Flugblatt der ESTAK, Quellenangaben siehe Anmerkungen1
Swiss Timber Arbeiter Kollektiv
Wer in der Schweiz den Namen Mayr-Melnhof hört, denkt an Entlassungen und Betriebsschliessungen. Gleich zweimal im vergangenen Jahr haben die beiden Konzerne des österreichischen Familienclans ein Werk in der Schweiz dichtgemacht und Hunderte von Arbeiterinnen und Arbeitern auf die Strasse gestellt – zuerst die Kartonfabrik in Deisswil, dann das Sägewerk in Domat/Ems. Mayr-Melnhof ist in der Schweiz gleichbedeutend mit einer besonders rücksichtslosen, erpresserischen und skrupellosen Unternehmerpolitik.
In der Kartonfabrik Deisswil mussten die Monteure von einer Stunde auf die andere ihre Arbeiten abbrechen, als Mayr-Melnhof die Schliessung befahl. Beim zweiten Fall drohte Mayr-Melnhof, die Sägerei im bünderischen Domat/Ems in den Konkurs zu schicken, falls der Staat das Werk nicht mit Zuschüssen in Millionenhöhe unterstütze. Da sich das Bündner Parlament nicht erpressen liess, machte Mayr-Melnhof kurz vor Weihnachten seine Drohung wahr, erklärte für MM-Swiss-Timber Insolvenz und ließ128 Beschäftigte ohne Arbeit und Lohn zurück. Die Dezemberlöhne wurden nicht mehr ausbezahlt, die ArbeiterInnen konnten nicht einmal ihren Kindern ein Weihnachtsgeschenk kaufen! Das ist Mayr-Melnhof, wie er in der Schweiz wahrgenommen wird: Märchenhafte Gewinne und Reichtum für die einen – Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Not und Erniedrigung für die andern.
Auspressen wie eine Zitrone und dann wegwerfen
Wenn die beiden MM-Konzerne Firmen aufkaufen, dann geht es hauptsächlich um Marktanteile, nicht um ein langfristiges industrielles Engagement. 20 Jahre lang presste Mayr-Melnhof aus der Kartonfabrik Deisswil Gewinne, ohne dass in diesen zwei Jahrzehnten nennenswerte Investitionen getätigt wurden. So lange mochte MM bei der Übernahme des Sägewerks in Domat/Ems nicht mehr warten und forderte ultimativ staatliche Zuschüsse. Als diese nicht mehr gewährt wurden, schickte Mayr-Melnhof das Werk kurzerhand in die Insolvenz.
Wie ist denn sowas möglich, dass eine einzelne Firma innerhalb eines großen Konzerns Pleite gehen kann? Ganz einfach, Mayr-Melnhof war schlau genug gewesen, das Sägewerk als rechtlich eigenständige Firma zu führen, für dessen Schulden der Konzern nicht aufzukommen braucht. Denn Hinterlist, Lügen und Wortbruch gehören ebenfalls zum ‚Erfolgsrezept’ von Mayr-Melnhof. Bei der Schließung der Kartonfabrik Deisswil hatte W. Hörmanseder, CEO von MM-Karton, öffentlich erklärt, er werde zu Sozialplanverhandlungen in die Schweiz reisen. Als die Belegschaft zum vereinbarten Termin den CEO erwartete, erfuhr sie einen Tag vorher aus den Medien, dass die Firma verkauft wurde, und zwar mit der Auflage, dass in Deisswil nie mehr Karton produziert werden dürfe! Mayr- Melnhof begnügt sich nicht mit einer Betriebsschließung, er will auch mögliche Konkurrenten ausschalten.
Sechs Monatslöhne als Genugtuung!
MM-Karton und MM-Holz sind zwei rechtlich unabhängige Konzerne. Doch dahinter steht der gleiche Familienclan: die Namen der CEOs wechseln – der Baron, der erst 33jährige Franz VI. Mayr-Melnhof-Saurau bleibt. Auch wenn er versucht, diskret im Hintergrund zu bleiben, für die Taten seiner Manager ist letzten Endes er verantwortlich! Aus diesem Grund fordern wir vom Baron persönlich Gerechtigkeit. Für das Unrecht, das er uns angetan hat, soll er uns als Genugtuung sechs Monatslöhne oder pauschal CHF 25.000 pro Beschäftigten zahlen. Für den stinkreichen Baron ist dies eine lächerliche Summe, uns erlaubt dieser Betrag, sechs Monate lang unsere Familien zu ernähren, in der Hoffnung bis dann eine neue Stelle gefunden zu haben. Und falls der Baron nicht gewillt ist, uns zu empfangen, dann soll wenigstens auch in Österreich die Bevölkerung wissen, auf welche Art der Baron sich bereichert.
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Infos zu Mayr Melnhof
Familie Mayr-Melnhof
Der steirische Zweig
Die Ursprünge der Familienbetriebe Mayr-Melnhof liegen in der Eisenverarbeitung. Franz Mayr ließ 1837 die „Franzenshütte“ als erstes Stahlwerk in der Steiermark errichten. Sein Sohn, Franz II. Mayr-Melnhof erweiterte das Werk seines Vaters in Donawitz und errichtete eine Gußstahlfabrik in Kapfenberg. Franz III. Mayr-Melnhof ließ bei Leoben Braunkohle fördern und gründete 1888 die Holzstoff- und Pappefabrik in Frohnleiten. Das war der Beginn der heutigen Mayr-Melnhof Karton AG, die der größte Karton- und Faltschachtelhersteller Europas ist.
Franz IV. Mayr-Melnhof löste das Erbproblem – es gab keinen männlichen Erben aus seiner Ehe mit Marie Hohenlohe-Schillingsfürst – indem er seinen ältesten Enkel adoptierte und zum Haupterben Franz V. Mayr-Melnhof machte. Dessen Geschäfte führte, solange er nicht volljährig war, sein Vater Goess-Saurau.
Franz VI. Mayr-Melnhof, geboren 1977, ist das älteste von insgesamt sechs Kindern des nach einem Autounfall gestorbenen Franz V. Er hat bereits für den Nachfolger Franz VII. gesorgt.
Die „arme“ Salzburger Verwandtschaft
1893 spaltete sich die Salzburger Linie ab. Sie besitzt rund 7.000 Hektar Grund in Salzburg und Oberösterreich sowie eine Holzhandlung in Salzburg, die Schlösser Glanegg und Kogl, Anteile an der MM Karton AG und an der Wohnungsgesellschaft der steirischen Mayr-Melnhofs.2
Die Mayr-Melnhofs begreifen sich als altes, adeliges Geschlecht, was u.a. in ihrer Vorliebe für Schlösser, ihrer Heiratspolitik und der Namensgebung zum Ausdruck kommt. Friedrich III. Mayr-Melnhof („von Salzburg“) ist mit Monika geb. Gräfin von Nostitz-Rieneck, Urenkelin des in Sarajewo ermordeten Thronfolgerpaares, verheiratet, die Mutter von Franz VI. war eine geborene Andrassy.
Mayr-Melnhof Karton AG
Die MM Karton AG ist einer der größten Hersteller von Karton auf Recyclingbasis und ein führender Produzent von Faltschachteln. Die MM-Gruppe hat 8.112 Beschäftigte (2009) und erwirtschaftete 2009 1,6 Milliarden Euro (2008 waren es sogar 1,7 Mrd.). Seit 1994 notiert die Aktie an der Wiener Börse. Im Jahr 2007 wurden 1,7 Millionen Tonnen Karton produziert, der u.a. von Nestlé, Kellogg’s, Barilla oder Dr. Oetker verwendet wird.
Im Jahr 2008 wurde das Kartonwerk Nikopol in Bulgarien geschlossen, 2010 dann die Kartonfabrik Deisswil in der Schweiz. Letztere mit der Begründung, dass in der Schweiz eine Emissionssteuer eingeführt worden war. Dem widersprach die Schweizer Regierung: Die Kartonfabrik war von der CO2-Abgabe befreit worden.3Die gekündigten ArbeiterInnen aus Deisswil demontrierten 2010 in Wien.
Mayr Melnhof Holz Holding AG
MMH gehört zu 74,9% Franz Mayr-Melnhof Saurau und zu 25,1% den österreichischen Bundesforsten. Das Unternehmen wurde 1850 gegründet, 1951 wurde in Leoben ein Sägewerk errichtet. 1991 wurde Allinger-Mattner, heute MM Timber Trading, erworben. Im Jahr 2002 überstieg der Jahresschnitt 1 Million Festmeter geschlägertes und verarbeitetes Holz, 2006 bereits 2 Millionen Festmeter.
Die Standorte Frankenmarkt, Kalwang, Reuthe (Österreich) und Eppingen-Richen (Deutschland) wurden 2008 von der Stallinger/Kaufmann-Gruppe übernommen, 2009 wurden sämtliche Anteile am Sägewerk Domat übernommen und das Werk in Efimovskij (Russland) errichtet.4
MMH begann nach eigenen Angaben 2000 mit der Internationalisierung und betreibt heute das größte Sägewerk Tschechiens in Paskov. In Russland ist im Frühjahr 2009 die Großsäge Efimovskij in Betrieb gegangen. Damit verfügt MMH derzeit über vier Sägestandorte: Leoben, Frankenmarkt, Paskov und Efimovskij sowie vier Holzverarbeitungsstandorte: Reuthe, Gaishorn, Kalwang und Eppingen-Richen. Vertrieben wird das Holz über die Mayr-Melnhof Timber Trading, die weltweit tätig ist. Im Jahr 2009 erzielte MMH Holding AG mit 1.929 MitarbeiterInnen einen Umsatz von 464 Millionen Euro.5
4,55 Millionen Festmeter Nadelrundholz können pro Jahr an den verschiedenen Standorten eingeschnitten werden.6Jährlich können 375.000 m3verleimte Holzprodukte sowie 5 Millionen Laufmeter Schalungsträger und 2,1 Millionen m2Dreischichtplatten hergestellt werden.
Die Zentrale der MMH Holding AG befindet sich in Leoben in der Turmgasse 67, die Division Weiterverarbeitung wird von der zuständigen Verwaltungszentrale in St. Georgen im Attergau, Seeringstraße 3, geleitet.
Forstbetrieb Franz Mayr-Melnhof-Saurau
Die Gesamtfläche dieses größten Privatforstbetriebs Österreichs beträgt 32.400 Hektar,9sämtlicher Besitz befindet sich in der Steiermark. Der durchschnittliche Jahresertrag liegt bei 150.000 Festmetern Holz, der Betrieb ist auch im Forstgerätebau tätig.10
Domat
Das Sägewerk Domat/Ems wurde von der Stallinger Gruppe errichtet und erst 2007 eröffnet. Es verfügt über eine der modernsten Sägewerkstechniken Europas samt Hobelanlage und beschäftigte 120 MitarbeiterInnen. Mit 1. Jänner 2009 wurde das Werk von der Mayr-Melnhof Holz Holding AG gekauft. In der Selbstdarstellung, die zwar im Internet abrufbar, aber nicht mehr mit der MMH-homepage verlinkt ist, behauptet MM, das Werk festige die Position von Mayr Melnhof in Zentraleuropa.11Tatsächlich wurde es keine zwei Jahre nach der Übernahme geschlossen.
Mit Datum 7.5.2009 veröffentlichte MMST (Mayr Melnhof Swiss Timber) ein Selbstverständnispapier zur Firmenpolitik, in dem das Unternehmen sich selbst verpflichtet, Bürgerrechte zu schützen. ArbeiterInnen gehören offensichtlich nicht zu diesen „Bürgern“.12
Bereits im November 2010 gab es Aufregung um das Werk Domat. Ein 40 Millionen Franken (30 Mill. Euro) schweres „Rettungspaket“, also eine Subvention der Kantonsregierung von Graubünden, wurde von der Konkurrenz als wettbewerbsverzerrend kritisiert. Der Verband der Schweizer Holzindustrie kündigte bei Umsetzung der Subvention eine Klage gegen die Kantonsregierung an. Eine Sprecherin von MMH erklärte die Probleme des Betriebs damit, dass das Werk von Anfang an überdimensioniert gewesen und daher nicht ausgelastet sei.13
Am 7. Dezember 2010 lehnte die Mehrheit im Graubündner Parlament den Subventionsantrag von MMST ab, worauf Josef Dringel, CEO der MMH, erklärte, dass die Sanierungsbemühungen für MMST gescheitert seien. Vorsorglich war das Werk niemals in die MMH Holding AG eingegliedert, sondern finanziell eigenständig geführt worden. Deshalb betraf der umgehend eingeleitete Konkurs auch die Holding nicht.14
Vor Weihnachten 2010 wurden alle ca. 120 MitarbeiterInnen des Domat-Werks gekündigt, ohne Auszahlung der noch offenen Überstunden, des Kurzarbeitsausgleichs, der Schichtzulagen und Ferienanteile). MMH machte sich ohne Sozialplan aus dem Staub.15
Ein Teil der gekündigten ArbeiterInnen des Domat-Werks organisierte sich daraufhin als ESTAK (Ehemalige Swiss Timber Arbeiter Kollektiv) mit dem Ziel, doch noch einen Sozialplan zu erkämpfen. Die ESTAK fordert von MMH einen Pauschalbetrag von 25.000 Franken für jedeN ehemaligeN BeschäftigteN bzw. sechs Monatslöhne als symbolische Entschädigung für den Verlust der Arbeitsplätze.
Weiters kritisiert sie den Umgang der Konkursverwaltung bzw. des Kantons mit der Konkursmasse. Ihr Vorwurf lautet, dass das vorhandene Holz viel zu billig in Bausch und Bogen verkauft wird, wodurch die Erlöse aus der Konkursmasse voraussichtlich die offenen Forderungen nur zu einem Bruchteil decken werden.16Deshalb fordert ESTAK einen Sitz im Gläubigerausschuss und die Entfernung des ehemaligen Betriebsleiters Bernhard Ebner aus diesem Ausschuss. Sie sei auch jederzeit bereit, die Arbeit auf dem Werksgelände wieder aufzunehmen.17
Die gesamte Konkursabwicklung scheint der ESTAK dubios: Bernhard Ebner soll gleichzeitig die ehemalige Belegschaft vertreten und als vom Konkursamt Angestellter den Konkurs abwickeln. Ebner ist auch verantwortlich dafür, dass 20 ArbeiterInnen angestellt wurden, um den Konkurs zu bewerkstelligen. Die ESTAK meint, dass 10 MitarbeiterInnen für die derzeit anfallenden Tätigkeiten völlig ausreichen würden.
Der ehemalige Co-Geschäftsführer von MMST, Konrad Knaf, der für den Konkurs mitverantwortlich ist, steht nunmehr dem Konkursamt als Experte zur Seite, er hat für die Einstellung von Bernhard Ebner gesorgt.18
Unterstützung hat die ESTAK bisher u.a. vom Komitee „Giù le mani dall’Officina“ aus Bellinzona erhalten. Deren Vorsitzender, Gianni Frizzo, schreibt in einem Solidaritätsbrief u.a.: „Was auch immer die Entscheidung sei, die ihr treffen wollt, sie muss das Resultat eurer bewussten Überlegungen sein, in deren Mittelpunkt der Respekt vor der Würde und eurer unverzichtbaren Rechte als Arbeiter steht.“19
Die aktuelle Entscheidung des ESTAK-Kollektivs ist es, nach Leoben zu kommen, und vor der Zentrale der MMH Holding AG für ihre Forderungen zu demonstrieren.
Anmerkungen
1Flugblatt der ESTAK, Februar 2011, verteilt von Wiener SympathisantInnen im März 2011 vor dem Firmensitz von MM in Leoben (Steiermark)
2http://de.wikipedia.org/wiki/Mayr-Melnhof_%28Familie%29
3http://de.wikipedia.org/wiki/Mayr-Melnhof_Karton
4http://www.mm-holz.com/215
5http://www.mm-holz.com/179
6http://www.mm-holz.com/243
7http://www.mm-holz.com/217
8http://www.mm-holz.com/320
9Zum Vergleich: Wien hat eine Fläche von 44.100 Hektar
10http://de.wikipedia.org/wiki/Mayr-Melnhof_%28Familie%29
11http://www.mm-holz.com/images/content/pdfs/prosp_mmst.pdf
12http://www.mm-holz.com/images/content/pdfs/firmenpolitik_fsc-pefc.pdf, unterzeichnet vom Betriebsleiter, Bernhard Ebner
13http://www.wirtschaftsblatt.at/home/boerse/bwien/aufregung-wegen-rettungspaket-fuer-mayr-melnhof-swiss-timber-446736/index.do
14http://www.holzconsulting.at/aktuell/branchenmeldungen/mayr-melnhof-swiss-timber-ag-meldet-konkurs-an.php
15http://www.netzwerkit.de/projekte/schweiz/ESTAK/Medienmtlg01
16http://www.netzwerkit.de/projekte/schweiz/ESTAK/Medienmtlg01
17http://www.drs.ch/www/de/drs/nachrichten/regional/graubuenden/239208.mayr-melnhof-ehemalige-kaempfen-weiter.html, 27.1.2011
18http://www.netzwerkit.de/projekte/schweiz/ESTAK/Mmtlg07.02.11
19http://www.netzwerkit.de/projekte/schweiz/ESTAK/soli20110126