerk bilden. Gemeint ist eine weniger spektakulär, aber nachhaltiger arbeitende Branche: Unternehmensberater wie McKinsey, Wirtschaftsprüfer wie Price Waterhouse Coopers und Wirtschaftskanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer. Sie bilden eine global agierende Privatarmee von etwa einer Million hochbezahlter Profis.
Sie sitzen mittlerweile in den Bundesmi­nis­terien, in der Bundesagentur für Arbeit, in der Bundeswehr, in den Landesregierungen und Stadtverwaltungen, in Krankenhäusern und Kirchen. Doch die Öffentlichkeit scheint das immer noch nicht richtig zu bemerken. Wer sind die Berater? Warum werden sie, die jahrzehntelang Privatunternehmen auf Profit trimmten, nun auch vom Staat geholt? Sorgen sie für „ökonomische Effizienz“, für neue Arbeitsplätze und für die Entschuldung des Staates, wie sie und ihre neuen Auftraggeber versprechen?
Die marktbeherrschenden Beraterfirmen haben ihren Sitz meist in den USA. Hier erfuhr die Branche die Ausprägung, die heute global bestimmend ist. Man kann drei Gruppen unterscheiden: Die Unternehmensberater, die Wirtschaftsprüfer, die Wirtschaftsanwälte.
Die Unternehmensberater
Wie kein anderer Name steht McKinsey für die Unternehmensberater: 1926 gegründet, entwickelte die Beratertruppe, die heute mit 100.000 Mitarbeitern selbst einen globalen Konzern darstellt, die konsequentesten Methoden für einen aggressiven betrieblichen Kapitalismus. Das McKinsey-Konzept besagt: Mehr Gewinn mit weniger Personal. Der jeweilige Unternehmensvorstand will das ohnehin, aber als Empfehlung „unabhängiger“, externer Berater läßt es sich leichter durchsetzen.
McKinsey hat wesentlichen Anteil an der Herausbildung des typischen US-Unternehmensmodells, das auf der möglichst weitgehenden Externalisierung (Verlagerung nach außen) der Produktionskosten auf die „stakeholder“ beruht, also auf die Arbeiter und Angestellten, auf die Umwelt sowie auf die jeweiligen Standorte, die Kommunen und den Staat. Diese im Unternehmens-, Umwelt-, Steuer- und Arbeitsrecht abgesicherte Ab­wäl­zung von möglichst vielen Produktionskosten auf Dritte geht weiter als im bisherigen europäischen Kapitalismus.
Das trifft insbesondere die einfachen Beschäftigten, obwohl sie ja eigentlich zum Unternehmen gehören. „Das amerikanische Un­ter­nehmensrecht ignoriert die Arbeitnehmer. Aus seiner Sicht spielen sie in der Struktur des Unternehmens und bei seinen Rechtspflichten keine Rolle“, faßt der Jurist Lawrence Mitchell zusammen. Dagegen zielt McKinsey auf die Entfaltung und Steigerung der Motivation und der Privilegien des Managements. Deshalb gibt es nirgends sonst im entwickelten Kapitalismus solche Unterschiede zwischen den Einkommen und vor allem den betrieblichen Zusatzleis­tun­gen des Topmanagements einerseits und der Masse der Beschäftigten andererseits wie im typischen US-Unternehmen.
Das Elitebewußtsein, das im beratenen Management erzeugt werden soll, wird auch im eigenen Haus gezüchtet. Man holt sich die besten Absolventen der Eliteuniversitäten. Die Anfangsgehälter beginnen bei 90.000 Dollar im ersten Jahr und steigen schnell an. Sie werden durch Prämien für besonders erfolgreiche Auftragserledigung aufgebessert. Mit dem Elitekult geht der Jugendkult einher: Das Durchschnittsalter der Berater ist 32 Jahre. So sehr das elitäre Image der McKinsey-Familie gepflegt wird, so gnadenlos wird auch entlassen: Als die Aufträge wegen des betrügerischen Konkurses der beratenen Firma Enron zurückgingen, forderte die McKinsey-Leitung 2000 Mitarbeiter auf, sofort auszuscheiden.
Den Durchbruch erlebte McKinsey in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als Gewerkschaften (wieder) stark wurden und der Staat mit dem New Deal soziale Reformen beförderte. McKinsey wurde von den Unternehmensvorständen zur Gegenwehr gegen die bis heute attackierten Standardfeinde‚ Wohlfahrtsstaat und Gewerkschaften, eingesetzt. Das blieb auch so nach dem Zweiten Weltkrieg. McKinsey hat langjährige Beraterverhältnisse mit 147 der 200 größten Unternehmen der Welt. Weitere Un­ter­nehmensberatungen wurden nach dem Muster McKinsey gegründet. Das Vorbild hält heute immer noch 40 Prozent des Welt-Unternehmensberatungsmarktes, danach kommen Booz Allen Hamilton und A.T.Kearney (eine Abspaltung von McKinsey). Die jüngeren Beratungsunternehmen, die in den 70er Jahren entstanden, Boston Consulting Group und Bain, haben Marktanteile von zwölf bzw. zehn Prozent.
Die Wirtschaftsprüfer
Die Wirtschaftsprüfer sind die Schriftgelehrten des Neoliberalismus. Sie interpretieren die hochkomplizierten Bilanzvorschriften, die sie selbst verfassen und passen sie an die Anforderungen der Unternehmensvorstände an.
Bilanzmanipulationen waren eine wesentliche Ursache des Börsencrashs und der Weltwirtschaftskrise 1929/33. Damit sich das nicht wiederholt, wurde in den USA die Buch- und Bilanzprüfung für alle börsennotierten Unternehmen und Banken zur gesetzlichen Pflicht. Die deshalb in den 30er Jahren eingerichtete staatliche Börsenaufsicht Security Exchange Commission (SEC) vergibt seitdem die Lizenz für die Wirtschaftsprüfungsunterneh­men, die im staatlichen Auftrag die Buch- und Bilanzprüfung durchführen.
Doch der gesetzliche Auftrag wird seit Jahrzehnten immer mehr unterlaufen. Deshalb kam es ja wieder zum „Platzen der Blase“ der New Economy. Wirtschaftsprüfer schützen das finanzielle Innenleben der ,geprüften’ Konzerne vor der Öffentlichkeit und dem Staat. Das Topmanagement von geprüften Unternehmen und Prüfern ist hochverfilzt: So stellte die SEC im Jahre 2000 beispielsweise fest, daß 1885 führende Mitarbeiter des Prüfungsunternehmens Price Waterhouse Coopers (PWC) Aktien der überprüften Unternehmen hielten und private Kredite von ihnen bezogen. Neben die Prüfung ist in immer größerem Umfang die Beratung getreten: Dreiviertel aller Wirtschaftsprüfer sind gleichzeitig Steuerberater. Sie sind zudem auch als Vermögensberater für Vorstandsmitglieder und Topmanager tätig.
Zur New Economy der 90er Jahre steuerten die US-Wirtschaftsprüfer die „kreative Buchführung“ bei. Dazu gehört die Möglichkeit, daß die Unternehmensausgaben für Aktienoptionspläne des Topmanagements und die Schulden ausgelagerter Briefkastenfirmen nicht bilanziert werden. Dazu gehört weiters die Möglichkeit, Vermögen und Zahlungsströme für mehrere Unternehmen und Eigentümer gleichzeitig zu nutzen. Ein Instrument der kreativen Buchführung sind die Special Purpose Vehicles (SPV), eine juristische Aufrüstung der alten Briefkastenfirmen.
In Deutschland wurden als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise 1929/33 die Wirtschaftsprüfer in ähnlicher Weise wie in den USA vom Staat mit hoheitlichen Aufgaben betraut. Die Prüfer stützen ihre Tätigkeit als Abschluß- und Bilanzprüfer auf die gesetzlich vorgeschriebene Publizitätspflicht der Kapitalgesellschaften. Dabei steht die ebenfalls gesetzlich vorgeschriebene Verschwiegenheitspflicht bezüglich der Betriebsgeheimnisse des geprüften Unternehmens über einer Mitteilungspflicht gegenüber dem Staat, auch bei möglichen Straftaten. Die geforderte Unabhängigkeit wird dadurch unterlaufen, daß die Prüfer vom geprüften Unternehmen beauftragt und bezahlt werden. Die Beauftragung für die Folgejahre hängt auch davon ab, wie gefällig sich die Wirtschaftsprüfer gegenüber dem Unternehmensvorstand erweisen.
Seit den 50er Jahren sind die US-Wirtschaftsprüfer auch in Deutschland präsent. Wie ihre Kollegen von McKinsey übernahmen sie die großen deutschen Unternehmen als Kunden. Price Waterhouse Coopers (PWC), KPMG, Ernst & Young und Deloitte „prüfen“ nicht nur alle DAX-Unternehmen, sondern auch die großen Staats- und Kommunalunternehmen.
Je nach Anweisung des Unternehmensvorstands können die Prüfer Bewertungen von Immobilien ins Gegenteil verkehren (z.B. bei Telekom und Berliner Bankgesellschaft), den Firmenwert variieren, den Bilanzgewinn nach den „Erwartungen“ des Vorstands ansetzen, die Aktienoptionen des Topmanagements nach dem „inneren Wert“ herunterspielen. Zwischen bilanziellen und außerbilanziellen Geschäften wird jongliert. Aus einem Eigentümer eines Wirtschaftsgutes können Wirtschaftsprüfer auch zwei oder drei Eigentümer machen, wie etwa beim Steuerkonstrukt Cross Border Leasing. KPMG zauberte beim Unternehmen Flowtex aus einem Bohrgerät mit Hilfe von zehn verschiedenen Briefkastenfirmen zehn Bohrgeräte.
Die Wirtschaftsprüfer sind aufgrund ihrer hoheitlichen Aufgabe so privilegiert, daß noch kein einziger in den Betrugsfällen wie Enron, Flowtex, Bremer Vulkan, Holzmann, Com­road usw. wegen Bilanzfälschung verurteilt wurde.
Anwaltskanzleien
Früher als im Rest der Welt haben sich in den USA Anwälte zu Großkanzleien zusammengetan, insbesondere im Bereich des Wirtschaftsrechts. Wie bei den Wirtschaftsprüfern, wurden die Anwälte der Unternehmen sehr bald auch deren Lobby. Die Kanzleien mit bis zu 3000 Anwälten sind selbst große Unternehmen, law firms. Sie sind mit Niederlassungen oder aufgekauften einheimischen Kanzleien in den wichtigsten Standorten aktiv, in Tokio und Peking ebenso wie in Mos­kau, Brüssel, Berlin, Frankfurt und Düsseldorf. Ausgehend von der Praxis in den USA vermischen sie ihre anwaltliche Tätigkeit mit Lobby, Public Relations, Steuerberatung und Treuhänderschaften.
Das 1995 in den USA verabschiedete und 1998 ergänzte Gesetz zur Kontrolle und Transparenz des Lobbyismus (Lobbying Dis­clo­sure Act) läßt den Anwaltskanzleien eine komfortable Lücke. Sie brauchen sich nicht als Lobby registrieren zu lassen, weil sie nur einen Teil ihrer Tätigkeit für Lobby aufwenden und nur einen Teil ihrer Honorare damit verdienen, auch wenn deren objektiver Umfang größer ist als bei manchen Voll-Lobbyisten. So sind große Wirtschaftskanzleien ein Inbegriff der politischen Verfilzung.
Darüber hinaus genießen sie ähnliche hoheitliche Privilegien wie die Wirtschaftsprüfer: Ein „opinion letter“, eine gutachterliche Stellungnahme für ein Unternehmen zu einem komplizierten Steuerkonstrukt, die dem Finanzamt vorgelegt wird, gilt als eine rechtswirksame Unbedenklichkeitsbescheinigung. Die Stellungnahme gilt als Ausweis der Gutgläubigkeit des Unternehmens (corporate good faith), das dann etwa für Bilanzfälschung oder Steuerhinterziehung nicht haftbar gemacht werden kann. Derartige hochdotierte Stellungnahmen wurden etwa auch bei solchen Steuerumgehungsmodellen eingesetzt, die sich später als rechtswidrig herausstellten.
Seit Anfang/Mitte der 90er Jahre breiten sich die großen US-Kanzleien in Europa aus. Sie gründen Niederlassungen wie etwa Allen & Overy, oder sie erweitern sich durch Aufkäufe europäischer Kanzleien, aus denen etwa in Deutschland neue Kanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer und Clifford Chance Pünder entstehen. Inzwischen haben sich auch deutsche Großkanzleien nach diesem Vorbild entwickelt. So vereinigen etwa Heuking Kühn & Partner und Rödl & Partner in ihren Kanzleien ebenfalls Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.
Die von staatlicher Aufsicht weitgehend befreite New Economy der 90er Jahre geht nicht zuletzt auf die Lobby der Beraterfirmen in Washington zurück. Sie gehören zu den großen Geldspendern der beiden US-Großparteien während der 90er Jahre. Schrittweise wurde die bis dahin in kapitalistischen Staaten einzigartige Börsenaufsicht entmachtet. Ebenso wurde die Anti-Trust-Gesetzgebung (Glass-Steagall-Act von 1933) weitgehend außer Kraft gesetzt. „Privatisierung“ wurde zum Programm. Dies prägt seit einem guten Jahrzehnt auch die Weltwirtschaft.
Im Jahre 2000 stand das Strom- und Gasunternehmen Enron in der Liste der US-Unternehmen an siebter Stelle. Der Vorstandsvorsitzende Kenneth Lay galt als nationale Leitfigur der New Economy. Er hatte vom Firmensitz in Houston/Texas aus den Aufstieg von George W. Bush zum Gouverneur gefördert und spielte für die Energie- und Finanzpolitik der Republikanischen Partei wie dann auch ab 2000 für die Regierung von Bush eine entscheidende Rolle. Unternehmensberater war McKinsey, Wirtschaftsprüfer war Arthur Andersen, die juristischen Berater kamen von der Wirtschaftskanzlei Vinson & Elkins.
McKinsey, seit 1987 ständig für Enron tätig, rühmte sich, bei Enron eine der weitestgehenden Innovationen der modernen Unter­neh­mensgeschichte umgesetzt zu haben: Enron ist „eines der innovativsten Unternehmen der Welt, indem es die traditionellen industriellen Strukturen angreift und atomisiert“, rühmte McKinsey noch im Jahr des Enron-Konkurses 2000. Seit 1990 wechselten zahlreiche McKinseyisten als Topmanager zum beratenen Unternehmen. Die Berater unterzogen die Enron-Beschäftigten zweimal jährlich einer Leistungsbeurteilung. Wer im oberen Drittel der jeweiligen Abteilung eingestuft wurde, erhielt Prämien, die 60 Prozent höher waren als für die Beschäftigten, die im mittleren Drittel landeten. Die Beschäftigten im unteren Drittel erhielten keine Prämien; der Hälfte von ihnen wurde das Ausscheiden nahegelegt. Die Beschäftigten mußten sich Teile ihres Lohns als Aktien auszahlen lassen, ebenfalls wurden sie gedrängt, ihre Alterssicherung in Enron-Aktien anzulegen. Gleichzeitig war es den gewöhnlichen Beschäftigten verboten, ihre Enron-Aktien zu verkaufen, während das Topmanagement seine Aktien vor dem Konkurs ohne Wissen der Belegschaft zu günstigen Werten veräußern konnte.
Der Enron-Skandal
Wirtschaftsprüfer bei Enron war das ehemals weltweit größte Unternehmen dieser Art, Arthur Andersen, ebenfalls seit 1986 bei Enron. Andersen agierte auch als Steuerberater. In dieser üblichen Doppelrolle richteten die Andersen-Leute Tausende Special Purpose Vehicles (SPV) in Finanzoasen ein und verwalteten sie durch ihre Niederlassungen auf den Cayman Islands und den Bermudas. SPV sind Briefkastenfirmen, in denen Enron-Manager den Geschäftsführer spielten und dafür zusätzliche Gehälter bezogen. Sie bestellten bei der Enron-Zentrale in Houston Gas und Strom, teilweise zur Lieferung zehn Jahre später. Diese fiktiven Bestellungen blähten den Auftragsbestand auf, so daß Umsatzsteigerungen verkündet und der Börsenwert laufend gesteigert werden konnte. In ähnlicher Weise, von Andersen entwickelt, kauften Tochtergesellschaften Leistungskapa­zi­tä­ten und verkauften sie anderen Tochtergesellschaften („capacity swaps“). So wurde unter anderem gezielt die kalifornische Stromkrise im Winter 2000 herbeigeführt: Das Stromangebot und die Leitungskapazität wurden künstlich verknappt, die Strompreise wurden von Enron in die Höhe getrieben.
Juristischer Berater von Enron war die Kanzlei Vinson & Elkins. Sie ist mit 860 Anwälten am Standort Houston, wo sich auch die Zentrale von Enron befindet, die größte in Texas. Wie McKinsey und Andersen war Vinson & Elkins seit Gründung von Enron ununterbrochen für das Unternehmen tätig. Gegenüber US-Behörden und Enron-Geschäftspartnern bescheinigten die Anwälte, daß Briefkastenfirmen von Enron unabhängig waren und es sich um reale Käufe und Verkäufe handelte. Darüber hinaus beriet Vinson & Elkins bei Privatisierungen und bei der Suche nach Staatsgarantien und –zuschüssen in den Staaten, wo Enron neue Gaskraftwerke baute. Wie bei den Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern wechselten auch juristische Berater von ihrer Kanzlei in hauptamtliche Funktionen des beratenen Unternehmens.
Als das Enron-Kartenhaus im Herbst 2001 zusammenbrach, wurden Tausende Beschäftigte um Arbeitsplätze und Pensionen gebracht, die einigen hundert Insider des Topmanagements dagegen hatten ihre Gewinne sicher. Nach der Ankündigung der Börsenaufsicht, Ermittlungen bei Enron aufzunehmen, begann Andersen mit der Vernichtung von Akten. Deswegen kamen einige Manager vor Gericht. Das Image war dahin, Andersen verlor seine Aufträge, löste sich auf, wurde teilweise von den Konkurrenten PWC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte aufgekauft, der Rest wurde innerhalb weniger Monate weltweit in „Accenture“ umbenannt. McKinsey und die Anwälte von Vinson & Elkins kamen ungeschoren davon.
Die Macht dieser Berater kommt zum einen von ihrer Größe: Deloitte Touche Tohmatsu hat weltweit 120.000 Beschäftigte, Ernst & Young 103.000, KPMG 99.000, Price Waterhouse Coopers 122.000, McKinsey 100.000, Accenture 75.000 usw. Sie haben intimste Kenntnisse der größten Unternehmen. Zum anderen treten sie als unabhängige Experten auf, hinter denen sich die Auftraggeber verstecken können. Schließlich können die Berater sich in einem fast rechtsfreien Raum bewegen, den sie aufgrund ihrer Privilegien und ihrer politischen Lobby selbst mitgestalten. Daran haben hastig verabschiedete Gesetze (z. B. Sarbanes-Oxley Act in den USA nach dem Enron-Konkurs) nichts geändert.
Einstieg in Deutschland gelang durch die Treuhand
Wie McKinsey, Price Waterhouse Coopers und die globale Beraterbranche den Staat privatisieren
Nachdem die Berater mit ihren rechtlichen Freiräumen seit Jahrzehnten die neoliberale Privatarmee der Konzerne waren, erschließen sie das neue Operationsgebiet Staat. Sie beeinflussen ihn nicht nur, wie es Lobbyisten tun, sondern sie gestalten ihn um. Mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan Anfang der 80er Jahre wurde die Privatisierung staatlicher Leistungen Programm. McKinsey, Price Waterhouse Coopers (PWC), Allen & Overy usw. finden in den USA hier mittlerweile ein Drittel ihrer Aufträge. So arbeitet etwa das Beratungsunternehmen Bearing Point daran, „staatliche Schlüsselgebiete“ nach den „Kriterien der Privatwirtschaft umzugestalten“. Dazu gehören nationale Sicherheit, Strafvollzug, Steuereinziehung, Einwanderung u.ä.
Der „Aufwand“ war gewaltig
Der Einstieg in Deutschland gelang den Beratern über die Treuhandhandanstalt. Sie sollte die Unternehmen der ehemaligen DDR privatisieren. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl berief in den vierköpfigen Lei­tungsausschuß – nach Rücksprache beim deutschen McKinsey-Imitator Roland Berger – je einen Vertreter von McKinsey, von KPMG und von Treuarbeit, einer deutschen Wirt­schaftsprüfergesellschaft. Später kam als fünfter Mann noch ein Berger-Vertreter hinzu, die Treuarbeit wurde von der US-Konkurrenz PWC aufgekauft.
Die Berater blieben den Unternehmen verpflichtet, die sie schon bisher beraten hatten. Sie wollten ehemalige DDR-Betriebe nicht erhalten, sondern an ihre bisherigen Auftraggeber verteilen, den Markt erobern und Konkurrenten ausschließen helfen. Berger formulierte das so: „Es war ein Fehler, die kleinen Läden jeden für sich zu privatisieren. Die hätte man gleich an Tengelmann & Co. verkaufen müssen.“ Der Beratungsaufwand in der Treuhand für „Tengelmann & Co.“ war gewaltig: Allein im Jahre 1992 kassierten die Beratungsfirmen zusammen 450 Millionen Mark.
Da konnte im Treuhandgesetz gerne stehen, daß „die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern“ sind: Die erste Empfehlung der Berater lautete, wie viele Beschäftigte zu entlassen seien. Die zweite Empfehlung zielte darauf, wie die Aufkäufer an möglichst hohe Staatszuschüsse kommen. Die dritte Empfehlung zielte auf einen möglichst niedrigen Kaufpreis: die symbolische eine Mark. Die Verpflichtungen, eine bestimmte Zahl von Arbeitsplätzen zu erhalten, wurden in der Regel nicht kontrolliert, und, wenn nicht eingehalten, nicht sanktioniert.
Der CDU-Parteifilz herrschte in der Treuhand so frei wie es vorher so großflächig nirgends möglich war. Der erste Treuhand-Präsident Rainer Gohlke wollte das ändern. Er forderte öffentliche Ausschreibungen; entscheidend sei, wer bei Verkäufen von DDR-Firmen am meisten zahle, weniger wichtig sei es, wer im CDU-Wirtschaftsrat sitze. Doch damit biß er bei den Vertretern der freien Marktwirtschaft auf Granit. Gohlke wurde abgelöst.
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt berichtete, wie er an einer Sitzung des Präsidiums der Treuhand teilnahm. Es ging bei der Deutschen Waggonbau (DWA) darum, wie der Standort Dessau in Sachsen-Anhalt behandelt wird. McKinsey hatte das Gutachten erstellt. Der Ministerpräsident durfte aber nicht einmal in das Gutachten hineinsehen. Die Verpflichtungen, die der geheimnisvolle Käufer „Advent“ einging, sollten geheimbleiben.
Die Bundesregierung gewährte den Beratern eine Arbeitsbedingung, unter der sie besonders gern arbeiten: Haftungsfreistellung. Gleichzeitig wurde die 1991 eingerichtete „Stabsstelle für besondere Aufgaben“, die insbesondere die Korruption verfolgen sollte, umgehend stillgestellt.
Beraterboom unter Schröder
Das Jahr 2001 markiert den großflächigen Einstieg der Berater auf der Bundesebene und in Westdeutschland. Im Juni stellte Ver­tei­di­gungsminister Scharping das Projekt „Bundeswehrreform“ vor, das vor allem aus der Privatisierung der Kasernen- und Grund­stücksverwaltung bestehen sollte. Im August legte das Verkehrsministerium unter Minister Kurt Bodewig das Konzept „Private Public Partnership“ vor, verfaßt von PWC und der Kanzlei Freshfields. Es ist als Handbuch nicht nur für den Bund gedacht, sondern auch für Bundesländer und Kommunen, die ihre Immobilien und Dienstleistungen an Privatunternehmen vergeben sollen.
Ob Bundeswehr, „Hartz-Kommission“, Autobahnmaut, überall wurden Berater engagiert. Es bleibt aber nicht bei der Beratung von Fall zu Fall. Vielmehr ergibt sich eine Dauerabhängigkeit. Als Daimler-Chrysler und Telekom ihre vertraglichen Leistungen bei Toll Collect nicht erbrachten, ging es um die Schadensersatzzahlungen an den Bund. Das Verkehrsministerium konnte jedoch den von den Beratern Freshfields verfaßten 18.000-Seiten-Vertrag nicht selbst interpretieren und vergab deshalb einen weiteren Beratervertrag, um Modalitäten und Höhe der Scha­dens­er­satz­forderung ermitteln zu lassen.
Für die wirtschaftspolitische Ausrichtung ebenso wie für die Täuschung des Publikums ist die Beauftragung des Beratungsunter­neh­mens Accenture aufschlußreich. Im Frühjahr 2004 wurde der Amtschef der neuge­grün­de­ten Bundesagentur für Arbeit, Florian Gerster, entlassen. Er hatte Beraterverträge ohne ordentliche Ausschreibung gedeckt. Doch der größte Berater mit den größten Aufträgen blieb ungeschoren: Accenture. Anfang 2003 erhielt Accenture den Auftrag, in der Bundesagentur den „Virtuellen Arbeitsmarkt“ (VAM) einzurichten, eine Internet-Jobbörse mit offenen Arbeitsstellen und Bewerbungsmög­lich­kei­ten. Der Auftrag wuchs unter der Hand von ursprünglich 35 auf 165 Millionen Euro.
Bei der öffentlichen Kritik trat Accenture völlig in den Hintergrund. Auch die Frage, wer Accenture ist und welchen Sinn der Auftrag hat, wurde nicht gestellt. Accenture hat sich mit „E-Government“ (elektronisches Verwalten) unbemerkt von der Öffentlichkeit in allen Ebenen des Staates festgekrallt. Durch Customer Relationship Management (CRM), so wird versprochen, können Behörden „ein ganzheitliches Bild ihrer Kunden erstellen“, CRM beruhe „auf umfassenden Informationen über Besonderheiten, Bedürfnisse und Präferenzen von Kunden“. Welche hilflose und zum Sparen verdonnerte Behörde greift dieses Versprechen leichter Bürgerbeherrschung nicht gern auf? So organisiert Accenture die Durchdringung und Steuerung des Bürgerverhaltens nicht nur in Eichels Finanzministerium, in der Deutschen Post, in der Zollverwaltung des Bundes, sondern auch in den Länderfinanzministerien von Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg ebenso wie in den Stadtverwaltungen von Köln und Erlangen.
Tarnkappenfirma Accenture
Das von Accenture verfolgte Ideal ist der Bürger, der nie persönlich im Arbeits- und Finanzamt, in der Ausländer- und Umweltbehörde vorspricht, sondern brav zu Hause bleibt, nur zeichenhaft und lautlos mit der digitalisierten Obrigkeit verkehrt und geduldig auf eine Antwort wartet. Die Voraussetzung zur Existenz als Bürger ist hier der Internetanschluß, der Aktionsraum des isolierten Individuums ist das technisch hochgerüstete, stille Kämmerlein.
Der Firmenname Accenture klingt modern, beliebig, harm- und geschichtslos. Niemand scheint zu wissen, wer dieser global player mit 75.000 Mitarbeitern in 47 Ländern eigentlich ist. Vor drei Jahren hatte das Unternehmen noch einen anderen Namen: Arthur Andersen. Als im Herbst 2000 die Betrügereien von Andersen für Enron bekannt wurden, konnte sich das Andersen nur durch das teuerste rebranding der bisherigen Geschichte retten: Innerhalb von zwei Monaten benannte man sich mit Hilfe eines Werbeaufwands von 175 Millionen US-Dollar weltweit in Accenture um. Der Hauptsitz wurde von Chicago auf die Bermudas verlegt, um den drohenden Gerichtsurteilen in den USA zu entgehen. Während Accenture mittlerweile in Ohio, New York und Texas wegen überzogener Rech­nungen in Verruf geraten ist – Monatsrechnungen mit 31 Arbeitstagen à 16 Stunden sind keine Seltenheit – und deshalb keine Staatsaufträge mehr bekommt, darf die Tarnkappenfirma in Deutschland ungehindert die Bundesagentur für Arbeit umbauen.
Dabei ist überhaupt die Frage, was der virtuelle Arbeitsmarkt bringt. Das irrsinnige Versprechen lautet: „Wir könnten sofort eine Arbeitslosigkeit von Null in Deutschland haben“, behaupten die Berater. Das hört die Bundesregierung gern und läßt sich das illusionäre Versprechen etwas kosten. Aber wo keine Arbeitsplätze sind, können auch keine vermittelt werden, auch nicht dadurch, daß die Arbeitslosen jeden Tag eine Bewerbung in den virtuellen Arbeitsmarkt schicken. Sicher, einige Arbeitslose können so leichter Arbeitsplätze finden, die sonst offen blieben, zumindest zeitweise. Aber die wesentlichen Ziele, die mit Hilfe von Accenture erreicht werden, sind andere: Die Kosten der Bundesagentur werden gesenkt, z. B. durch Personalabbau; die Arbeitslosen übernehmen selbst die „Ver­mitt­lungs­arbeit“; die Arbeitslosen werden rechtloser; die Chefs der Bundesagentur erhalten Gehälter, Erfolgsprämien und Dienstwagen (und Abfindungen) nach dem Vorbild von Aktiengesellschaften.
Berater machen sich nicht die Hände schmutzig an der Ausführung ihrer Empfehlungen. Sie entlassen niemanden persönlich, sie sehen keinem Opfer in die Augen. Sie treiben nicht die Gebühren und Mieten und Zinsen ein, die infolge von Privatisierungen steigen. Sie leben in einer abgeschotteten Welt, verbringen viele Stunden in Flugzeugen und Luxushotels.
Die Berater-„Kultur“
Berater sind nicht unabhängig. Sie sind abhängig vom Auftraggeber und vom nächsten und übernächsten Auftrag. Sie sind auch politisch nicht neutral. Die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young stellen mit Thomas Borstell ein Mitglied des Vorstands im CDU-Wirtschaftsrat. Ernst & Young testiert die Rechenschaftsberichte der CDU und wird immer dann als „unabhängiger Wirtschaftsprüfer“ zur erneuten Prüfung herangezogen, wenn es um die „schwarzen Kassen“ des ehemaligen Bundeskanzlers und CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl geht: Hier deckte Ernst & Young die Rückdatierung von Belegen, mit deren Überprüfung Ernst & Young dann erneut beauftragt wurde.
Auch in einer weiteren Hinsicht sind die Berater nicht neutral. McKinsey beriet Angela Merkels CDU für ihr Programm „Neue Soziale Marktwirtschaft“. Roland Berger engagiert sich als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Sie wurde vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründet und für die ersten fünf Jahre mit 50 Millionen Euro ausgestattet. Die Agenda 2010 ist für INSM erst ein Anfang, der Niedriglohnsektor soll weiter ausgebaut werden.
Beratungsfirmen nehmen gern ausgeschiedene Politiker auf, weil sie informelle Beziehungen schätzen: Forschungsminister Volker Hauff ging zu KPMG, ebenso Verkehrsminister Kurt Bodewig, nachdem er den Toll Collect-Vertrag unterschrieben hatte. Der SPD-Wahlkampfleiter Matthias Machnig ging zu Booz Allen Hamilton, Hannovers Oberstadtdirektor Siedler zu Berger, der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher zu WMP Eurocom usw.
Berater übernehmen gern Topfunktionen in den von ihnen beratenen Unternehmen. Das wird auch als Unternehmensberaterfilz oder Drehtürsystem bezeichnet: So kommen die Vorstandsvorsitzenden der Post AG, Klaus Zumwinkel, der Postbank AG, Wulf von Schimmelbusch, und der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Utz Claassen, von McKinsey. Sie lassen sich zusätzlich natürlich von McKinsey beraten. So beauftragte Claassen McKinsey, um das „Top Fit“-Programm zu entwerfen: Die Beschäftigten sollen auf Gehalt verzichten, möglichst viele sollen schon ab 52 Jahren vorzeitig in Rente gehen können – auf Staatskosten. Claassen will das ehemalige Staatsunternehmen EnBW an die Börse bringen und muß gleichzeitig an den neuen Hauptanteilseigner, Electricité de France (EdF), Gewinne abführen. Die Kumpanei zwischen Big Capital und Big Labour steht bei den Beratern besonders hoch im Kurs, wenn es damit gelingt, den Sozialkassen Kosten aufzubürden.
Die Propheten der freien Marktwirtschaft sind selbst die Verkörperung von In­trans­pa­renz und Vetternwirtschaft. Sie veröffentlichen keine Geschäftsberichte. Sie verheimlichen ihre Gewinne. Sie hassen öffentliche Ausschreibungen. Sie sind nicht nur intransparent, sondern sie organisieren auch für die Beratenen die Intransparenz. Sie erschließen ihnen die okkulte Parallelfinanz der globalen Finanzoasen und der unübersehbaren Geflechte von Briefkastenfirmen. Berater übernehmen keine Verantwortung. Ihre vertraglich vereinbarte Haftungsfreistellung läßt nur minimalen Schadenersatz zu, und auch dies nur bei „Vor­sätz­lich­keit“.
Mit den Beratern zieht eine Kultur der Geheimhaltung ein, die die bisherige Geheimniskrämerei der Behörden weit übertrifft. Sie machen die Geheimhaltung der mit ihnen geschlossenen Aufträge ebenso zur Bedingung wie die Geheimhaltung der von ihnen ver­faß­ten Privatisierungsverträge. Stadträte und Bun­destagsabgeordnete dürfen die Verträge nicht sehen, die sie beschließen sollen (z.B. Cross Border Leasing, Toll Collect).
Die Berater behaupten, der Staat müsse „schlank“ werden, müsse abgebaut werden. In Wirklichkeit sind sie nicht gegen den Staat, sondern nur gegen den Wohlfahrtsstaat. Sie sind für den starken Staat, der die Rechte der Eigentümer als oberste Maxime hat, die Beschäftigten bei geringem Rechte- und Lebensniveau ruhig halten und Kriege führen kann. Die hier charakterisierten Berater spielen eine wesentliche Rolle, daß die bisherigen „Volksparteien“ wie CDU und SPD in Deutschland sich von ihren Konzepten des sozialen Ausgleichs (auch wenn sie nie ganz ehrlich gemeint waren) verabschieden, die Politik insgesamt in Verruf bringen und die Demokratie aushöhlen.
Keine „Fehlberatung“ kann den Ruf der Berater ankratzen. Berger hatte im Auftrag des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder das Gefälligkeitsgutachten für die Expo 2000 erstellt und 40 Millionen Besucher vorausgesagt, die notwendig gewesen wären, um das Privatunternehmen Expo wirtschaftlich zu machen. Es kamen nur 20 Millionen, und das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik zahlen bis 2012 die Milliardenschulden ab – eigentlich hatten sie gerade durch das entlastet werden sollen.
Der Mythos von der Effizienz
Was aus gesamtwirtschaftlicher Sicht als Fehlkalkulation, Verschwendung von Steuergeldern und Täuschung der Steuerzahler zu bezeichnen ist, gilt aus der Sicht der Berater und Beratenen als Erfolg. Schröder überhäufte sowohl als Ministerpräsident von Niedersachsen wie als Bundeskanzler Roland Berger mit weiteren Aufträgen. Entscheidend sind die Interessen der Auftraggeber und der Mitgewinnler: Da sind einmal die Millionengehälter des Topmanagements, in diesem Falle der ehemaligen Treuhand- und dann Expo-Chefin Birgit Breuel und ihrer Entourage; ihre Gehälter sind um ein Mehrfaches höher als die Gehälter für Staatsangestellte, die das Projekt mindestens genauso gut bzw. schlecht hätten durchführen können.
Auf der anderen Seite wurde ein Heer von Niedriglöhnern engagiert, die auf der Expo arbeiteten. Schröder hatte seinen Imagegewinn. Da sind nicht zuletzt die Honorare für die Berater, die sich im Beratervertrag wie immer dagegen absichern, daß sie bei Falschberatung nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Ähnliches läßt sich für die meisten Privatisierungsprojekte in Ost- und Westdeutschland feststellen. So vertiefen die Berater die Verschuldung des Staates, deren Rückführung sie fordern und die sie als Begründung für ihre Tätigkeit anführen. Die behauptete ökonomische Effizienz gilt nur für die Berater selbst und die Privatunternehmen, die die Privatisierungen durchführen, wie DaimlerChrysler und Telekom bei Toll Collect.
Die Verdummung der Elite
Die Hegemonie des neoliberalen Theoriegebildes hat als spiegelbildliche Erscheinung die Verdummung großer Teile der kulturellen Elite. So setzt sich der Philosoph und Sozialwissenschaftler Jürgen Habermas „kritisch“ mit den Auffassungen des ehemaligen Welt­bank­präsidenten und jetzigen Bundespräsidenten Horst Köhler auseinander: „Ich verachte keineswegs das Rückgrat der Ökonomie gegenüber dem schöngeistigen Überbau und bin der letzte, der Intellektuelle in öffentlichen Ämtern sehen möchte. Aber das dislozierte, an falscher Stelle angewendete wirtschaftliche Denken, das die nicht in Geld zu messenden Leistungen – ob nun in Psychiatrien und Kindergärten oder in Universitäten und Verlagen – den schlichten Maßstäben McKinseys unterwirft, ist zum gesellschaftlich wirksamen Kategorienfehler geworden.“
Habermas verwechselt die von Köhler vertretene neoliberale Ökonomie mit Ökonomie überhaupt. Der renommierte Philosoph akzeptiert das Ökonomiekonzept à la McKinsey als „das wirtschaftliche Denken“ überhaupt; es sei zwar „schlicht“, so stellt er in den Höhen seiner Philosophie fest, und als solches sei es in den ökonomischen Niederungen der Unternehmen am richtigen Platz. Der „Kategorienfehler“ aber bestehe darin, daß es auch an der falschen Stelle, nämlich im Sozialen und Kulturellen, eingesetzt werde.
Dies ist geistiger Bankrott. Denn Psy­chi­at­ri­en, Kindergärten, Universitäten und Verlage müssen auch unter ökonomischen Gesichtspunkten geführt werden. Jeder Pflege-, Kindergarten- und Studienplatz und jeder Ver­lags­angestellte und jedes Buch müssen bezahlt werden. Sie nach den Kategorien einer doppelzüngigen Politik aus ökonomischer Bewertung fernhalten zu wollen (während man in der anderen, gleichzeitigen Rolle als politische Pragmatiker ihnen die Mittel entzieht), ist ebenso wirklichkeitsfern wie demagogisch. Der renommierteste Philosoph der Bundesrepublik bleibt hinsichtlich elementarer ökonomischer Sachverhalte auf dem peinlichen Niveau des McKinsey-versifften Denkens.