Veranstaltung der subversiven Kantine mit HerausgeberInnen des zugehörigen Buches, 22.2.2007
Streik bei Gate Gourmet
Moderation: Wir machen heute eine Veranstaltung zum Gate Gourmet-Streik in Düsseldorf, der letztes Jahr für ein halbes Jahr lief. Dazu haben wir eine Genossin und einen Genossen eingeladen, die im Unterstützerkreis zu diesem Streik waren und auch ein Buch zu diesem Streik mit produziert haben.
Vortrag
C: Schönen guten Abend, ich stelle uns kurz vor. Das ist A. aus Köln, ich bin C., auch aus Köln. Wir haben diesen Streik bei Gate Gourmet, der von Oktober 2005 bis April 2006 dauerte, begleitet, unterstützt. Und haben diese Gelegenheit dann dazu genutzt, aus diesen Erfahrungen ein Buch zu machen. Wir wollen heute abend aber nicht nur auf diesen Streik bei Gate Gourmet eingehen, sondern wir wollen ihn einrahmen, in den Kontext von neuen Kämpfen, spannenden neuen Momenten und Streikbewegungen in Deutschland etwa ab 2004 stellen.
Die Veranstaltung soll in etwa so ablaufen: Ich werde am Anfang einen Rahmen entwickeln. Wir lockern das dann immer visuell auf, wir sind heute ja multimedial. Das sind immer so kleine Filmclips von 4 – 5 Minuten, sie sollen diese neuen Momente, die Entwicklung besser sichtbar machen. Zumal ihr vielleicht nicht so an den Entwicklungen in Deutschland dran seid. In der Diskussion danach interessiert uns natürlich besonders nicht die rein deutsche Entwicklung, sondern die europäische, die globale. Insofern sind wir da auch sehr interessiert an Tendenzen und Entwicklungen hier in Österreich, aber auch überhaupt auf der Welt. Danach werden wir dann abwechselnd Aspekte dieses Streiks und des Buches vorstellen und hoffen, darüber dann auch in eine Diskussion zu kommen.
Anmerkung Info-Verteiler: Die Filmclips und Zitate, vor allem aus dem Buch, sind im Text kursiv gesetzt.
Als Hintergrund: In den ganzen 90er Jahren war auch in Deutschland eine ziemlich streikarme Zeit, es war eine Zeit der Konzessionen. Die Gewerkschaften haben unglaublich viele Zugeständnisse gemacht. Das kulminierte dann 2003/2004. Im Jahr 2003 hat die IG Metall im ehemaligen Ostdeutschland einen Streik zur Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie losgetreten. Sie hat diesen Streik dann ohne jegliches Ergebnis abgebrochen. Das war eine Blamage erster Güte. Das war auch innerhalb der Gewerkschaft heftig umstritten. 2004 gab es dann einen weiteren Tabubruch seitens der Gewerkschaften. Siemens hatte angedroht, die Handysparte, die Handyfabriken im Ruhrgebiet zu schließen. Und um die Arbeitsplätze zu erhalten, hat die IG Metall freiwillig die Arbeitszeit verlängert, ohne Lohnausgleich.
Diese Forderung, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu verlängern, macht ab dann die Runde. Entscheidend war, dass die IG Metall als erste Gewerkschaft das freiwillig gegebenhat. Auch das hat eine ziemliche Debatte ausgelöst.
Gegen diese ganze Politik des Stillhaltens, des Nachgebens, des sich nicht Wehrens entwickeln sich dann ab 2004 neue Bewegungen, wo auch Elemente drinstecken, dass die Leute nicht mehr einfach nur das tun, was die Gewerkschaft sagt, sondern auch eigenständig agieren, dabei manchmal auch mit der Gewerkschaft aneinander geraten, und in diesem Rahmen, in diesen Kämpfen sehen wir auch den Gate Gourmet-Streik.
Filmclip
Sprecherin: Zwei Stunden lang stand alles still. Die Produktion in Deutschland war lahmgelegt bei Daimler-Chrysler. 60.000 Arbeiter gingen nicht zur Arbeit, sondern auf die Strasse. Sie protestierten für ihre Kollegen in Sindelfingen. Denn die verlieren, wenn‘s ganz schlecht läuft, ihre Arbeitsplätze.
500 Millionen Euro sollen eingespart werden beim Bau der neuen C-Klasse. So will es die Chefetage. Und wenn das in Sindelfingen nicht geht, dann wird das Auto eben anderswo gebaut. Ein rauher Wind, der da weht. Über die Proteste heute:
Parolen durch das Megaphon: „… ist das die richtige Frage … Nein … was ist dann die richtige Frage? – B10“
Sprecher: Sie wollen die B10 lahmlegen. Die Daimler-Arbeiter sind stinksauer. So sauer, dass sie sich notfalls auch mit der Polizei anlegen wollen.
Sprechchor: „500 Millionen Euro – wir geben nichts“
Sprecher: Seit 9 Uhr stehen die Bänder still. Statt Achsen und Getrieben machen die Mettinger Daimler-Arbeiter ihrem Ärger Luft. Und um 10 steht auch der Verkehr auf der Hauptverkehrsader im Neckartal. 2.000 Auto-Werker machen die B10 für die nächste Stunde zur Fußgängerzone.
Interview: „Wenn bei Daimler das durchkommt, was jetzt an Kampfprogramm von oben angesagt ist, dann kommt keine Gewerkschaft mehr. Das heißt, jetzt müssen wir kämpfen – oder nie.“
Sprecher: Rund 200 Millionen an Einsparungen würde der Betriebsrat sogar hinnehmen, doch das Unternehmen verlange eine halbe Milliarde und wolle keinen Schritt nachgeben. Auf der Strasse setzen sich die Arbeiter aber durch. Ihr Überraschungscoup gelingt, die Polizei kommt zu spät, 5 Kilometer Stau.
Ein Autofahrer im Stau: „Sie können streiken, wo sie wollen und so viel sie wollen. Das interessiert mich nicht. Aber mein Geschäft, wenn die meine Termine versauen, die lasse ich mir durch andere nicht versauen.“
Ein Autofahrer im Stau: „Ich nehme ja an, dass die Konzerne machen können, was sie wollen. Die bezahlen keine Steuern, es gehen Arbeitsplätze verloren. Das ist nicht richtig.“
Frage: „Auch wenn Sie warten müssen?“
Autofahrer: „Egal. Wir haben Urlaub, das spielt keine Rolle. Warten wir halt.“
Sprecher: Für die Daimler-Arbeiter im Land soll eine Schichtzulage halbiert werden, die Angestellten sollen umsonst länger arbeiten, die hart erkämpfte Steinkühler-Pause soll wegfallen.
Ein Arbeiter: „Es ist eine unglaubliche Frechheit, was der Vorstand mit uns macht. Daimler-Benz feiert sein 100 Jahr-Jubiläum. Und gleichzeitig tun sie uns, als Dank, erpressen. Das ist eine große, große Frechheit und Schweinerei.“
Sprecher: Und während die Mettinger mitten auf der Straße symbolisch ihre Steinkühler-Pause einlegen, steht auch die Produktion bei allen anderen großen Daimler-Werken. Ein Massenprotest. 60.000 Beschäftigte haben ihre Werkshallen und Büros verlassen. Allein in Sindelfingen, wo die Geschäftsleitung mit der Streichung von 6.000 Jobs droht, sind 20.000 Arbeiter auf die Straße gegangen. Auch in Rastatt, Gaggenau, Hamburg, Berlin, Düsseldorf, und hier in Mannheim gab es Proteste. Die Botschaft heute: die Belegschaft lasse sich nicht spalten.
„Erst Bremen, dann Tschechei, und dann geht‘s so weiter. Und wo bleiben wir dann? Zum Schluss gehen wir in‘s Ausland arbeiten.“
Solidarität auch der Bremer, die ja mit der Fertigung der neuen C-Klasse belohnt werden sollen, wenn die Baden-Württemberger nicht stärker verzichten.
„Von unserer Seite (ist die Belegschaft auch solidarisch) mit den Sindelfinger Kollegen, und wir lassen uns da auch nicht auseinander spalten.“
In Stuttgart sind die Daimler-Arbeiter trotz Umweg über die Bundesstrasse und einiger Steinkühler-Pausen am späten Vormittag auf ihrer Kundgebung in Untertürkheim angekommen.
„… dieser Platz nicht ausreichend, dass wir noch nie so eine machtvolle Demonstration gemacht haben.“
Und das, heißt es hier, sei nicht das Ende, sondern erst der Anfang.
Das war im Juli 2004, die Blockade der B10. Das ist dann schon, ich sage mal, zumindest in Arbeiterkreisen wahrgenommen worden. Das war eine Aktion, die haben die Gewerkschaft und der Betriebsrat nicht gewollt. Die hatten auch einen ziemlichen Zoff nachher noch darum, als ein paar von den Leuten, die als Rädelsführer von der Staatsanwaltschaft in Stuttgart angezeigt wurden. Da hat die Gewerkschaft gedroht, ihnen keinen Rechtsschutz zu geben. Das sind Leute aus einem Zweigwerk von Daimler, in Mettingen, denen wurde auch angedroht, sie aus der Gewerkschaft raus zu schmeißen, weil sie diese Aktion gemacht hatten.
Das heißt aber, sie haben sich nicht durchgesetzt. Letztendlich kam ein Kompromiss raus. Daimler hat den größten Teil dieser Einsparungen bekommen. Es wurden Verschlechterungen – nicht so viele, wie angekündigt – aber es wurden Verschlechterungen akzeptiert. Aber es war ein Signal.
Solche Kämpfe entwickeln sich dann weiter. Außerhalb des Betriebes passiert dann auch etwas Spannendes, weil in Deutschland dieseBewegung der Montagsdemonstrationen losgeht, gegen die Verschärfung der Arbeitslosenhilfe durch die Hartz IV-Reform. Und das Spannende an dieser Bewegung ist, dass sie nicht gesteuert, nicht kontrolliert, in ihrer Dynamik nicht von oben vermittelt werden kann. Das beginnt mit einer Demonstration von 200 Leuten Ende Juli. Und von Woche zu Woche explodieren die Teilnehmerzahlen. Vor allem, muss man sagen, im Osten Deutschlands. Es gibt aber auch Montagsdemos in Westdeutschland.
Es gibtetwa 5, 6 Wochen, wo wirklich eine Dynamik da drin liegt. Es gehen dann schließlich in Städten wie Leipzig, Magdeburg 10.000 bis 20.000 Leute auf die Strasse. Und das alles, ohne dass eine Gewerkschaft, eine Organisation dahinter steht. Das ist auch ein neues Element in dieser Mobilisierung, die wir da erleben.
Am Spektakulärsten war dann ein wilder Streik in der Opel-Fabrik in Bochum. Das war ein sechs-, siebentägiger wilder Streik in einer der größten Automobilfabriken in Deutschland. Das hat es im Grunde seit 1973 nicht mehr gegeben. Auch das war eine Situation, wo Massenentlassungen angedroht wurden. Diesmal haben die Arbeiterinnen und Arbeiter dort gesagt: „Nein, wir lassen uns das nicht gefallen. Wir wollen nicht, dass die Gewerkschaft und die Betriebsräte jetzt über Konzessionen verhandeln.“Und sie haben dann mit Aktionen gestartet.
Um das noch einmal ein bisschen darzustellen, ein kleiner Filmausschnitt. Zumal hier auch ein paar Arbeiterinnen und Arbeiter zu Wort kommen, und die bringen ein paar Sachen ganz gut auf den Punkt, die auch im Mittelpunkt der heutigen Veranstaltung stehen sollen.
Filmclip
Donnerstag, 14.10., kurz vor Mitternacht. Opel-Arbeiter marschieren durch ihr Werk. Sie suchen Streikbrecher. Vor 12 Stunden kam die Nachricht: General Motors will 4.000 Arbeitsplätze in Bochum einsparen. Die Arbeiter sind geschockt. Einige sollen drinnen geweint haben. Reden will niemand. Kurz danach legt die Spätschicht spontan die Arbeit nieder. Offiziell hat die Werksleitung die Arbeiter noch nicht informiert. Was sie wissen, wissen sie aus den Medien.
„Im Radio. Der Rest hat sich dann hier ergeben, im Werk, durch die Vertrauensleute. Und jetzt stehen wir hier und warten.“
Die Männer sind erschüttert. Sie hören dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden zu, der sie über die Pläne von GM informiert:
„In Zukunft soll hier nur noch das produziert werden, was auch hier im Bochumer Werk benötigt wird. Alles andere geht in die anderen Standorte. Im Bereich der Montage werden 1.200 Arbeitsplätze eingespart. Das sind zwei Elemente der Planung, die (die Leitung) vorgelegt hat.“
Der Werksleiter will nicht zu den Arbeitern runterkommen. GM hat ihm verboten, etwas zu sagen.
„Ich wiederhole, sie haben nicht den Mut, euch das mitzuteilen. Er sagt, er darf nicht, er will nicht, deshalb bleibt er da oben.“
„Gestern noch hieß es, es sind 100 Leute, die gehen sollen. Und heute schon die 3.000, das ist schon jeder 3. Arbeitsplatz. Das kann man sich nicht gefallen lassen.“
„Arbeitsniederlegung sehen Sie als den einzigen Weg? Wie sieht das aus?“
„Es ist eigentlich nicht der richtige Weg. Aber was soll man jetzt noch machen?“
„Der Betriebsrat hat die Vertrauensleute zusammengerufen, um 15 Uhr. Alle Vertrauensleute der verschiedenen Abteilungen sind zusammengekommen, wurden informiert über die Pläne vom Management. Und die Entscheidung lag dann letztendlich bei uns Vertrauensleuten. Der Betriebsrat darf nicht aufrufen zu solchen Aktionen wie hier, laut Gesetz. Aber wir werden ihn daran messen, wie er sich dazu verhält. Und die Abstimmung vorhin ist eindeutig verlaufen. Alle Vertrauensleute in der Endmontage haben sich einstimmig für diese Aktion hier ausgesprochen. Und genauso müssen wir es hier auch angehen: Wir entscheiden, wie es weitergeht, wie lange es geht.“
Schichtwechsel um 22 Uhr. Die spannende Frage: Wird sich auch die Nachtschicht weigern, zurück an die Bänder zu gehen? Die Familien sind zu ihren Männern an‘s Werkstor gekommen. Viele Frauen haben früher selbst bei Opel gearbeitet. Die Nachtschicht besetzt auch die anderen Werks-tore und beginnt, die Hallen abzusuchen, weil sie gehört haben, dass immer noch irgendwo in dem großen Werk gearbeitet wird.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Für Kollegen, die in dieser Situation nicht mitziehen, haben sie kein Verständnis: „Sicher fühle ich mich verarscht. Sie sehen doch, was hier los ist. Und das Schlimmste ist, wenn die Kollegen einen noch betrügen und an der Maloche sind, und wir machen hier Max für die noch. Das ist das Schlimme. Verstehen Sie das? Da können Sie jeden hier fragen. Gucken Sie einmal, was die Leute hier wütend sind. Es geht ja um Existenzen und Familien.“
Im Presswerk, einem für den Arbeitskampf besonders sensiblen Bereich, ist eine kleine Gruppe an ihrem Arbeitsplatz geblieben. Sie wird aufgefordert, sich am Ausstand zu beteiligen. Jetzt arbeitet hier niemand mehr.
Tag 2: Nach wie vor stehen alle Räder still. Die Arbeiter der Frühschicht haben den Eindruck, dass Opel die ganze Sache von langer Hand geplant haben könnte. Jetzt wird manchem klar, warum zuletzt auch an Wochenenden gearbeitet wurde.
„Die haben uns vor vier, fünf Tagen gebeten (Überstunden zu fahren), weil die Werke im Rückstand wären. Dass sie noch Teile bräuchten. Da haben wir dann zwei Wochen am Samstag, Sonntag gearbeitet, und am Dienstag kam dann in der Presse heraus, dass Bochum kahl geschlagen werden soll. Da haben wir uns selber in den Arsch getreten.“
„Dann kann man sich denken, warum die das wollten.“
„Ganz genau, das denken wir uns jetzt auch.“
„Nämlich?“
„Ja, damit sie noch Puffer haben, um weiter produzieren zu können.“
Tag 7, Tag der Entscheidung: Noch sind die Werkstore besetzt. Doch die Helden werden langsam mürbe. Sie wissen, dass die Werksleitung nicht mit ihnen sprechen wird. Und ihr Betriebsrat nicht mehr hinter ihnen steht. Am Solidaritätszelt bei Tor 1 werden die Streikposten unsicher. Denn sie wissen mittlerweile, dass die Belegschaft gespalten ist.
„Die Stimmung ist jetzt nervös, weil wir alle nicht wissen, wie (die Lage) ist. Man kann nicht sagen, wir bleiben alle hier. Aber man kann auch noch nicht sagen, dass alle wieder rein gehen. Deswegen die Ängste manchmal.“
Im Ruhrkongress versammeln sich um 11 Uhr Mitarbeiter aller drei Werke. Die Mitarbeiter sind angespannt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bochumer Standortes sollen sie über das Ende oder die Fortsetzung eines wilden Streiks abstimmen. Offensichtlich ist auch der Betriebsrat unsicher, was die Mehrheit will. Deshalb lässt er keine freie Aussprache zu. Er zwingt die Belegschaft dazu, zu wählen zwischen Verhandlung oder Streik. Die Frage lautet: Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden? Ja oder Nein?
„Was hier an Wahnsinn passiert, ist diese komische Formulierung. Das können die nicht machen. Ich bin fassungslos, was hier gespielt wurde. Grausam, grausam.“
Die Taktik des Betriebsrates funktioniert. 4.600 Opelianer wollen wieder arbeiten. 1.700 nicht. Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack.
„Wir führen 2:0, und jetzt werden die besten Spieler rausgenommen. So eine Versammlung habe ich noch nie mitgemacht, mit den Kontrollen, Taschenkontrollen. Und sonst stehen hier immer Saalmikrophone, also die Kollegen können mitdiskutieren. Die gab‘s heut‘ nicht. Es gab nur das Mikrophon (ein mobiles), und das wurde vom Werkschutz (kontrolliert).“
Soweit der Filmausschnitt zu Opel. Das war im Oktober 2004. Auch hier wurde der Kampf nicht gewonnen. Ich denke, dieser Filmausschnitt zeigt, dass es drei grundlegende Fragen sind, die sich auch in den Jahren danach immer wieder gestellt haben.
Das erste ist die Frage: Wie kommen die Leute überhaupt erstmal dazu, nein zu sagen, basta zu sagen? Diese Konzessionen, Verschlechterungen nicht mehr hinzunehmen, sondern aktiv zu werden. Es ist auffällig: von den vielen Standorten, die vom Entlassungsprogramm von GM betroffen waren, war Opel Bochum der einzige Standort, an dem die Leute rausgegangen sind, selbständig rausgegangen sind, um das zu verhindern.
Die zweite Frage ist … die Frage, nein zu sagen, basta zu sagen, das ist das Eine. Aber wir wollen auch gewinnen, wir wollen etwas durchsetzen. Gibt es noch eine Macht? Gibt es noch Ansatzpunkte, um sich gegen das Kapital durchsetzen zu können? Die allgemeine Ideologie ist ja: es wird alles globalisiert, es wird alles nach China verlagert, die Arbeiter sind tendenziell überflüssig, die brauchen wir nicht mehr. Ihr könnt machen, was ihr wollt, Widerstand ist zwecklos, es gibt keine Alternative.
Der Film zeigt aber, dass sie ganz genau wussten, wo sie noch eine Macht haben. Das hat ein bisschen mit der Besonderheit dieses Bochumer Werks zu tun, mit dem Presswerk, in das sie reingehen, um die Arbeiter da raus zu holen. Auch das sind sehr schöne Aufnahmen, die man sonst nicht sieht. Dieses Werk ist Lieferant für fast sämtliche Opel-Standorte in Europa. Also auch die Werke führen das an: „Wir führen 2:0.“Weil Rüsselsheim und Antwerpen stehen. Innerhalb von ein, zwei Tagen hätten auch die Werke in Eisenach, in Polen, in Saragossa in Spanien, in Großbritannien gestanden. Weil ihnen Teile aus diesem Presswerk gefehlt hätten.
Und statt diese Karte auszuspielen, wird von der Gewerkschaft, vom Betriebsrat mit diesem Manöver, mit diesen Wahlzetteln, dieser kontrollierten Versammlung der Streik genau an dem Punkt abgebrochen, wo er hätte wirksam werden können.
Wir können beobachten, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Kämpfen wieder verstärkt danach suchen, wie sie auch sich wirksam durchsetzen können. Streik nicht als Ritual, Streik nicht als Symbolik, sondern als effektive Waffe gegen das Kapital.
Und damit taucht dann immer auch sofort die dritte Frage auf: Wer hindert sie daran, das, was es noch an Machtpotential gibt, einzusetzen? Warum blockt die Gewerkschaft das ab? Oder: Wie können sich die Kolleginnen und Kollegen gegen die Gewerkschaft durchsetzen?
Das war eben für uns eine interessante Erfahrung bei Gate Gourmet, wie sie das dort gemacht haben. Wie sie sich dort eine Zeitlang durchsetzen konnten. Aber das kann man natürlich auch nicht verallgemeinern. Interessant war in der weiteren Entwicklung: 2005 gibt es auch weniger bekannt gewordene, kleinere Kämpfe, wo auch mit neuen, kreativen Möglichkeiten versucht wird, Druck zu machen. Ein wichtiges Beispiel, das hier wahrscheinlich gar nicht bekannt geworden ist, ist Alstom, ein großer Turbinenhersteller in Mannheim. Weil dort wieder von einem Mittel Gebrauch gemacht worden ist, das später aufgegriffen wurde.
Das wurde zwar früher schon mal angewandt, ist aber dann wieder in Vergessenheit geraten. Es gibt eine kleine rechtliche Lücke im deutschen Betriebsverfassungsgesetz. Dort ist vorgeschrieben, dass viermal im Jahr Betriebsversammlungen stattfinden müssen. Dort steht aber nicht drin, wie lange eine Betriebsversammlung dauern muss. Und das heißt, man kann, wenn genügend Leute auf der Rednerliste sind, und wenn der Betriebsrat das auch so sieht, dann kann man sagen „ja gut, wir haben jetzt hier den ganzen Tag, acht Stunden getagt in der Versammlung. Ich habe hier noch 20 Wortbeiträge, wir müssen morgen fortsetzen.“
Bei Alstom haben sie eine Betriebsversammlung fünf Tage lang gemacht. Das ist also eine Möglichkeit, die Produktion lahm zu legen, zu streiken, wenn man offiziell nicht streiken kann oder die Gewerkschaft nicht zum Streik aufgerufen hat. Das ist dann später in anderen Fällen auch gemacht worden.
In diese Zeit fällt der Streikbeginn bei Gate Gourmet rein, der erstmal unspektakulär wirkt. Was das Spannende daran war: Während dieses langen Streiks, der sich sechs Monate hinzog, fingen auch andere Kämpfe an, die dann gleichzeitig abliefen. Ein ganz wichtiger Kampf war der gegen die Schließung der AEG-Fabrik in Nürnberg.
Auch dort war der Ausgangspunkt eine selbständige Aktion, das Selbsttätigwerden der Leute. Am 12. Dezember 2005 hatte die Unternehmensleitung auf einer Versammlung das endgültige Aus für den Standort Nürnberg angekündigt. Sie konnten das gerade noch vom Podium sagen, dann mussten sie schon fluchtartig den Raum verlassen, weil sie sofort aus den ersten Reihen mit allem Greifbaren, Sitzkissen und so weiter, bombardiert wurden. Und es entwickelte sich dann erstmal über 2 Wochen ein unausgesprochener, informeller Streik: es wird nicht mehr richtig gearbeitet, es gibt ständig Versammlungen, Sabotageakte in der Fabrik. Um das zu kanalisieren, ruft dann die Gewerkschaft schließlich im Jänner zu einem offiziellen Streik auf.
Es entwickelt sich in Berlin in einem Baumaschinenkonzern, CNH, in Berlin-Spandau, im Februar ein Streik. Und wir haben dann auch die ganze beginnende Streikwelle im öffentlichen Dienst. Der erstmal eine normale Tarifrunde war, in dem aber auch einige neue Elemente enthalten waren. Weil sich auch hier die Frage stellt … naja, bei uns, wenn ich so zurückdenke, waren Streiks im öffentlichen Dienst immer mehr so Rituale. Da gingen halt mal die Müllmänner raus, und die Straßenbahnen fuhren einen Tag nicht. Dann wurde wieder verhandelt. Das wurde von oben so angeordnet und auch wieder abgeblasen.
Im Streik beim öffentlichen Dienst 2006 kommt es aber zu einer massiveren Konfrontation an einigen Punkten. Weil auch der Staat massiver dagegen vorgeht. Weil Streikbrecher eingesetzt werden, z.B. diese berühmten 1-Euro-Jobber. Das kennt ihr ja, das ist ein neues Pflichtarbeiterprogramm in Deutschland. Die werden als Streikbrecher eingesetzt. Am intensivsten läuft dieser Streik in Baden-Württemberg, in Stuttgart. Dort gibt es, als die Stadt private Müllfahrzeuge zum Abfahren des Mülls einsetzt, und damit versucht, den Streik zu unterlaufen, eine Gegenaktion, auch von der Gewerkschaft mitgetragen. Sie fahren nämlich mit ihren Privat-PKWs zur Müllverbrennungsanlage, dort, wo natürlich auch die privaten Müllfahrzeuge den Müll abliefern müssen. Und blockieren das. Das können sie auch durchsetzen und damit lassen sie diese Streikbruchaktion der Stadt Stuttgart in‘s Leere laufen.
Wir haben also in dieser Phase eine Gleichzeitigkeit von Kämpfen, und die drückt sich auch darin aus, dass die Leute sich aufeinander beziehen. Das haben uns die Leute auch bei Gate Gourmet gesagt. Das war total wichtig, dass man sich gegenseitig besucht hat, um Erfahrungen auszutauschen, um sich gegenseitig Mut zu machen, Tipps zu bekommen. Unter anderem auch Tipps dazu, wie man sich gegen eine Gewerkschaft, die einen Streik beenden will, durchsetzen kann.
Das war ein bisschen so eine Stimmung, als könnte sich eine breitere Bewegung entwickeln. Also nicht diese einzelnen, isolierten Streiks. Das hat einer der Streikaktivisten dann später in einem Interview sehr schön formuliert:
„Allein erreichen wir nichts. Ein Streik in Essen, ein Streik in Düsseldorf, ein Streik woanders. Das bringt eigentlich nichts. Man hätte die gewaltige Kraft der Streikenden zusammen einsetzen müssen. Aber darüber macht man sich zur Zeit keine Gedanken. Ich war in Essen, in Düsseldorf und in Aachen und habe beobachtet, wie das läuft. Überall wurde der Streik anders ausgeübt. Das reicht aber nicht. Das war viel zu passiv. Wir müssen im wahrsten Sinne des Wortes näher rücken. Wenn es sein muss, sollten alle Streiks zusammen gemacht werden. Damit man sieht, welche Kraft dahinter steckt. Aber das ist nicht passiert. Jeder streikt für sich selbst. Es fehlte der Zusammenhalt.“
Das hat auch damit zu tun, dass viele kleine Bewegungen gar nicht beachtet werden, dass die untergehen. Ein bisschen war das für uns auch ein Motiv, dieses Buch zu machen. Weil wir gesagt haben, es ist wichtig, auch solche Erfahrungen zu verbreiten, zu kommunizieren. Zum Streik bei Opel Bochum hatten Bekannte von uns auch schon mal ein Buch mit Interviews gemacht. Vielleicht kennen das einige: „Sechs Tage der Selbstermächtigung“.
Ich denke, auch mit dem Medium Film kann man Sachen transportieren, kann man Sachen austauschen. Das haben wir auch erlebt bei einigen kleineren Streiks, wo dann Filme gezeigt wurden von anderen Streiks. Dass diese Entwicklung weitergeht, dass es immer wieder aufbricht, zeigt ein jüngstes Beispiel im September/Oktober, da gab es einen Streik bei Bosch-Siemens in Berlin. Diesen Streik hat ein Filmemacher komplett begleitet, und er wird bis Mai dazu einen Film zusammen mit den ArbeiterInnen machen. Das finde ich eine total gute Idee.
Er hat uns für unsere Gate Gourmet-Veranstaltung einen kleinen Ausschnitt zur Verfügung gestellt. Bei diesem Streik ist interessant, dass dort eine Zeitlang die Arbeiterinnen und Arbeiter sehr stark Eigeninitiative entwickelt haben. Sie hatten auch eine Idee, wie sie Macht entfalten können, wie sie wirksam werden können. Und im Grunde genommen sind sie am Schluss auch in dieser Frage mit der Gewerkschaft aneinander geraten.
Bei diesem Bosch-Siemens-Betrieb, der in Berlin Waschmaschinen herstellt, gab es nicht so eine zentrale Macht wie bei Opel-Bochum. Aber es gab die Idee von den Streikenden – Siemens ist ein großer Konzern, Siemens hat viele Standorte, Siemens hat momentan ein extremes Imageproblem wegen Korruptionsaffären, wegen der BenQ-Affäre, also die Firma, die diesen schönen Beamer herstellt. Die haben die Handy-Sparte von Siemens übernommen, von der ich eingangs berichtet habe, dass dort die Arbeitszeit verlängert wurde. Und das ganze hat sich im Nachhinein als abgekartetes Spiel herausgestellt:
Siemens hat an BenQ verkauft, und BenQ hat kurz danach die Produktion eingestellt. Das war sozusagen nur eine Abwicklung. Und das hat auch zu massiven Protesten geführt. Die Kollegen von Bosch-Siemens hatten die Idee in Berlin: Wir machen eine Rundfahrt. Wir klappern mal Siemens-Standorte, oder auch andere Fabriken, wo die Leute unzufrieden mit Konzessionspolitik, mit Schließungsdrohung sind, die klappern wir ab. Fahren da rum und versuchen, die Leute zu mobilisieren zu einer großen Demonstration nach München. München ist die Firmenzentrale von Siemens.
Und da bringen wir mal die ganzen Leute, auch von der Handy-Sparte und von anderen Betrieben zusammen. Am Anfang hat die IG Metall das auch unterstützt. Sie war dann aber selber davon überrascht, dass sie Erfolg damit hatten. Dass tatsächlich massenhaft Leute aus den Betrieben, vor die sie gefahren sind, rauskamen, mit ihnen diskutiert haben, gesagt haben „ja, das finden wir eine gute Idee mit München, da fahren wir auch hin“. Und dann, kurz, ein paar Tage vor dieser für München geplanten Demonstration macht dann die IG Metall einen Tarifabschluss und eine Art Sanierungsvertrag mit dem Bosch-Siemens-Hausgerätewerk in Berlin.
Was dabei vor allem zu Empörung geführt hat, das kommt im Film nicht so raus, war, dass ein Teil des Tarifvertrages der IG Metall die Zusage war, dass ab sofort keine Aktionen außerhalb von Berlin mehr stattfinden. Das heißt, sie haben mit dem Tarifvertrag zusammen unterschrieben, dass sie sich verpflichten, diese Aktion in München nicht zu machen. Das ist dann wirklich so gelaufen, dass der Bus, der ja noch unterwegs war, von der IG Metall angerufen wurde und gesagt wurde „so, ihr müsst jetzt zurück fahren.“
Filmclip
„Also, guten Morgen Kolleginnen und Kollegen. Wie L. gerade gesagt hat, haben wir euch gebeten, heute morgen, dass wir uns hier versammeln. Weil wir heute nacht, gegen 2, halb 3, zu einem Ergebnis gekommen sind, das wir euch heute morgen vorstellen wollen. Wie sind die Rahmenbedingungen? Ich habe vor einigen Tagen, als ich hier war, gesagt, ich verneige mich vor den Leistungen dieser Belegschaft, vor den Solidaritätsaktionen, vor den bundesweiten Aktionen, die hier geleistet wurden.“
Zwischenruf
„Noch einmal: der Schließungsbeschluss steht nicht mehr im Raum. Es gibt keinerlei Schließungsbeschluss mehr, und wir haben in der Vereinbarung schriftlich festgelegt, dass wir über eine Fortführung des Standortes reden.“
Verhaltener Applaus.
„Das Ergebnis sieht jetzt wie folgt vor – ich referiere das jetzt einfach: Der Standort bleibt erhalten mit einer Gesamtbeschäftigtenzahl, die wir vertraglich vereinbart haben, von 400 Arbeitsplätzen in Berlin. Wir reden über insgesamt, in Summe 216 Kolleginnen und Kollegen, für die nach dieser Vereinbarung perspektivisch kein Arbeitsplatz mehr bei BSH zur Verfügung stehen wird.“
Zwischenruf: „Und jetzt sollen wir 216 Kolleginnen und Kollegen rausschmeissen?“
„Entschuldige, wir schmeissen überhaupt niemand raus.“
Zwischenrufe: „Doch!“Gepfeife, Sprechchöre, Tumult. „Ich protestiere gegen die IG Metall, die bei der Busfahrt nach München einen Rückzieher gemacht hat. Sie haben gesagt, Sie verneigen sich vor uns.“
„Das tue ich auch.“
Zwischenruf: „Die Kollegen, die uns solidarisch unterstützen möchten. Und jetzt kurz vor der Münchenreise machen Sie einen Rückzieher. Was möchten Sie denn denen sagen?“
Das ist jetzt zwei Tage später, nach der Urabstimmung über dieses geheim ausgehandelte Ergebnis, das der Gewerkschaftssekretär jetzt verkündet.
Filmclip
„… und zwei Stimmen waren ungültig. In Prozent gesagt, heißt das, mit „Ja“, für Annahme des Verhandlungsergebnisses, haben 32,55% gestimmt, 67,05% haben gegen die Annahme des Verhandlungsergebnisses gestimmt, und 0,40% waren ungültig. Damit ist das von der IG Metall-Satzung geforderte Quorum von mindestens 25%, die für „Ja“ stimmen, erfüllt.“
Tumult. „Eine große Mehrheit muss in der ersten Urabstimmung für Streik stimmen. Ihr kennt das aus der ersten Urabstimmung. Und dieselbe jetzt bei der zweiten Urabstimmung …“Gepfeife, Rufe „geh nach Hause!“„Ich werde nicht nach Hause gehen.“Pfeifen. „Ich habe dieses Ergebnis zu vertreten.“Rufe: „Raus! Hau ab hier!“Pfeifkonzert. „Raus hier!“Die Mehrheit der Beteiligten verlässt das Zelt.
Das zum Schluss konnte man nicht gut verstehen. Als der Gewerkschaftssekretär gesagt hat, er geht nicht, hat jemand gerufen „gut, dann gehen wir raus“. Sie sind dann auch geschlossen rausgegangen aus diesem Zelt. Und es hat dann ein paar Stunden lang draußen eine Diskussion gegeben, ob es möglich wäre, den Streik weiter zu führen. Es wurde dann auch darüber geredet, ob es möglich wäre, ein eigenes Streikkomitee zu wählen. Das ist dann aber nicht passiert.
Wer es genauer wissen will, hinten in der Wildcat, auch in einem Flugblatt einer anderen Gruppe, die beim Streik in Berlin da waren, die auch Interviews mit Kolleginnen und Kollegen gemacht haben, ist es ein bisschen genauer beschrieben. Es fehlte wohl ein Kern, der das wirklich in die eigene Hand hätte nehmen können. Es ist auch sehr problematisch. Denn es gab eine klare Ansage. Die IG Metall hätte den Streik nicht mehr unterstützt, es hätte kein Streikgeld mehr gegeben. Und es hätte auch zu fristlosen Entlassungen, zum Verlust der Abfindung kommen können, weil es nicht mehr von der Gewerkschaft getragen war.
So weit nur, um zu zeigen, welche neuen Elemente es in solchen Kämpfen gibt. Das waren jetzt die spektakulären. Es gibt aber auch viele kleine, und wir bemühen uns, die zu dokumentieren. Der komplette Film wird wahrscheinlich im Mai fertig sein, und der Filmemacher hat zugesagt, dass er den als Freeware zur Verfügung stellt. Vielleicht könnt ihr dazu ja noch einmal eine Veranstaltung machen.
Jetzt wird A. etwas zum Buch sagen.
Zwischenfrage: Die Demo in München hat dann nicht stattgefunden und der Bus ist zurück gefahren?
Antwort: Also der Bus, das war am Mittwoch. Am Morgen hat der das Ergebnis bekannt gegeben, und da waren die Busse schon zurück beordert. Zwei Tage später im Zelt waren auch schon die Leute, die beim Bus mit waren. Im Bus gab es auch die Diskussion, dass sie überlegt haben: fahren wir jetzt trotzdem weiter oder nicht? Da gab es auch Unklarheiten, und einer sagte das sehr schön: Wir standen vor der Frage, ob wir auf eigenes Risiko weiterfahren, oder ob wir die nächste Raststätte anfahren und uns besaufen. Dann hätte man sich doch für das Besaufen entschieden.
Der Frust war schon sehr groß, aber es war auch keine Kraft da, die gesagt hätte, okay, wir nehmen das in die eigene Hand, wir finanzieren die Busse. Das ist die Frage: Woran hat es genau gefehlt, oder was gehört dazu, so einen Kampf dann weiter zu führen? Darum geht es ja auch in diesem Buch.
A: Wir kommen also zu Gate Gourmet, oder erstmal zu dem Buch, das wir darüber gemacht haben. Als wir daran am Werken waren, haben Leute gefragt: „Was soll denn das? Ein ganzes Buch über so einen kleinen Streik? Und außerdem war der ja noch nicht mal erfolgreich.“Das stimmt auch. Das war wirklich ein kleiner Streik. Da waren gerade mal 80 Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligt an einer verlorenen Ecke an diesem Düsseldorfer Flughafen, wo insgesamt 15.000 Menschen arbeiten. Und es war auch materiell gesehen, vom Abschluss her, kein Erfolg. Denn sie sind losgezogen am Anfang mit einer Forderung nach 4,5% Lohnerhöhung, und sind auf einen unglaublich hartnäckigen Gegner gestoßen, einen Finanzinvestor, der diesen Konzern mittlerweile aufgekauft hatte. Mit dem einfach nicht zu reden war.
Und in der zweiten Hälfte dieses Streiks, dieses langen halben Jahres, wurde eigentlich nur noch über Verschlechterungen verhandelt. Und sie mussten am Ende tatsächlich, um überhaupt wieder einen Tarifvertrag zu haben, mit dem Arbeitsbedingungen halbwegs festgeschrieben sind – um nicht völlig in der Arbeit der Willkür ausgesetzt zu sein, was Arbeitszeiten, Schichten usw. angeht, mussten sie am Ende zustimmen, dass sie auf 7% Lohnbestandteile verzichten. Auch die Länge dieses Streiks deutet ja schon an, dass da keine Stärke war, dass die KollegInnen gegen diesen Gegner einfach nicht durchgekommen sind. Aber immerhin waren sie hartnäckig genug, so lange durchzuhalten, bis sie tatsächlich wieder einen Tarifvertrag hatten.
Wir fanden es trotzdem lohnend und notwendig, diesen langen Streik zu dokumentieren. Weil wir denken, dass diese ganzen Fragen, die C. vorhin an der Streikwelle aufgezeigt hat, dass die da alle exemplarisch und schlaglichtartig mit drin stecken. Und dadurch, dass diese Geschichte so lange gedauert hat, haben wir in diesen Streik einen ziemlich weitgehenden Einblick bekommen, den man bei anderen Streiks, die nach einer Woche oder so erledigt sind, so nicht kriegt. Also wir denken, dass in diesem Streik sowohl die Probleme von heutigen Streiks klar geworden sind, aber auch so kleine Ansätze, die es geben könnte, damit man wirklich wieder Macht entfalten könnte.
Das typische Problem war der Streikbruch. Ab dem ersten Tag waren die Streikenden mit massivem Streikbruch durch Leiharbeit konfrontiert. Die Firma hat einfach massenhaft Leiharbeiter, mehr, als normalerweise Personal dort ist, in den Betrieb geschickt. Und sie haben es tatsächlich geschafft, die Produktion halbwegs aufrecht zu erhalten. Sie hatten zwar ein paar Probleme, aber sie haben es irgendwie hingekriegt.
Die andere Geschichte, die sich auch durch den ganzen Streik hindurchgezogen hat, ist, dass die ArbeiterInnen, um dagegen anzukommen, um dagegen eine wirkliche Macht zu entwickeln und wirklich zu kämpfen, nicht nur mit dem Gegner, mit dem Kapital konfrontiert waren, sondern auch mit ihrer eigenen Gewerkschaft, die ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch gebremst hat, weil sie aus diesem Streik aussteigen wollten und das alles nicht mehr wollten, was da an Aktionen lief.
Trotzdem denken wir, dass es da auch ganz positive Ansätze gab. Das erste ist einfach die Tatsache, dass es überhaupt zu diesem Streik gekommen ist. Dass dieses „ya basta!“endlich auch in diesem Betrieb funktioniert hat, nachdem sie jahrelang Zugeständnisse gemacht haben, sich unheimlich viel gefallen lassen haben, und selber noch unter unmöglichen Bedingungen versucht haben, die Arbeit zu schaffen. Also die Spirale von Arbeitshetze eigentlich selber noch mitbetrieben haben, wie sie dann in Interviews mit uns auch sehr selbstkritisch analysiert haben.
Aber wie sie dann trotzdem zu dem Punkt gekommen sind, wo diese ganze individuelle Wut, die in diesem Betrieb da war, dass sie daraus eine kollektive Aktion machen konnten. Das beschreiben wir dann später noch genauer.
Der zweite wichtige Punkt, den die Streikenden von Anfang an klar gemacht haben, war: es geht ihnen gar nicht um diese Forderung. Also es ist ja klar, man muss irgendeine verhandelbare Forderung aufstellen, um so einen Streik machen zu können. Aber die haben von unserem ersten Besuch an klar gemacht: „Es geht um die ganze Situation. Das ist überhaupt kein Leben mehr. Durch diese Flexibilisierung der Arbeit ist unser gesamtes Leben von dieser Scheiße bestimmt.“Sie hatten z.B. Schichten, sogenannte „Poolschichten“, da wussten sie, wenn sie angefangen haben zu arbeiten, nicht, ob sie fünf oder zehn Stunden im Betrieb sein würden.
Das war eine Vereinbarung, die der frühere, unternehmertreue Betriebsrat mal abgesegnet hatte, dass die Firma entscheiden kann, je nach Arbeitsanfall. Und das hieß, dass sie ihr Leben überhaupt nicht mehr planen können, mit Familien, Freunden. Also sie haben gesagt: „Wir haben völlig asozial gelebt, nur noch für die Arbeit.“Der Titel von diesem Streik, das Hauptstichwort, hieß dann auch „Menschenwürde“. Das Wort stand auch auf dem großen Transparent am Streikzelt.
Der dritte Punkt, der für uns wichtig war, weil er die positiven Ansätze zeigt, war die Selbständigkeit der Streikenden. Es war zwar ein normaler, gewerkschaftlicher Streik, also alles geregelt nach Gesetzen, kein wilder Streik. Trotzdem haben sie innerhalb dieses Gewerkschaftsrahmens eine ziemlich weit gehende Selbständigkeit entwickelt. Ab dem Moment, wo die Gewerkschaft gemeint hat, das hat alles keinen Sinn, wir müssen da rauskommen, haben sie klargemacht: „Nein, unser Minimum ist, dass wir einen Tarifvertrag haben. Und so lange stehen wir noch hier draußen. Und wenn das ein Jahr dauert, dann machen wir das ein Jahr.“
Sie haben es mit einem sehr geschickten Vorgehen auch geschafft, einerseits nicht wirklich mit der Gewerkschaft zu brechen, weil gerade in einem so langen Kampf war sie unverzichtbar, allein schon wegen dem Streikgeld. Wir hätten nicht für 80 Familien die Kohle auftreiben können. Sie haben es wirklich geschafft, zu keinem offenen Bruch zu kommen, Kritik nicht offen zu äußern. Aber auch immer wieder klar zu machen: „Das ist unser Betrieb. Und da gehen wir nicht weg.“
Das vierte, das uns wichtig war, das sind quasi wir selber. Es gab in diesem Streik eine ziemlich ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen einem Solidaritätskreis, der sich gebildet hat, also UnterstützerInnen von außen, und den Streikenden. Wo auch heftigere Aktionsformen eher von diesen sozialen Bewegungen (kamen), die mit ArbeiterInnenkampf und Streik auf recht ungewöhnliche Weise zusammen kamen. Anlass war dieser Streikbruch. Weil die einzige Möglichkeit, noch zu verhindern, dass die Arbeit reibungslos verlief, nachdem man in den Betrieb nicht reinkam, und auch die Leiharbeiter nicht davon überzeugen konnte, dass die das besser lassen, war dann, die LKWs, die das Catering von diesem Betrieb dann auf‘s Rollfeld liefern, zu blockieren.
Und wenn man das lange genug geschafft hat, dann hat das Flugzeug Verspätung. Und das ist das, was der Firma wirklich was kostet, das verursacht enorme Kosten. Die Kollegen haben das ganz am Anfang spontan selbst gemacht, sind einfach da vorgegangen, vor die LKWs, und haben sie blockiert. Sie sind dann aber sehr schnell zurück gepfiffen worden von der Polizei, aber auch von der Gewerkschaft, die gesagt hat, sie habe Angst davor, dass sie haftbar gemacht wird. Dass sie mit Schadenersatzforderungen konfrontiert wird. Und die den Druck auf die Streikenden weiter gegeben hat, indem sie gesagt haben: „Passt bloß auf! Um hier am Flughafen zu arbeiten, braucht ihr alle diese Sicherheitsüberprüfung. Das ist ein Sicherheitsbereich, für den man ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss.“Dann haben die denen gesagt: „Wenn ihr hier Blockaden macht, das ist eine Straftat. Wenn ihr deswegen ein Verfahren habt, dann seid ihr euren Job sowieso los, dann könnt ihr nicht mehr am Flughafen arbeiten.“
Da kamen wir dann in‘s Spiel. Weil wir arbeiten nicht am Flughafen, wir können da auch keinen Job verlieren. Nachdem wir eine Weile mit denen geredet hatten, haben wir gesagt: „Was würdet ihr denn davon halten, wenn wir das für euch machen? Wenn wir uns davor stellen.“Das fanden die prima. Und das haben wir dann auch ein paarmal gemacht. Dadurch ist über die ganze Länge der Zeit, die wir am Streikzelt waren, wo wir auch Veranstaltungen gemacht haben zu dem Streik, zusammen Fahrten zu anderen Orten organisiert haben, ein Vertrauensverhältnis entstanden. Und das hat es uns überhaupt erst möglich gemacht, dieses Buch so zu machen.
Was wir damit wollten: Wir denken einmal, dass da wichtige Erfahrungen gemacht worden sind, die Kolleginnen und Kollegen helfen können, die in einer ähnlichen Situation sind. Die einfach denken, hier muss was passieren. Wie machen wir das? Wie kommen wir dazu, zu streiken, zu kämpfen? Und andererseits auch unsere eigene Szene, dass wir denken, das hat ziemlich viel Leuten, die dabei waren, sehr viel Spaß gemacht. Wir haben sehr viele Leute, die früher eher in antifaschistischen, antirassistischen Gruppen waren, und mit Arbeiterkämpfen eigentlich nicht viel anfangen konnten, die haben das für sich entdeckt. Und das wollten wir auch versuchen weiter zu geben. Als Motivation für andere, sich solche Geschichten überhaupt erst mal anzusehen.
Wir wollten es aber nicht aus unserer Sicht schreiben, sondern vor allem aus der Sicht derjenigen, die den Streik gemacht haben, also den Arbeitern und Arbeiterinnen. Und dafür haben wir, auch nach Streikende, eine ganze Reihe sehr langer Interviews gemacht, gemeint, es sollte sich noch einmal getroffen werden, und haben dann meist noch so zwei Stunden geredet. Wir haben das leider zu spät angefangen, weil wir sind erst im fünften Streikmonat überhaupt auf die Idee gekommen, dass man so eine Dokumentation machen sollte. Wir haben dann in den letzten beiden Monaten des Streiks begonnen, Gespräche und Veranstaltungen aufzunehmen und Interviews zu machen. Aber die meisten Interviews sind erst danach entstanden.
Das hat den Nachteil, dass wir uns da nur noch mit Aktivisten verabredet haben, und die Streikenden, die nicht so im Vordergrund standen, nicht so auffielen, die sich mehr im Hintergrund gehalten haben, die das aber auch alle ein halbes Jahr lang getragen haben, die haben vielleicht eine andere Meinung. An die wir aber leider nicht mehr herangekommen sind.
Andererseits hatte die Geschichte so den Vorteil, dass wir bereits relativ viel wussten, von den Gesprächen am Streikzelt. Und das war auch eine Voraussetzung dafür, dass dieses Buch so gemacht werden konnte. Die KollegInnen erzählen da teilweise unheimlich genau und auch selbstkritisch, was da alles passiert ist. Wie sie selber mitgespielt haben. Was sie dagegen gesetzt haben. Ich finde, dieser Teil „vor dem Streik“ist fast eine Anleitung: wie kann man sowas machen? Das ist durch diese Zusammenarbeit mit diesen Kollegen, die den Prozess der Buchentstehung begleitet haben, möglich. Auch die Fotos, die wir hier als Diashow zeigen, die sind alle nicht von uns, sondern von den Streikenden.
Das ist ein Lesebuch geworden. Wir haben etwa einen Kollegen gefragt, ob wir uns mit ihm zu einem Interview treffen können. Und er meinte, ach nee, er würde eigentlich lieber selbst etwas schreiben. Und so ist dieses sehr persönliche Streiktagebuch entstanden, das in dem Buch ist. Nur noch zum Anfang: Der Einstieg ist London-Heathrow, mit dem Streik, der dort im August 2005, also vor dem in Düsseldorf, war. Der ist auch bekannt geworden, weil da hat in London das Bodenpersonal von British Airways aus Solidarität mit den Gate Gourmet-ArbeiterInnen einen Streik gemacht. Mit dem sie drei Tage lang den gesamten Flughafen lahmgelegt haben. Und das mitten in der Sommerzeit. Es sind da zehntausende von Urlaubern betroffen gewesen. Das hat gezeigt, welche Macht da dahinter steckt.
Das war für uns auch total wichtig. Und gerade in so einem multinationalen Konzern liegt es nahe, dass man sich besucht, um den Internationalismus praktisch werden zu lassen. Das haben zuerst die KollegInnen aus Heathrow versucht, als sie gehört haben, jetzt wird in Düsseldorf gestreikt. Da haben sie gleich versucht anzurufen, ein mail zu schicken. Und natürlich an eine greifbare Adresse, das war die Gewerkschaft NGG. Die Gewerkschaft wollte aber mit denen nichts zu tun haben. Denn die Leute, die dort noch bis vor kurzem weitergemacht haben, für ihre Wiedereinstellung, haben das gegen ihre Gewerkschaft gemacht. Die Gewerkschaft hatte dort auch einen Kompromiss ausgehandelt, der für viele nicht in Ordnung war. Und die haben gesagt: „Wir kämpfen weiter um die Wiedereinstellung.“
Und daraufhin hat die Gewerkschaft in Düsseldorf gesagt: „Nee, das sind Leute, die gegen unsere Schwestergewerkschaft aktiv werden. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben.“Und deswegen ist die Anfrage von den Leuten aus London nie an die Streikenden in Düsseldorf weitergegeben worden.
Durch Zufall hat aber jemand von uns im Internet gesehen, da gibt es ja immer noch einen Konflikt, das ist ja gar nicht vorbei in London. Das haben wir gar nicht gedacht. Und dann haben wir mit ihnen Kontakt aufgenommen und haben dann auch zwei ArbeiterInnen eingeladen, die mit einer Unterstützerin zusammen nach Düsseldorf gekommen sind. Und es ist dann im Gegenzug eine ganze Gruppe von Streikenden und UnterstützerInnen nach London gefahren.
Das war ein recht schöner internationaler Austausch. Es hat auch an ein paar anderen Standorten Solidaritätsaktionen gegeben. Und vor allen Dingen sind wir da auf die Frage gekommen, was eigentlich so ein Flughafen ist.
Filmclip
Am Flughafen Heathrow hat ein 24stündiger Streik des Bodenpersonals von British Airways den Reisenden zu schaffen gemacht. Weltweit warteten seit gestern abend 70.000 Passagiere der Gesellschaft vergeblich auf ihre Maschinen. In den vergangenen Stunden kam der Flugbetrieb langsam wieder in Gang. Hintergrund des Streiks waren Entlassungen bei einer Catering-Firma, die für British Airways arbeitet.
Einen Tag nach dem Streik auf dem Londoner Flughafen Heathrow hat sich die Lage heute deutlich entspannt. Mehr als 80% der Maschinen von British Airways starten nach Angaben der Fluggesellschaft wieder planmäßig. Viele Reisende warten aber noch immer auf ihre Flüge. Gestern waren durch den Streik des Bodenpersonals von British Airways mehr als 500 Flüge abgesagt worden.
C: Ich möchte nicht genauer den Streik in Heathrow beschreiben, das steht ausführlich im Buch drin. Und wir möchten ja noch ein paar Exemplare vom Buch heute abend verkaufen. Ich möchte auf einen anderen Punkt aufmerksam machen, die in Zusammenhang mit den Fragen steht, die ich einleitend genannt habe. Wirksam streiken, Druck machen gegen das Kapital – können wir das noch? Das zeigt das Beispiel dieses Streiks in London-Heathrow sehr gut. Dass es selbst im globalisierten Kapitalismus, oder gerade im globalisierten Kapitalismus Machtpunkte gibt, Ansatzpunkte, für die ArbeiterInnen, sich durchzusetzen.
Das Spannende an Heathrow, und warum das auch bei uns in Deutschland in der linksgewerkschaftlichen Szene sehr stark beachtet wurde, war ja, dass dort, vermittelt durch einen Konflikt bei einer, ich sage mal besseren Frittenbude am Flughafen der internationale Luftverkehr für ein paar Tage lahmgelegt, oder durcheinander gebracht wurde. Das war natürlich vermittelt über diesen Solidaritätsstreik, diesen Folgestreik bei British Airways. Es war nicht einfach nur ein Solidaritätsstreik, sondern die Leute von British Airways, die dort gestreikt haben, die haben auch ihre eigene Rechnung mit ihrem eigenen Unternehmen offen.
Sie hatten die letzten beiden Jahre zuvor auch immer gestreikt, auch immer im August, weil – das ist ein wichtiger Unterschied zu Gate Gourmet in Düsseldorf – wenn ein Flughafen streiken will, dann muss er das im Sommer tun. Weil dann der höchste Flugbetrieb ist, und da der meiste Schaden angerichtet, der meiste Druck ausgeübt werden kann. Flughäfen sind deswegen ein interessantes Feld, auch wenn wir sie selbst bisher nicht so im Auge hatten, weil sie auch dieser Globalisierungsideologie widersprechen.
„Wir können alles verlagern, wir bringen alles nach China.“Ja, verlager mal den Düsseldorfer Flughafen nach China. Das wird nicht sehr sinnvoll sein. Den Wiener Flughafen, da können die Lohnkosten in Thailand noch so billig sein, den möchte niemand nach Thailand verlagern.
Zwischenrufe: Aber nach Bratislava!
C: Das heißt, solche zentralen Knotenpunkte im internationalen Transport folgen einer anderen Logik als der, die uns immer verkauft wird, beliebige Verlagerung. Und dort kann sehr wohl ein Druck ausgeübt werden. Dazu kommt, dass Flughäfen im Grunde wie eine große Fabrik funktionieren. Dort laufen verkettet verschiedene Prozesse ab, da kommen in schneller Folge Maschinen runter, die landen, betankt, beladen, mit Passagieren befüllt werden, und wieder abheben. Da steckt großes fixes Kapital drinnen, vor allem in den Flugzeugen. Und es ist sehr wichtig, dass das alles sehr schnell passiert, damit die Standzeiten auf dem Boden gering sind.
Das heißt, die ganze Maschinerie muss gut funktionieren, miteinander funktionieren für die Profitinteressen des dahinter stehenden Kapitals. Und solche Flughäfen sind eben große Konzentrationen, Zusammenballungen von Arbeitskräften. Ihr kennt wahrscheinlich eher den Wiener Flughafen als den Düsseldorfer. Von der Größe her sind beide etwa vergleichbar. Im Schnitt, sagt man bei großen Flughäfen, kommen auf eine Million Passagiere pro Jahr 1.000 Beschäftigte. Ich habe jetzt nur Zahlen aus einer Arbeitskräftestudie von 1999 für den Wiener Flughafen gefunden, auf die Schnelle. Da sprechen sie von etwa 12.000 direkt am Flughafen Beschäftigten. Das heißt, es ist eine große Fabrik mit 12.000 Beschäftigten, und damit eine der größten Fabriken in Wien, schätze ich mal.
Interessant ist auch: das ist ein durchaus boomender Bereich. Die Leute werden zwar auch prekarisiert, gerade auf Flughären wird ausgesourcet, werden Produktionseinheiten zerschlagen, in kleine Untereinheiten zerschlagen. Aber nach dieser Studie, die die 90er Jahre für den Wiener Flughafen abdeckt, ist der Beschäftigungszuwachs am Wiener Flughafen in der Zeit stark über dem nationalen Durchschnitt gelegen.
Da gibt es also Möglichkeiten, Druck auszuüben, und durch diese enge Kooperation kennen sich die Leute aus. Das ist etwas, das wir auch aus den Interviews erfahren haben. Man kennt sich untereinander, wer auf dem Rollfeld arbeitet. Die müssen da auch zusammenspielen. Auf der einen Seite ist da die Kooperation, das soziale Geflecht, und das könnte auch dazu dienen, sich in den Kämpfen zu unterstützen. Und das war natürlich auch eine Idee, die es in diesem Streik gab. Man muss aber auch sagen, das ist widersprüchlich. Auf der einen Seite müssen die Leute kooperieren. Aber genau dieser Zwang zum Kooperieren schafft auch eine Konkurrenz, schafft auch Streit untereinander. Das hat uns ein Streikender einmal so beschrieben:
A: „Zum Beispiel ist es passiert, und das war nicht der seltenste Fall, dass du die Tür aufmachst, und da die alte Crew und die neue Crew gleichzeitig auf dem Flieger sind. Und dann kommt noch die Putzkolonne von der Firma Klüh dazu, und die Techniker. Dann hast du auf vier Quadratmetern, die du zur Verfügung hattest, 10 Leute gehabt, und du musstest deine Container da reinräumen. Da sind Staubsauger durch die Gegend geflogen. Da ging‘s richtig zur Sache. Sie haben dir die Kabel da langgelegt, genau in der Tür, wo ich rein musste. Du kommst da mit dem Wagen nicht drüber. Also: Kabel raus, der Staubsauger ist rumgeflogen. ‚Ihr Blöden, ihr seid ja wohl bekloppt!‘ Und die genauso, die mussten ja auch fertig werden.“
C: Das heißt, diese Kooperation in der kapitalistischen Arbeitsorganisation ist natürlich immer eine, die gleichzeitig als eine Atomisierung, als ein Gegeneinander, als Konkurrenz der Leute organisiert wird. Man könnte auch sagen, das ist ein allgemeines Kennzeichen eben dieser Widersprüchlichkeit, der kapitalistischen Arbeitsorganisation, so eine verdrehte, verkehrte Form von Gesellschaftlichkeit von Arbeit. Die Leute wirken zusammen. Das Ganze funktioniert nur, weil sie zusammenwirken. Aber es wird gleichzeitig so organisiert, dass es den Arbeiterinnen und Arbeitern untereinander als ein Gegeneinander, als eine Konkurrenz erscheint.
Und das ist im Grunde auch das, was sie für Gate Gourmet selber beschrieben haben. Das fanden wir sehr interessant, wie sie im Nachhinein, durch den Streik, vielleicht auch durch die vielen Gespräche, auch in den Interviews immer wieder selber darauf reflektiert haben: Wie konnte es dazu kommen, dass die Verhältnisse so schlimm waren? Wir haben da selber auch mitgespielt. Vielleicht hören wir erst mal, wie ein Arbeiter das erklärt.
A: „Wir waren eine dermaßen zerstrittene Belegschaft. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis es zu dem Streik gekommen ist. Wir waren immer schon zerstritten, aber wo das losging mit dem Streiken, da ist es noch krasser geworden. – Die Vorgabezeiten sind damit gemeint. – Weil du so rennen musstest. Und wenn du bei Frühdienst sechs Maschinen hattest, dann ist dir jeder im Weg rumgerannt. Jeder kam mit seinem Wägelchen angefahren: „Geh mal weg, ich muss mich beeilen.“ Dadurch, dass du deine Arbeit komplett alleine fertig gemacht hast, musstest du natürlich sehen, dass du die Zeiten irgendwie einhältst.
Wenn du jemand so unter Zeitdruck setzt, dann ist jede Kleinigkeit, jedes kleine bisschen, das dich aus deinem Rhythmus rausbringt, dein Feind. Und so sind auch die Mitarbeiter untereinander immer mehr aneinander geraten. Dadurch, dass wir immer mehr unter Kontrolle standen, und der Tagesablauf minutiös durchgeplant war, musste alles dein Feind sein, was dir die Zeit kaputt macht. Weil du danach noch mehr rennen musstest. Dadurch ist eine unheimliche Spannung untereinander entstanden.
Wir wundern uns heute noch, dass die Belegschaft so geschlossen da draußen steht. Die Mädels in der Produktion, die wurden nur angepfiffen: ‚Wo bleibt das Essen? Ich muss rausfahren. Du nimmst mir die Zeit weg!‘ Wir haben uns nur angeblökt.“
C: Ich denke, das ist ein ziemlich allgemeines Phänomen, dass der Druck des Kapitals, der Druck von oben zunächst unten so verarbeitet wird, dass nicht ein Gegendruck entwickelt wird, nicht gegen das Kapital vorgegangen wird. Sondern die Leute sich untereinander bekriegen. Die ganzen Phänomene von mobbing, die Verhältnisse, wie die Leute gegenseitig in eine Feindschaft geraten. Das bringt er hier ganz gut auf den Punkt, indem er zeigt: Der Druck wird erstmal so verarbeitet, dass ich versuche, als atomisierter, als vereinzelter Arbeiter, meine Zeiten zu schaffen, um irgendwie da mit zu kommen.
Und dadurch, dass ich mich so atomisiert sehe – und ich werde natürlich von oben her auch so behandelt und kontrolliert, dafür hat ja auch McKinsey gesorgt mit seinen Methoden dort – gerate ich in Gegensatz, in Feindschaft zu den anderen. Und das ist ein Mechanismus, ich denke, das ist ganz wichtig, den auch zu verstehen. Wie der abläuft. Das wird im Buch noch ausführlicher deutlich aus den Zitaten, die sie da bringen. Was natürlich ganz interessant war: Wie bringen wir so etwas zum Kippen? Das fällt nicht einfach so um. Das kann bis in‘s Unendliche in‘s Leere laufen, und die schlimmsten Folgen haben.
Und es war ganz entscheidend, dass ein paar Kollegen dort gesagt haben: „Wir müssen jetzt dem entgegen arbeiten. Wir müssen dem etwas entgegen setzen.“Man kann schon fast sagen, sie haben dieses Ziel, die Leute sollen rausgehen, streiken, das war schon fast gedacht als therapeutische Maßnahme dagegen, dass die Leute sich selbst fertig und verrückt machen. Wörtlich sagt einer: „Die Leute müssen rausgehen, sonst werden sie krank, oder wegen Schlägereien gekündigt oder sonst was.“Also streiken als letztes Mittel, damit die Leute nicht in die Psychiatrie kommen.
Das war auch die Idee bei einigen, die das sehr hartnäckig verfolgt haben und daran gearbeitet haben, untergründig da hin zu kommen, einen Ausweg aus dieser fatalen Situation, aus dieser Konkurrenzfalle, in der die Leute heute alle drinstecken, zu finden.
Eine Nachbemerkung zum Buch: Wir haben großes Glück gehabt, auch aufgrund des Vertrauensverhältnisses, das sich durch die Streikunterstützung entwickelt hat, dass die Leute bereit waren, sehr ehrlich, schonungslos über diese Probleme zu reden. Das wird meistens hinter einer Fassade verborgen, auch in linken Kreisen. Man möchte da nicht ganz offen und schonungslos darüber reden. Das kann ja auch peinlich sein, für einen selber. Das ist bemerkenswert, dass wir dort im nachhinein, und weil es zum Streik gekommen ist, GesprächspartnerInnen gefunden haben, die das so analysiert haben.
Das ist auch ein interessanter Aspekt auf Veranstaltungen, wo wir das Buch vorgestellt haben und mit Leuten diskutiert haben, dass gerade zu dieser Frage viele sagen – die aus ganz anderen Bereichen kommen, aus Krankenhäusern oder sonstwo – damit konnten sie etwas anfangen. Weil sie sich darin wieder erkennen.
A: Gut, jetzt kommen wir zu dem Streik. Das, was ein Rezensent „Anatomie eines Streiks“genannt hat, hat uns eigentlich ganz gut gefallen. Denn in Zitaten von Kollegen wird beschrieben: was ist vorher gewesen? Wie ist es dazu gekommen? Was ist während des Streiks abgelaufen? Und was ist nachher im Betrieb noch weitergegangen? Zur Vorgeschichte möchte ganz kurz beschreiben, wie da überhaupt die Arbeit aussieht.
Es gibt eine Produktion, in der aber wenig Küchenarbeit anfällt. Das ist in erster Linie eine Bestückungsarbeit. Da werden diese Tabletts für‘s Catering zusammengestellt. Die meisten Sachen kommen von irgendwo anders. Das Essen kommt von anderen Fabriken und wird tiefgekühlt angeliefert. In der Produktion, das ist eine relativ kleine Abteilung, werden dann diese Tabletts zusammengestellt. Es gibt außerdem noch Lager, wo Zollwaren und andere Sachen, die auf den Flieger müssen, gelagert und dann ausgegeben werden.
Und die größte Abteilung ist der Transport. Das waren mal 95 Fahrer, die dann das endgültige Catering zusammenstellen, auf den LKW packen, zum Flieger fahren und da verstauen. Nach der Umstrukturierung sind von denen nur noch 37 übrig geblieben.
Ein wichtiger Aspekt in dieser Vorgeschichte ist die Umstrukturierung. Gate Gourmet ist von der Texas Pacific Group aufgekauft worden, einem Finanzinvestor, die das Ziel haben, einen Betrieb schnell umzustrukturieren, um ihn dann mit großem Gewinn weiter zu verkaufen. Der Vertrag war noch nichtmal so richtig unterschrieben, da schickte die Firma schon McKinsey in den Betrieb.
Die haben dann diese gesamten Arbeitsabläufe analysiert und sich angesehen: wo können wir hier noch was einsparen? Wo können wir Sachen vereinfachen? Das hat ein Fahrer recht gut erzählt:
C: „Man hat sofort angefangen, die Arbeitsprozesse zu zerlegen. Früher waren die sehr komplex. Weil der Fahrer alles gemacht hat. Damit das alles ein Mitarbeiter machen kann, muss das ein eingearbeiteter sein, der auch bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten hat. Dadurch, dass sie die Arbeitsprozesse so klein zerlegt haben, konnte das nachher jeder Dumme. Es war schon da klar, dass es darauf hinauslaufen sollte, dass billige Arbeitsplätze auf Dauer die Arbeit erledigen sollten. Das war abzusehen. Kurz, nachdem McKinsey weg war, wurde der Anteil der Fremdfirmen im Haus größer. Es war geplant, Fahrer, die aus Altersgründen ausscheiden, nicht mehr zu ersetzen. Der Fahrer sollte nur das machen, wofür er bezahlt wird, nämlich fahren. Das Packen haben nur noch Fremdfirmen gemacht.
Am Anfang habe ich denen die Zettel gegeben, dann ist das ausgegliedert worden zum Zollager, als Packabteilung. Viele unserer Mitarbeiter haben nicht gesehen, was da passieren würde. Die haben 14 Jahre in einem Betrieb gearbeitet, wo Ende des Jahres Tarifverhandlungen waren, wo der Chef gesagt hat „ich gebe euch 2%“, der Betriebsrat wollte 3%, dann gab‘s 2,2%. Denen wurde alles abgenommen, die haben in einer heilen Welt gearbeitet. Die haben gedacht: „Ist doch gut, dass ich nicht mehr packen muss. Ist doch schön.“ Aber wenn wir dann wenig zu fahren haben, was heißt das dann im Umkehrschluss? Der Chef hat gesagt, dass die Leute zu viel verdienen, weil die was machen, was jeder kann. Die Fahrer waren so naiv zu glauben, sie wären unersetzbar. Aber selbst ich bin nicht unersetzbar.“
A: Der das erzählt, ist außerdem noch Vorarbeiter, das hört man auch ein bisschen. Er spricht da von der heilen Welt. Das ist genau das, was ganz lange auch Kämpfe da verhindert hat. Die Kolleginnen und Kollegen von Gate Gourmet haben sich wirklich in einer sehr weit gehenden Weise mit ihrer Firma identifiziert. Auch mit dieser Arbeit am Flughafen. Die meisten haben da schon sehr lange gearbeitet, 10, manche über 16 Jahre. Und als sie angefangen haben, war Fliegen ja noch was viel mehr Besonderes. Das haben sie auch gesagt, am Flughafen zu arbeiten, das war eine besondere Geschichte. Das war nicht wie ein normaler Betrieb. Inzwischen ist das ja eher ein Massenbetrieb geworden. Auch Arbeiter können sich Fliegen leisten. Und entsprechend ist auch das Image der Arbeitsplätze total in den Keller gegangen.
Früher galt das als toller Beruf. Inzwischen, denke ich, ist allgemein klar, dass ist halt ein Kellnerinnenberuf mit zusätzlichen Belastungen. Wird ja auch immer schlechter bezahlt. Gut, die haben aber ganz lange noch dieses „Virus“, wie sie selber es gesagt haben, drinnen gehabt: „Wir müssen es schaffen, für unsere Firma, wir reißen das irgendwie raus. Wir sind die Tollen, wir kriegen das hin. Wir werden hier mit allen Anforderungen fertig.“Es ist auch nicht ein ganz ruhiger Arbeitsablauf, sondern es passieren ständig unvorhergesehene Sachen bei dieser Arbeit. Dass ein Flugzeug zu spät ankommt, dass etwas kaputt ist und ausgetauscht werden muss.
Das heißt für die Caterer jeweils, dass sie sich auf neue Situationen einstellen müssen und damit fertig werden müssen. Da waren die eben sehr stolz drauf und haben immer noch gesagt „wir kriegen‘s hin“. Und damit haben sie das selbst völlig mit auf die Spitze getrieben.
McKinsey ist da auch ziemlich geschickt vorgegangen. Die haben das auf eine spielerische Art gemacht. Man durfte die auch duzen. Die haben die dann Autos zusammenbauen lassen, kleine Spielzeugautos. Und haben gesagt „so, jetzt guckt doch mal: wie kriegt ihr das am Besten hin?“Und haben die Arbeiter und Arbeiterinnen dahin gebracht, dass die praktisch selbst angefangen haben zu überlegen: wie kann man Abläufe optimieren? Wie kann man das besser machen? Und sie haben nachher die Vorgabezeiten, um so ein Auto zusammen zu bauen, noch übertroffen.
Sie haben sehr gut erklärt, wie diese McKinsey-Leute sie immer dazu gebracht haben, das zu machen, was sie, also McKinsey, wollte. Aber dass man selber dachte: ich habe das gemacht. Das ist die Vorgeschichte von oben, die McKinsey-Technik. Aber auch bei Gate Gourmet gab es eine Vorgeschichte von unten zu diesem Streik, klar.
Denn auch spontane Kämpfe haben meist eine Vorgeschichte. Man hätte das so nicht gedacht. Es wirkte so, dass plötzlich diese Belegschaft draußen steht. Aber überall, wo so etwas plötzlich passiert, wenn man genauer hinguckt und die entsprechenden Gesprächspartner findet, dann findet man auch immer irgendwie Leute, die im Untergrund herumgewühlt und das vorbereitet haben. Spontan heißt in keiner Weise unorganisiert. Wir sind immer auf der Suche nach diesen spontanen und wilden Streiks, nicht weil wir etwas gegen Organisation hätten. Sondern weil wir im Gegensatz stehen zu den institutionalisierten und ritualisierten Kämpfen, die Gewerkschaften führen, die oft wirklich ein Täuschen sind. Man lässt die Muskeln spielen und sagt „wir könnten ja, wenn wir wollten. Aber eigentlich wollen wir gar nicht kämpfen.“
Das ist eben der Grund, warum wir immer suchen, wo gibt es die spontanen Kämpfe, wo die Leute es wirklich ernst meinen und sagen, wir wollen hier wirklich was. Und wie gesagt, wenn man keine formelle Organisation hat, dann ist dafür eigentlich eine viel bessere Organisation nötig, um sowas hinzukriegen.
Das war für uns, für diese ganze Soligeschichte wichtig, mitzukriegen, wer eigentlich die Kolleginnen und Kollegen waren, die eine aktive Rolle gespielt haben. Weil wenn man erst unbekannterweise zu einem solchen Streikzelt kommt, dann ist oft die erste Reaktion, wenn man Leute anspricht, dass sie sagen: „ja, da drüben ist der Gewerkschaftssekretär, der ist zuständig. Red‘ mal mit dem.“Von dem erfährt man natürlich gar nichts außer irgendwelche offiziellen Forderungen und offiziellen Verlautbarungen.
Und für diese Zusammenarbeit, also für die Blockade, die wir in Absprache mit den Streikenden gemacht haben, war es für uns natürlich ziemlich wichtig, dass wir die Leute kennengelernt haben, die genau diesen aktiven Streik führen wollten.
Solche Strukturen sind aber natürlich nicht so einfach von außen zu erkennen. Dürfen sie auch nicht, sonst würden sie nicht mehr wirken. Und bei Gate Gourmet war es eben auch so, dass einige Kollegen lange vorher Wühlarbeit geleistet haben, um einen Streik vorzubereiten, um den überhaupt hinzukriegen. Das lief einerseits oft schon auf der Institutionsebene, dass sie es geschafft haben, den Betriebsratsvorsitzenden, der vorher alles abgesegnet hat, was die Firmenleitung wollte, dass sie den abgesägt haben. Aber es gab neben dieser Betriebsratsebene, also der offiziellen Funktion, auch Kollegen, die das U-Boot, wie sie das selbst genannt haben, gebildet haben, und im Untergrund aktiv waren.
C: „Diese ganze Untergrundarbeit, die hat zu dem Streik geführt. Du hast dir die Leute rausgepickt, mit denen du darüber reden konntest, dass es so nicht weiter geht. Du hast denen bewusst gemacht, was sie kaputt macht. Sie hatten ja nicht mehr die Zeit gehabt nachzudenken. Was macht mich denn überhaupt hier kaputt? Warum ist der Krankenstand hier so hoch? Wir waren ein paar Leute, und um uns rum hatten wir Kollegen, auf die du dich verlassen konntest, dass die das auch weiter tragen.“
A: Ja, die meisten, die wir interviewt haben, haben gesagt, dass sie vorher überhaupt nicht an Streik gedacht haben. Also dass es ihnen ziemlich unvorstellbar war, dass sie sowas mal machen würden. Aber es gab einige von diesen Kollegen, die da im Untergrund aktiv waren, die haben das geschnallt. Die haben gesagt: Hier hilft überhaupt nichts anderes mehr. Wir müssen hier raus, und wir müssen die Leute hier raus kriegen. Was ihre untergründige Arbeit war, das war, quer über die ganzen Abteilungen ein Netz zu knüpfen, das dann so eine Aktion auch wirklich tragen konnte.
C: „Wir haben versucht herauszufinden, wer hinter uns steht, wem wir vertrauen können. So haben wir damals angefangen, die Untergrundorganisation zu basteln. Wir mussten es ja bei allen probieren. Ich wusste von der X. nur, dass sie gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden sehr zurückhaltend war, und kritisch. Wir sind alle einzeln durchgegangen, und bei denen, wo wir gemerkt haben, dass wir ihnen vertrauen können, da haben wir gesagt: ‚Die gehören zur Mannschaft. Die gehören nicht da hin. Diese gehören da hin.‘ Wir haben praktisch in jeder Abteilung Leute gehabt, ein Netz, um von überall Informationen zu bekommen. Wir hatten das schon damals geplant gehabt.
Die Leute müssten rausgehen, sonst würden sie krank oder wegen Schlägereien gekündigt oder sonstwas. Wir haben überlegt, wer wen mitnehmen kann. Sonst hätte das nicht funktioniert. Unser Ziel war es, rauszugehen.“
A: Von diesem sogenannten U-Boot haben uns einige Kollegen sehr ausführlich und genau berichtet. Wir haben aber dann gemerkt, dass es eigentlich eine noch untergründigere Geschichte gab, wo wir nicht so einen Zugang gefunden haben: das, was die Frauen da so gemacht haben. Ich denke, das ist eine typische Geschichte, dass Männer dann im Nachhinein auch ganz stolz erzählen: Das haben wir gemacht, das haben wir gewollt. Die Frauen waren da viel zurückhaltender.
Wir wollten danach noch Interviews machen, die dann nicht mehr zustande gekommen sind. Die haben auch anders darüber geredet. Was aufgefallen ist, war, dass am Streikzelt die türkischen Frauen total entschlossen waren. Die haben auch immer klar gemacht, was ihr Mindeststandard ist. Die haben den Leuten, die dann in der Verhandlungsposition waren, wirklich klar gesagt: Unter dem Level braucht ihr gar keinen Abschluss machen. Da gehen wir nicht wieder rein.
Was wir mitbekommen haben ist, dass sie tatsächlich vorher, in der Phase, als McKinsey im Betrieb war, da waren die Frauen in der Produktion im Widerstand wesentlich erfolgreicher als die Fahrer. Die Fahrer, die auch sehr vereinzelt arbeiten, haben da teilweise noch mitgezogen, wie das im Betrieb immer heißt. Sie sind also immer noch wie verrückt gerannt, um das hinzukriegen. Da haben die Frauen in der Produktion ein solches McKinsey-Projekt verhindert, die Bestückung der Tabletts am Band.
Das ist für sie auch besser als Einzelarbeitsplätze, denn da können sie sich abwechseln und man ist einfach nicht so kontrollierbar. Und McKinsey wollte auch diese Kontrolle da reinbringen und wollte das Band zerlegen in lauter Einzelarbeitsplätze. Das haben die Frauen verhindert.
C: „Du kannst nicht jeden Tag im selben Tempo arbeiten. Am Band ist es ja so, dass jeder teilt. Manchmal gehe ich an die leichten Teile, manchmal gehe ich an die schweren Teile. Man hilft sich gegenseitig. Aber so musst du alles selber ranschleppen. Wenn das Band aufgebaut wird, dann holt jeder eine Sache, und in sieben, acht Minuten ist dann jeder fertig. Und das dauert am Tisch von einer Person! Vielleicht konnten wir das nicht machen, oder vielleicht wollten wir das nicht machen. Ich weiß es nicht. Das hat bei uns drei oder vier Stunden gedauert, bis wir eine Maschine fertig hatten.“
A: Die haben uns immer auf diese Art Sachen erzählt: Nicht so offen, nicht so direkt. Aber man hat schon mitgekriegt, da ist auch eine Menge los gewesen. Man hat auch organisiert krankgefeiert vorher. Das haben sie auch nicht so offen gesagt, aber das war so eine ähnliche Formulierung, darüber wurde das dann auch klar.
Dass es überhaupt zu einem Kampf kommen würde bei dieser Belegschaft, das hat sich wahrscheinlich keiner wirklich träumen lassen. Manche Kollegen mussten da auch echt über den eigenen Schatten springen, um das zu machen. Denen war das am Anfang regelrecht peinlich, als Streikender dazustehen oder Flugblätter zu verteilen. Sie haben das aber ziemlich gut gelernt. Und ein Kollege hat das sehr persönlich geschildert, was für eine schwierige Entscheidung das für ihn war.
C: „Ich persönlich, muss ich sagen, habe über Streik nie nachgedacht. Wir haben die letzten Jahre, wie Gate Gourmet reingekommen ist, drei Jahre vor dem Streik, immer mehr über Auswege nachgedacht, was man überhaupt machen könnte. Man hat am Anfang gedacht, man könnte vernünftig – das habe ich wirklich gedacht – man könnte vernünftig mit dem Chef reden. Weil mein ganzes Arbeitsleben war es immer so gewesen, dass man mit dem Chef so weit reden konnte, dass er einem zumindest zugehört hat. Und teilweise, wenn das begründete Sachen waren, dann auch recht gegeben hat. Oder er hat einem zumindest eine Antwort gegeben, die man nachvollziehen konnte: ‚Das geht nicht‘ oder ‚das geht diesmal nicht‘ oder ‚später machen wir das anders.‘
Ich habe mich immer als einen Arbeitnehmer betrachtet, der nicht grundsätzlich gegen die Firma ist. Muss ja nicht, ist ja dein Arbeitgeber. Wenn du nicht fähig bist, selbst eine Firma aufzumachen, dann musst du eben für jemand arbeiten. Das ist nun mal so, das ist die Realität. Und damit muss man sich abfinden. Aber man war immer anerkannt. Was der Firma gut tut, das tut mir auch gut.
Das hat sich bei der Firma hier nachher auf den Kopf gestellt. Die Entscheidung für den Streik war für mich schwer, weil das an meine bürgerliche Existenz an sich geht. Von meiner Herkunft her bin ich kein Streiker. Der Begriff Solidarität, das ist einfach Träumerei. Das ist nie die Gedankenwelt unserer Familie gewesen. Unsere Familie ist nie links gewesen und ist nie rechts gewesen, einfach so Bürger, die immer versucht haben, ihr Bestes zu machen und so gut wie möglich durch zu kommen.
Als die Urabstimmung war, war ich im Krankenhaus und kam gerade raus. Da konnte ich noch zur Urabstimmung gehen, und da habe ich gesagt: ‚Ja, irgend etwas muss passieren. Das ist vernünftig. Mit den Leuten nicht zu sprechen, das ist kein Verhältnis mehr.‘ Trotzdem war es nicht so, dass ich Streik unbedingt als Mittel sehen würde, das mir direkt einfallen würde, um irgendwas gegenüber meiner Firma oder gegenüber meinem Chef durchzusetzen. Das zeigt ja, wie verzweifelt ich gewesen sein muss, dass ich für so einen Streik bin. Bei der LSG hätte ich nicht gestreikt. Aber sowas konnte ich mir nicht gefallen lassen. Da musste was gesetzt werden.
Wenn ich einen Hoffnungsschimmer gehabt hätte, wenn sie mich wenigstens mit irgendeinem Argument hätten ködern können, bei dem Gespräch nach dem Ende meiner Krankheit, dann wäre ich wahrscheinlich nicht rausgegangen. Aber die hatten einfach nichts. Die haben noch nichtmal versucht, mich zu bestechen.
A: Das haben einige erzählt, dass es für sie wirklich ein riesiger Schritt war. Dass sie sich vorher nicht vorstellen konnten, dass sie einmal mit einer Streikweste rumstehen. Aber dann ist es dazu gekommen. Und es war am Anfang ein ganz normaler, gewerkschaftlicher Streik. Alle haben gedacht, das geht jetzt ein paar Tage, und dann kriegt man halt ein paar Prozent, so wie das immer war. Oder eben auch ohne Streik war.
Am Anfang war auch die Gewerkschaft noch bereit, nachdrücklichere Aktionen zu machen. Am Anfang gab es von den Kollegen diese Spontanblockaden, und nach der 6. Streikwoche gab es dann auch eine größere Blockade, an der auch die Gewerkschaft beteiligt war.
Filmclip
Die 8. Woche und ein Ende ist nicht in Sicht. Die 80 Beschäftigten wehren sich gegen eine längere Arbeitszeit und Kürzungen beim Urlaub und Zuschlägen. Am vergangenen Freitag eskalierte die Lage, als ein LKW des Betriebs durch eine Gruppe von Streikenden fahren wollte. Gestern dann scheiterte auch der Versuch des Landesschlichters, für die verfahrene Situation eine Lösung zu finden.
Und so rüsten sich die Beschäftigten bei Gate Gourmet wieder für den Streik, denn eine Einigung scheint weit entfernt zu sein. Nicht nur die Außentemperatur sinkt, auch der Umgang vor den Toren des Betriebes wird frostiger. Ein privater Sicherheitsdienst wurde von der Werksleitung an der Mahnwache postiert. Nach dem gestern gescheiterten Versuch des Schlichters, Bewegung in die verhärteten Fronten zu bringen, baut die Gewerkschaft darauf, den längeren Atem zu haben.
Gewerkschafter: „Die Kosten laufen dieser Firma weg. Das ist völlig klar. Sie setzen weit mehr Personal ein als zu jeder Zeit, bevor der Streik da war. Wir gehen davon aus, dass der Kostenfaktor ganz enorm ist und sich das später für niemanden, auch in Amerika, wo die Geldgeber sitzen, rechnen wird.“
Betroffene Gesichter bei der Streikversammlung heute Vormittag. Dieter Schormann von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten berichtet, dass der Arbeitgeber keinerlei Entgegenkommen zeigt, und ruft noch einmal zur Geschlossenheit auf. Zu Mittag dann Besuch von einem Polizeibeamten. Er will nicht vor der Kamera sprechen und teilt der Gewerkschaft unter vier Augen mit: der Streikposten befindet sich auf dem Gelände des Betriebes, und die Geschäftsführung wolle, dass er bald geräumt wird. Die Räumung werde friedlich ablaufen, bekräftigt der Gewerkschafter gegenüber der Polizei.
Am vergangenen Freitag eskalierte allerdings die Situation, wie diese Videoaufzeichnung eines Beschäftigten zeigen. Ein LKW von Gate Gourmet versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, die die Ausfahrt blockiert hatte. Ein Beschäftigter wurde dabei leicht verletzt. Er kann es bis heute nicht fassen, was passiert ist.
A: Dieser LKW-Fahrer war übrigens ein Streikbrecher, der aus einer anderen Filiale aus Frankfurt gekommen ist. Die haben jetzt Tarifverhandlungen, und die müssen sich jetzt auch überlegen, nachdem sie damals nichts gemacht haben, ob sie streiken müssen.
Im Film sagt der Gewerkschafter noch, denen laufen die Kosten weg, die können das nicht durchhalten. Damit hat er sich leider gründlich geirrt. Ungefähr zwei Wochen später, im Dezember, hat die Tarifverhandlungskommission ein Verhandlungsergebnis ausgehandelt, das auch nicht besonders toll war. Aber dem die meisten zugestimmt hätten, um nach zwei Monaten den Streik zu beenden. Aber dazu kam es nicht.
Weil es am nächsten Tag von der Texas Pacific Group widerrufen wurde. Die haben einfach gesagt, was dieser Verhandlungsführer da vor Ort ausgemacht hat, das reicht uns nicht. Wir wollen größere Zugeständnisse.
Damals ist ihnen klar geworden, dass das ein knallharter Gegner ist, wo es schwierig werden würde, überhaupt durchzukommen. Und ab dem Moment hat dann die NGG versucht, irgendwie aus diesem Streik rauszukommen. Da haben sie aber nicht mit dieser wirklich enormen Hartnäckigkeit der Streikenden gerechnet. Denn dieses U-Boot, das vor dem Streik schon das Netz geknüpft hat, das hat auch innerhalb des Streiks als informelle Streikleitung fungiert. Immer, wenn sie den Eindruck hatten, die Gewerkschaft macht da irgendein Manöver, versucht, die Leute zu beeinflussen, haben sie dagegen gesteuert.
Einige Kollegen, es waren wirklich nur sehr wenige – manche haben gesagt sieben, manche haben gesagt zehn – die das aktiv gemacht haben, die teilweise Tag und Nacht an diesem Streikzelt gewesen sind, wenn sie gemerkt haben, die Kampfmoral bröckelt ein bisschen ab, wenn gesagt wurde: „Mensch, hat das überhaupt noch Sinn? Sollen wir nicht doch da reingehen?“Dann haben sie immer wieder da rumagitiert und haben es geschafft, dass wirklich diese Streikfront geschlossen stand.
Ganz am Anfang sind zwei, drei Leute wieder reingegangen, aus unterschiedlichen Gründen. Danach ist keiner aus dem Streik ausgestiegen.
Diese informelle Streikleitung war auch vertreten, oder hat ganz gut die Tarifkommission im Griff gehabt. Also die Kommission, die mit der Gegenseite verhandelt hat, und in der ja auch Arbeiter drinnen waren. Normalerweise ist das eine Geschichte, dass die Gewerkschaft verhandelt, und dann sind da noch ein paar Arbeiter dabei, die aber in der Regel das machen, was die Gewerkschaft vorschlägt oder sagt. Auch das war in diesem Fall anders.
Sie haben auch innerhalb dieser Tarifkommission auf allen Ebenen ihren Willen durchgesetzt und vor allen Dingen auch, dass sie das mit ihren Kollegen zusammen machen. Dass sie sich nicht auf dieser Institutionenebene isolieren lassen.
C: „Die Gewerkschaft hat versucht, die Tarifkommission zu spalten. Ihnen ist aber auch aufgefallen, dass wir uns vor jeder Verhandlung ein oder zwei Stunden vorher getroffen haben. Da kamen dann auch schon mal die Spitzen vom Bezirksleiter: ‚Na, habt ihr euch schon wieder einen neuen Plan ausgedacht?‘ Das hat ihn schon richtig geärgert.
Also die Zusammensetzung der Tarifkommission, die war top gewesen. Bis auf den Herbert, der ein bisschen entglitten ist. Aber den brauchtest du nachher, um unqualifiziert reinzuhauen. Ich habe nachher zum Herbert gesagt: ‚Komm, jetzt bist du dran!‘ Und dann hat er die Vertreterin der Arbeitgeber heruntergemacht nach Strich und Faden.
Dann war da die Selma, die sagt nicht viel. Aber die schreibt alles mit, die kann recherchieren: Wer hat was wann, wo gesagt? Und dann die Manu, die haut nur drauf.
Wir haben massiv die Belegschaft aufgeklärt über den Verhandlungsstand. Das hat die Gewerkschaft als nächstes angekotzt. Nach einer Verhandlung hieß es immer: Wie tun wir uns nach außen äußern? Eine Stunde wurde diskutiert, wie äußern wir uns gegenüber der Belegschaft? Da haben wir uns so gut gar nicht dran gehalten. Wir haben genau erzählt, was da abgelaufen ist. Dafür sind wir Tarifkommission, haben wir gesagt. Wir sind einfach dafür da, dass die Leute wissen, wo‘s langgeht.“
A: Diese wirklich sehr bewundernswerten Aktivisten, ein bisschen auch unsere Unterstützung, vor allem aber die gesamte Hartnäckigkeit hat immerhin dazu geführt, dass der Streik nicht völlig ohne Ergebnis abgebrochen wurde. Das kann man auf jeden Fall sagen. Wenn sie im Dezember aufgehört hätten, nicht bis April weitergemacht hätten, und sie wären ohne irgendeinen Abschluss, ohne einen Tarifvertrag wieder in den Betrieb reingegangen, dann wäre danach alles noch viel schlimmer gewesen, als es jetzt ohnehin war.
Insofern – ich habe vorhin gesagt, es war materiell gesehen, vom Abschluss her kein Erfolg, das stimmt sicher – aber insofern war es für die Streikenden doch ein Erfolg. Alle, die wir getroffen haben, persönlich, sagen: „Immerhin, wir haben gekämpft. Wir haben uns nicht unterkriegen lassen. Und wir haben das gemeinsam, ohne dass wir uns spalten haben lassen, zum Abschluss gebracht.“
Ich denke, alle, die an dieser Geschichte beteiligt waren, als Streikende, als Unterstützer, haben unheimlich viel dabei gelernt. Aber es haben sich auch ein Haufen Fragen gestellt, die wir in der Situation einfach nicht lösen konnten. Das Gravierendste war die Frage der Leiharbeit. Da hätte man vielleicht mehr machen können und müssen. Das haben wir einfach erstmal nicht hingekriegt. Das wird aber auf jeden Fall ein Thema sein, das wahrscheinlich in den nächsten Streiks immer wieder eine Rolle spielen wird. Wo man sich etwas einfallen lassen muss.
Und wir haben die ganzen Einzelheiten aufgeschrieben, weil wir denken, dass es Material und Erfahrungen sind, anhand derer man weiter diskutieren kann, wie wir auf diesem Weg weiter kommen. Und jetzt wollen wir in eine Diskussion mit euch kommen.
Diskussion
Frage: Die Ein-Euro-Jobber, die müssen diese Jobs annehmen? Die können nichts dagegen tun? Von Hartz IV aus, können sie solche Jobs ablehnen?
A: Also ich weiß nicht, wie es mit Ein-Euro-Jobbern rechtlich geklärt ist. Ich denke schon, dass man da was machen könnte. Aber es ist natürlich ein großer Schritt, weil du hast auf jeden Fall den Ärger. Prinzipiell: Wenn du dieses Arbeitslosengeld II kriegst, dann bist du verpflichtet, solche Sachen zu machen. Du kannst sie nicht ablehnen. Du kriegst Leistungen gestrichen, das ist eine stufenweise Bestrafung, und am Ende ist eben die völlige Streichung, wenn sie sagen, du machst überhaupt nicht mit. Das wäre eine neue Geschichte zu sagen, man verweigert das offen und macht dann Aktionen, oder klagt dagegen und sagt, das geht nicht, dass das Arbeitsamt Streikbruch betreibt.
Im übrigen gilt auch: Auch Leiharbeiter haben in Deutschland das Recht, einen Einsatz zu verweigern, wenn das Streikbruch ist. Wir haben auch da einen Zettel mal verteilt an die Streikenden, wo das draufstand. An die LeiharbeiterInnen, als die reingeschickt wurden. Wo ihnen gesagt wurde: Ihr müsst das nicht machen! Die können euch nicht rausschmeißen, wenn ihr das verweigert. Aber es ist eben auch ein Recht, das auf dem Papier steht und das einen ziemlichen Mut erfordert, in eine Konfrontation reinzugehen.
Gerade die Leiharbeiter, die da hingeschickt wurden, das waren auch Leute, die auf dem Arbeitsmarkt sehr schwach dastehen. Viele Migranten, die noch nicht lange da waren, die noch nicht gut deutsch konnten. Und die noch nicht viel Erfahrung hatten mit Arbeit in Deutschland. Und daher unheimlich leicht erpressbar waren. Das ist also einmal die rechtliche Frage …
Selbst wenn es auf dem Papier steht, dieses Recht, ist ja nicht ausgeschlossen, dass du trotzdem erstmal rausgeschmissen wirst. Und dann bist du erstmal ohne Job und musst dagegen klagen. Sowohl Leute mit Ein-Euro-Jobs als auch Leiharbeiter sind eben diejenigen, die am meisten erpressbar sind.
Frage: Wir haben heute ein sehr differenziertes Bild der Realität bekommen. Eine konkrete Frage, jetzt nicht zu Gate Gourmet, sondern zur Besetzung der B10 und der anschließenden Aktion in Bochum. Das ist jetzt keine Unterstellung, aber es gibt ja oft diese Schwarzmalerei: Gewerkschaft und Betriebsrat gegen die nicht organisierte Arbeitsbewegung und vice versa. Welche Rolle haben vor allem in dieser Industrie, die ja traditionell eine durchorganisierte ist, oppositionelle Strukturen gespielt?
Weil es ist ein bisschen durchgeklungen, als wäre das ein Kampf von sich autonom organisierenden, spontanen Bewegungen von unten gegen eine etablierte Betriebsratshierarchie, gegen eine Gewerkschaftshierarchie. Also welche Rolle haben hier oppositionelle, organisierte Strukturen innerhalb von Gewerkschaft und Betriebsrat gespielt?
C: Also in der Autoindustrie haben sie einen relativ hohen Organisationsgrad, und eine lange Geschichte von oppositionellen Gruppen innerhalb der Gewerkschaft, die oft nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen aus der Gewerkschaft rausgeflogen sind.
Also bei Opel Bochum gibt es z.B. diese GOG – gewerkschaftsoppositionelle Gruppe heißt die heute. Die ist entstanden in den 70er Jahren aus dem RGO-Ansatz. RGO ist ein Konzept, das kennen vielleicht einige aus historischen Zeiten, von der KPD entwickelt. Revolutionäre Gewerkschaftsopposition, um Ideen alternativ zur Gewerkschaft zu entwickeln. Das hatten die damals auch, sind dann aber deswegen aus der Gewerkschaft rausgeflogen und haben dieses Konzept bald wieder aufgegeben.
Bei Daimler gibt es Vergleiche, die Plakat-Gruppe, die ist auch in dieser Zeit entstanden. Teilweise sind diese oppositionellen Gruppen dann verschwunden oder haben sich angepasst, haben sich integriert. Man muss das auch so sehen: Betriebsrat ist einfach ein hochgradig korrumpierbarer Posten. Wenn in den großen Automobilfabriken jeder Betriebsrat freigestellt wird, jeder Betriebsrat, ohne dass er was dafür tun muss, seine 70 Überstunden bezahlt bekommt, seinen Dienstwagen hat, dann musst du schon sehr überzeugt und bewusst sein, was du da tust, damit du sagst, nein, das lehne ich ab. Ich mache hier meine politische Sache weiter.
Und mit dem Rückgang von politischen Bewegungen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre sagst du dann: na gut, ich füge mich da irgendwie.
Bei diesen Kämpfen, die wir exemplarisch im Film gezeigt haben, kann man das auch nicht so genau vertiefen. Da sind schon überall auch Leute am Werk gewesen, die gewerkschaftlich aktiv sind, teilweise auch Gewerkschafts- oder Betriebsratsfunktionen haben. Die Leute von der B10 sind teilweise auch im Betriebsrat. Sie gelten halt so innerhalb vom Daimler-Werk als die „Rebellen von Mettingen“, so hat er das ja auch da auf einer Veranstaltung dargestellt. Also das machen sie teilweise auch als Betriebsräte. Sie sind dann aber über die B10, über diese Aktion in Konflikt mit der örtlichen IG Metall-Spitze geraten.
Bei Opel Bochum steckt hinter diesem wilden Streik auch eine Vorbereitungszeit, eine untergründige Organisierung. Das muss man ganz klar sagen. Die Tatsache, dass wir das im Buch so preisgeben, so offen aufschreiben, das hat einen tragischen Grund: Dass es diese Strukturen heute bei Gate Gourmet in Düsseldorf nicht mehr gibt. Sonst hätten wir das nie im Leben getan. Und die Geschichte der untergründigen Strukturen bei Opel Bochum kann man momentan nicht publizieren. Es ist bekannt, dass es dort zu einem Bündnis gekommen ist aus ganz verschiedenen Richtungen, wo traditionelle K-Gruppen wie die MLPD, die bei uns in Deutschland sehr stark ist, bis hin zu linken SPD-Vertrauensleuten und anderen Leuten das zusammen untergründig organisiert haben.
Aber das ist eine ungeschriebene Geschichte. Insofern ist für uns spannend, dass es jetzt auch Brüche in den gewerkschaftlichen Strukturen gibt. Oder dass Leute überlegen, auch innerhalb der Gewerkschaft: wir wollen effektiv kämpfen können. Das war selbst bei diesem kleinen Gate Gourmet-Streik in Düsseldorf eine widersprüchliche Geschichte. Eigentlich hat uns ein Gewerkschaftssekretär der NGG am Anfang ins Boot geholt. Weil die am Anfang auch noch tatsächlich gedacht haben: Wir müssen es radikalisieren. Sie müssen was Aktiveres machen.
Vom unteren Gewerkschaftssekretär, der uns beiseite genommen hat: Wir haben überlegt, doch noch den Betrieb zu besetzen. Der hat halt gemerkt, dass wir aus einer Szene kommen, wo man über solche Sachen reden kann. Und das kippte dann, als sie aus dem Streik raus wollten.
Also es ist schon wichtig, da nicht schematisch ranzugehen, sondern genau zu gucken, was für Möglichkeiten sind. Und da musst dich mit diesen Strukturen auseinandersetzen, kannst sie nicht einfach pauschal ablehnen. Du musst gucken, was da passiert.
Frage: Wart ihr immer nur außerhalb des Betriebes, beim Streikzelt? Oder habt ihr versucht, den Betrieb auch zu besetzen? Weil ihr sagt, die Produktion wurde mehr oder weniger aufrecht erhalten.
A: Das mit der Betriebsbesetzung war so eine Geschichte, wo uns auch dieser Gewerkschaftssekretär angehauen hat. Er hat gesagt, sie hätten sich das mit ein paar Leuten überlegt. Denn von außen können wir das nicht verhindern. Also können wir reingehen, besetzen, unsere Arbeitsplätze, und verhindern, dass da drinnen gearbeitet wird.
Das war eine Idee, dazu ist es aber nicht gekommen. Es gab auch von den Streikenden eine ganze Reihe anderer Ideen, von härterem Vorgehen, von Sabotage, was aber dann alles nicht umgesetzt wurde. Teilweise, weil die Gewerkschaft massiv dagegen agitiert hat, dass da was passiert in diese Richtung. Aber es hat auch einfach die Kraft und Organisation dazu gefehlt.
Frage: Die politische Organisierung, haltet ihr die für kontraproduktiv?
A: Das hat schon zu großen Missverständnissen geführt, wenn man U-Boot sagt. Da sind dann die Leute aus den Parteien, die sagen, klar, man muss die Kader im Betrieb platzieren. Das Interessante war, dass es in diesem Fall überhaupt nicht so war. Die haben sich als Kollegen kennengelernt. Die beiden Hauptfiguren in dieser Geschichte waren ein türkischer Kommunist und ein ostdeutscher Antikommunist, der in der DDR im Knast gesessen hatte und alles, was mit „K“wie „Kommunismus“anfängt – das muss weg. Die hatten aber beide klar, dass sie gegen diese Ausbeutung was machen müssen. Und die haben unglaublich gut zusammengearbeitet.
Wobei aber auch den politischen Menschen klar war: das lassen wir außen vor. Wir organisieren uns hier als Arbeiter, in dieser Logik, und alles andere sehen wir dann später.
Frage: Die Frage der Militanz ist schon mehr oder weniger beantwortet worden. Aber könnt ihr bitte den Unterschied zwischen Betriebsrat und Vertrauensleutekörper erklären? Das Zweite gibt es in Österreich nämlich nicht, und in Deutschland spielt das aber oft eine große Rolle.
C: Bei Gate Gourmet hat das keine Rolle gespielt, bei Gate Gourmet gibt es keine Vertrauensleute, weil diese kleine Gewerkschaft NGG – Nahrung, Genuss, Gaststätten – hat kein Vertrauensleutekonzept. Es ist so: Der Betriebsrat ist in Deutschland eine gesetzliche Institution. D.h. es gibt ein Gesetz. Und alle Beschäftigten, mittlerweile auch die Leiharbeiter, wählen ein Gremium. Dieses Gremium ist an die Sozialpartnerschaft gebunden, § 1 Betriebsverfassungsgesetz: „Der Betriebsrat ist der Zusammenarbeit mit dem Unternehmer zum Wohle des Betriebes verpflichtet“. Der Betriebsrat darf nicht zu Streiks aufrufen. Er hat kein Kampfmittel im Grunde.
Es gibt bestimmte Mitbestimmungsrechte, die kann er nutzen: Ablehnung von Überstunden, er kann auch einer Einstellung seine Zustimmung verweigern. Im Interviewteil haben wir einen ganzen Teil zu dem, was nach dem Streik passiert ist. Und da sind exmplarisch auch die Strategien beschrieben, die dort immer versucht wurden, um die Ausweitung der Leiharbeit mit Betriebsratsmitteln zu verhindern. Das ist das eine.
Ich habe mir schon sagen lassen, dass es bei euch anders ist: Vertrauensleute gibt es nur in manchen Gewerkschaften, vor allem in der IG Metall. Das sind gewerkschaftliche Organe. Die werden nicht von allen gewählt, sondern die werden nur von den Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb gewählt. Und mit der Gewerkschaftsdemokratie ist das so eine Sache – bei manchen Gewerkschaften werden sie gewählt, müssen von den Hauptamtlichen der Gewerkschaft bestätigt werden; es gibt sogar Gewerkschaften, da werden sie nur von der Gewerkschaft eingesetzt. Also die Möglichkeit, Vertrauensleute zu wählen, ist begrenzt.
Wenn du allerdings Konflikte, Bewegungen wie in den 70er Jahren hast, dann war es schon so, dass erstmal die Abteilungen durchgesetzt haben, dass sie ihre Vertrauensleute bekommen. Und dann auch Vertrauensleute oder Teile von ihnen eine kritische Rolle gegenüber dem Betriebsrat eingenommen haben. Dass sie als gewerkschaftliche Delegierte auf betrieblicher Ebene unter Umständen Kampfmaßnahmen wollten, oder härtere Maßnahmen. Während der Betriebsrat kooperieren wollte.
Daher hast du manchmal diesen Gegensatz, aber nicht zwingend. Ich komme aus Köln, da kenne ich mich ein bisschen aus. Ford ist dort immer noch eine große Autofabrik mit 20.000 Beschäftigten. Dort ist es so, dass der ganze Vertrauensleutekörper, so heißt das Gesamtgremium der Vertrauensleute, fest unter Kontrolle der Betriebsräte. Da gibt es keinen Gegensatz, sondern sie ziehen auf der Gewerkschaftsebene und auf der Betriebsratsebene an einem Strang. Dort ist ihre Rolle, maßgeblich für den betrieblichen Frieden zu sorgen.
A: Ein anderer Unterschied ist, dass Betriebsräte nach dem Kündigungsschutz eine gesetzliche Absicherung haben. Das haben Vertrauensleute formal nicht. Aber bei vielen steht es dann im Tarifvertrag, oder man macht nichts gegen sie. Gerade in größeren Betrieben ist das eine ähnliche Absicherung und dann auch eine ähnliche Institutionalisierung wie die Betriebsräte selber.
Frage: Zur Frage, ob das organisierte Leute sind und wie wilde Streiks eigentlich entstehen. Ihr habt das jetzt offengelegt – ein türkischer Kommunist war beteiligt. Da sind also schon Leute dabei, die Erfahrung mit Organisation haben. Das ist auch im Buch stark zu merken.
Denn woher kommt denn das, dass man eine Organisation gegen die Gewerkschaft braucht, dass man Tag und Nacht beim Streikzelt steht und die Stimmung überprüft, dagegen arbeitet. Das müssen ja Leute mit irgendeiner Art von Organisationserfahrung sein.
Manchmal werden wilde Streiks ja mystifiziert, als kämen die aus dem Nichts, als hätten die nichts mit Organisierung zu tun. Meist kommt man drauf, dass aber Leute mit Erfahrung beteiligt sind.
C: Das ist eine spannende Frage. Dieser türkische Kommunist ist kein organisierter Kommunist gewesen. Wir nennen ihn nur so, weil er einen historischen Hintergrund hat. In den 70er Jahren war er in der Türkei aktiv und wollte dann lange Zeit nichts mehr damit zu tun haben. Ihr kennt ja ein bisschen die Geschichte der Türkei. Er ist dann nach Europa abgehauen und war nicht organisiert, er ist bis heute nicht organisiert. Er hat mal auf einer Veranstaltung gesagt: „McKinsey hat mich wieder aufgeweckt. Ich wollte ja mit so etwas eigentlich nichts mehr zu tun haben. Aber da habe ich gesagt, ich muss etwas tun.“
Das Interessante, was mir bei den ganzen Leuten, die eine Rolle gespielt haben, aufgefallen ist: Es war nicht entscheidend, ob sie jetzt irgendeiner bestimmten Ideologie angehört haben oder formell organisiert waren. Da waren türkische Kommunisten, formell, die haben da auch gearbeitet. Also die hätten wirklich gesagt: „Ich bin bei diesem Verein. Ich bin Kommunist.“Aber die haben keine Rolle im Streik gespielt.
Man könnte sagen, das ist sowas wie natürliche Führer. Leute, die einfach ein bestimmtes soziales Händchen dafür haben, wie du Menschen zusammenbringst, wie du Netze knüpfst, wie du im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen triffst. Das war in diesem Streik viel entscheidender als irgendeine bestimmte politische Meinung oder eine formelle Zugehörigkeit.
Witzigerweise haben wir die parallele Erfahrung im Solidaritätskreis gemacht. Es waren Leute von der FAU, also Anarchisten, dabei. Es war ein Mensch sehr aktiv von der DKP, Deutsche Kommunistische Partei, ein total traditioneller Verein, von der Linkspartei, Leute wie wir aus dem Wildcat-Spektrum. Aber es war keine Zusammenarbeit von Organisationen. Bei der FAU, da gab‘s Ortsgruppen von Dortmund, was relativ weit weg ist, die waren unheimlich aktiv, haben viel gemacht. Und andere, einzelne Leute der FAU, hatten totale Probleme mit der „Heuschrecke“und dem Antisemitismus, was in Wirklichkeit keine große Rolle gespielt hat in diesem Streik. Oder: Sie haben in dem Heuschreckensymbol sofort den Antisemitismus gesehen. Ihr kennt ja die „Heuschreckendebatte“ein bisschen.
Andere hatten einfach nicht so großes Interesse daran. Also auch bei den organisierten Gruppen war es viel entscheidender, ob die Leute hingefahren sind, mit denen geredet haben, gesagt haben: „Hey, da ist was, das interessiert mich, das finde ich spannend.“In Köln ging es mehr über Mund zu Mund-Propaganda. Ganz entscheidend war nicht – gut, wir hatten indymedia. Aber viel wichtiger war, da war eine Frau aus der Anti-Ein-Euro(-Bewegung) – es gibt diese Ein Euro-Spaziergänge, auch bei uns in Köln. Die besuchen diese Einsatzorte von den Ein Euro-Jobbern und versuchen, was dagegen zu machen.
Da war ein Spaziergang, wir sind auch hingekommen, und wir haben dann zu ihr gesagt: „Komm, wir fahren wieder zum Streik.“Und die fand das dann auf einmal spannend, was sie mit den Leuten geredet, mitbekommen hat. Und sie hat das auch anderen weitererzählt. Das war also gar nicht das formelle Ding. Das finde ich wichtig.
Frage: Was ich mir so schwierig vorstelle von außen – seid ihr einfach hingegangen und habt gesagt „ Guten Tag, wir finden euren Streik interessant“, oder wie? Wenn man niemand kennt, ist das ja nicht so einfach.
A: Doch, eigentlich genau so. Wir haben auch unheimlich lange gebraucht. Anfangs fanden wir das alles ein wenig langweilig, wie ein gewerkschaftlicher Streik für ein paar Prozent mehr – wir haben das gelesen, dachten, eine normale Tarifrunde. Ja, aber der zog sich so hin, und nach drei Wochen haben wir es dann endlich mal geschafft, da hin zu fahren. Wir haben in dem Moment wirklich Glück gehabt, denn es war ein wunderschöner Herbsttag. Und es saßen mehrere Leute herum, die alle Lust hatten zu reden. Da ergab sich gleich so eine Runde. Ja, und wir haben denen erzählt, dass wir aus Köln kommen, dass wir es total gut finden, dass sich mal Leute wehren gegen die ganze Scheiße, die da läuft. Und da haben die sofort angefangen zu erzählen.
Es läuft nicht immer so locker. Es ist uns dann auch zwei, drei Male später so passiert: Da kamen wir hin, es saßen ein paar Leute rum, haben Karten gespielt, hatten überhaupt keinen Bock, mit irgend jemand zu reden. Es war ihnen völlig egal, dass wir da waren. Sie haben halt diesen Spruch gebracht: „Da hinten ist der Gewerkschaftssekretär.“Das gibt es auch. Klar, es passiert auch nicht immer was, und dann hat man auch nicht immer Bock, ständig mit Leuten zu reden, von denen man nicht weiß, woher sie kommen. Denen groß was zu erzählen.
Wenn aber Leute eine Aktion machen, und wirklich was wollen, dann wollen sie es auch erzählen. Dann freuen sie sich auch, wenn jemand kommt und sich dafür interessiert und der vielleicht auch was machen kann. Als wir das dann auf indymedia getan haben, das war gar keine große strategische Überlegung. Wir dachten, wir hatten den Eindruck, das sind gute Leute, die wirklich was wollen. Wir hatten aber auch den Eindruck, sie sind ziemlich isoliert.
Die stehen jetzt seit drei Wochen an dieser Ecke vom Flughafen, wo auch wirklich kein Mensch zufällig vorbeikommt. Wir haben gedacht, das müssen doch wenigstens mehr Leute mitkriegen, versuchen wir es einmal mit indymedia. Das fanden die auch ziemlich gut, das wurde dann im Streikzelt rumgereicht, dass das noch wo anders publiziert wird.
Frage: Dann sind immer mehr Leute hingekommen, oder habt ihr dann Versammlungen gemacht? Ihr habt ja auch Blockaden gemacht.
C: Ja, wir haben dann über Veranstaltungen mehr Leute angesprochen, erreicht. Wir kamen ja von Köln, das ist von Düsseldorf 40 Kilometer entfernt, und vor Ort gab es keine Leute, die wir ansprechen konnten. Zu der ersten Veranstaltung, die wir gemacht haben, kamen dann auch Leute aus Düsseldorf dazu – die kamen aus dem Antifa-Spektrum, diskutieren aber in letzter Zeit zunehmend über soziale Fragen –, die haben direkt vorgeschlagen, einen Kreis zu bilden. Dann haben wir uns einmal die Woche getroffen.
Es gibt da eine ganze Menge Probleme, für die wir bis heute keine Lösung haben. So eine Solidaritätsarbeit ist ja was anderes als eine autonome Kampagnenpolitik. Da trifft man sich jede Woche auf seinem Plenum und diskutiert die Kampagne aus, bis man so weit ist. Dann macht man die Kampagne.
So ein Streik – der hat jetzt sechs Monate gedauert, normalerweise dauert ein Streik ein paar Tage, eine Woche. Man muss da sehr präsent sein, um operativ schnell etwas entscheiden zu können. Das hat auch zu Diskussionen geführt, weil natürlich gab es dann auch im Solidaritätskreis das Problem, dass ein paar Leute, die arbeitslos waren oder selbständig arbeiten, sich das relativ frei einteilen konnten, auch oft vor Ort waren. Und andere, die eine normale 40 Stunden-Woche haben, konnten das nicht. Das führt zu Problemen. Das erfordert auch ein anderes Umgehen, als wir es aus normalen Szenekreisen kennen.
Frage: Die Strukturen in diesem Streik, es sind da alle möglichen Ebenen benannt worden. Es gab zum einen diesen alten Betriebsrat, dann die Tarifkommission, die würde ich als Streikkomitee verstehen – also ich habe nicht ganz verstanden, wer welche Funktion hat. Dann gibt es die Solidaritätsgruppe, klandestine Strukturen und welche, die nicht ganz fassbar sind, wie mit den Frauen, die aber auch ein Teil sind, der etwas beigetragen hat. Also würde ich sagen, der Erfolg war, dass dieser Streik so lange gedauert hat. Aber wie waren die Strukturen, dass das doch so gut funktioniert hat?
Das Zweite: Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist das unterstützt worden von der NGG, das ist ja auch nicht selbstverständlich, wieso die nicht die Unterstützung abgezogen haben. Und das Dritte: wenn ich es richtig verstanden habe, sind die klandestinen Strukturen zusammen gebrochen. Was ist da passiert?
C: Ich drösle mal die erste Frage nach den Strukturen auf. Also es gab diesen alten Betriebsrat, der sehr kooperativ war. Das war ein Gremium von 9 Personen. Schon zwei, drei Jahre vor dem Streik haben einige türkische Kollegen in diesem Gremium angefangen zu gucken, wie sie diesen alten Betriebsratsvorsitzenden abwählen können. Ein Betriebsrat, neunköpfig, einer ist der Vorsitzende, und der hat ziemlich eigenmächtig agiert. Der hat mit der Firma Betriebsvereinbarungen unterschrieben. Wenn dann z.B. von den türkischen Kollegen jemand gesagt hat: „Was hast du denn da unterschrieben? Das haben wir ja gar nicht abgestimmt.“Dann hat er nur gesagt: „Brauchst auch nicht zu wissen.“So nach dem Motto. Er hat das dann halt nachträglich vorgelegt.
Erst drei Monate vor dem Streik haben sie es dann geschafft durch ihre Beharrlichkeit, in diesem neunköpfigen Gremium die Mehrheit zu kriegen, um diesen Betriebsratsvorsitzenden abzuwählen. Der war dann weiter im Betriebsrat, aber nicht mehr Vorsitzender. Und das war wichtig dafür, der Gewerkschaft zu sagen: „Wir sind willens, einen Streik zu machen.“Die Gewerkschaft hat gesagt: „Ja, könnt ihr das auch? Stehen genug Leute hinter euch?“Dann hat es einen Warnstreik gegeben, und sie haben es wirklich geschafft, diesen Warnstreik erfolgreich und sehr effektiv zu führen, nicht nur symbolisch. Sie haben wirklich Maschinen blockiert, zur Verzögerung von Abflügen beigetragen.
Und dann hat die Gewerkschaft gesagt: „Gut, wenn die Urabstimmung entsprechend ausfällt, dann machen wir den Streik.“Das war das Betriebsratsgremium. Das war kein oppositioneller Betriebsrat, sondern der wurde von der Gewerkschaft gedeckt, war für die Gewerkschaft auch ok.
Dafür brauchten sie schon dieses U-Boot, dieses Netz, dass sie Informationen aus verschiedenen Abteilungen bekamen. Das ist in dieser Zeit entstanden.
Wenn jetzt ein Streik losgeht, dann gibt es formell, von der Gewerkschaft aus gesehen, zwei Gremien. Das eine ist die Tarifkommission, die besteht zum einen aus Hauptamtlichen, und aus Leuten aus dem Betrieb. Und die Mehrheit waren Leute aus dem Betrieb. Das Zitat, das wir vorgelesen haben – da haben sie Glück gehabt, dass ihre guten Leute, also Leute, die fast alle was mit dieser untergründigen … – den Begriff U-Boot haben die gebraucht, und wir fanden den so lustig, deshalb haben wir ihn übernommen – die waren auch in dieser Tarifkommission drin.
Dann gibt es formal noch eine Streikleitung, die wird auch irgendwann gewählt, zusammengesetzt. Das Witzige war, die hat im Grunde keine große Rolle gespielt. Entscheidend war diese informelle Streikleitung, diese sechs, sieben aktiven Kollegen, die sich durchsetzen konnten.
A: Ein Kollege hat uns gut erklärt, mit welchen Maßnahmen sie die Gewerkschaft dazu gebracht haben, das weiter zu machen. „Der T.G. – das ist der Hauptamtliche aus der Bezirksleitung – hat gedroht: ‚Dann breche ich eben den Streik ab.‘ Satzungsgemäß geht das.“Das haben wir vorhin bei der IG Metall gesehen, dass bei der Abstimmung 25% reichen. Und im Übrigen muss man nicht einmal eine Abstimmung machen, es kann auch einfach der Vorstand der Gewerkschaft sagen: „Dieser Streik bringt uns keinen Nutzen, wir hören ihn auf.“Also: „Dann habe ich immer gesagt: ‚Thomas, tu das. Ich kümmere mich dann um den Rest. Ich habe mittlerweile so viele Pressekontakte, gerade jetzt in der Streikwelle. Wenn du den Streik abbrechen willst, das ist natürlich eine gute Werbung für die NGG, wenn da stehen würde: erste Gewerkschaft bricht Streik ab.‘ Da hat er nachher die Hände von gelassen. Irgendwann, so etwa drei Verhandlungen vor Schluss, hat der auch begriffen, dass nichts zu machen ist, ohne uns dabei zu haben. Das hat er begriffen. Jedes Mal, wenn der anfing mit Streikabbruch, Streiktaktik ändern, habe ich mein Büchelchen aufgeschlagen mit den ganzen Visitenkarten von der Presse. Da hat er die Krise gekriegt, da ist er wahnsinnig geworden. Dann hat das Telefon geklingelt, das war auch in einer kritischen Phase gewesen. Da war jemand vom Express dran. ‚Ach‘, habe ich gesagt, ‚ich weiß da jetzt auch nicht so. Ich geb‘ mal die Hauptamtliche.‘ Da war die in Not. Der hat ihr dann auch die Frage gestellt: ‚Wann brecht ihr den Streik ab?‘ Und die waren nachher gar nicht mehr in der Lage gewesen zu sagen ‚wir brechen ab, wir ziehen das in Erwägung‘. Die mussten sagen: ‚Wir machen den Streik so lange, wie er geht.‘“Das mit den Pressekontakten ist so ein Beispiel, das die gut ausgenutzt haben.
Frage: Das wundert mich, wir besprechen das gerade. Andererseits gibt es doch, wie bei den Ein Euro-Jobs, diese Hetze gegen „Faule“. Ich finde es erstaunlich, dass dem widersprechend man einem Gewerkschafter mit Medienkontakten kommen kann.
A: Das war in diesem Fall nicht, wenn Leute arbeiten und streiken, dann funktioniert das auch nicht mit den Faulenzern. Das hat man auch in diesem Fernsehbericht gesehen. Man muss sagen, sie sind relativ wenig beachtet worden. Wo sie ein halbes Jahr gestreikt haben. Dafür haben sie eigentlich wenig Presse gehabt. Aber Hetze gab es keine. Und in diesem Fall ging es auch um das Image der Gewerkschaft. Das hätte wirklich nicht gut ausgesehen, wenn nach außen klar geworden wäre, die Gewerkschaft bricht gegen den Willen der Streikenden, die sich um ihre Menschenwürde wehren, den Streik ab. Das war ihr Imageproblem.
Das mit der Presse war nur ein Ding. Meiner Meinung nach haben die das auf allen Ebenen unheimlich geschickt gemacht. Immer bis zu einem gewissen Punkt zu kritisieren, aber keinen Bruch zu machen. Also immer wieder den Gewerkschaftssekretär vor Ort total zu loben. So haben sie es geschafft. Und es war auch das Zusammenspiel mit der institutionellen Ebene, wie C. es gerade erklärt hat. Dass sie in den Gremien drinnen waren, und da hartnäckig geblieben sind.
Dann war noch die Frage, was mit den klandestinen Strukturen passiert ist. Fehler kann man eigentlich nicht sagen, es war so, dass beim Abschluss des Streiks auch eine Abfindungsregelung drin war. Also dass klar war, eine ganze Reihe von KollegInnen möchte nicht mehr in den Betrieb zurück. Und es gab die Möglichkeit, mit Abfindungen raus zu gehen. Und das haben gerade Streikaktivisten gemacht.
Das waren unterschiedliche Gründe. Bei manchen hat einfach die Tatsache, ein halbes Jahr etwas ganz anderes zu erleben, diesen Schritt möglich gemacht. Die Unerträglichkeit der Arbeit kannten sie schon vorher. Aber dadurch, dass sie ein halbes Jahr lang da miteinander gestanden sind, aus dieser Geschichte raus waren und immer anderen erklärt hatten, wie schlimm es war, wurde für viele die Vorstellung, da noch mal reinzugehen, immer schlimmer. Und einige haben eben gesagt: „Ich mache jetzt etwas ganz anderes mit meinem Leben.“Es gab auch die berechtigte Angst, es wird sich nicht wirklich was ändern. Diese Stärke, die wir draußen hatten, als wir zusammen waren, die können wir in den Betrieb mit rein nehmen, das ist nicht gelungen.
Und das ist natürlich weiter geschwächt worden dadurch, dass genau aktive Leute rausgegangen sind. Ich finde aber, man kann das nicht Fehler nennen. Innerhalb des Streiks hat diese Struktur total gut funktioniert, danach ist sie eben dadurch aufgelöst, dass die Leute weg sind.
Auch der Betriebsratsvorsitzende, der das noch eine ganze Weile versucht hat, hat dann letzten Endes doch aufgegeben. Weil er gemerkt hat, die Belegschaft steht nicht mehr wirklich hinter ihm. Und dann nützen auch diese ganzen Tricks mit dem Betriebsverfassungsgesetz nichts.
C: Ein brasilianischer Kollege hat von einem großen Fehler gesprochen. Der hat nämlich gesagt – das war überraschend, weil viele der Aktivisten, die rausgegangen sind, hatten auch ein schlechtes Gewissen: „Ja, wir lassen die Kollegen im Stich.“Und der brasilianische Kollege hat auch aufgehört und hat gesagt: „Der Fehler war, dass nicht alle rausgegangen sind. Sie hätten alle aufhören sollen.“
Frage: (Es geht um Organisierung – abhängige Länder – Kompradorenbourgeoisie) Transportstreik war wichtig, weil das für die Bourgeoisie sehr wichtig ist. Sie können überall produzieren, aber wenn der Transport hierher nicht funktioniert, dann (haben sie ein Problem).
Streiks können wir von zwei Seiten betrachten, als Ausbesserung sozialer Rechte, oder 2% Lohnforderung. Aber es gibt einen anderen Streik, wo die Arbeiter selbst den Streik organisieren und ihre eigene Politik machen.
Es ist hier viel gesagt worden, dass keine Organisation dahinter war. Die Arbeiter können sich selbst organisieren. Und ein Streik kann auf die gesellschaftliche Ebene geführt werden, Streikkomitees von außen unterstützt werden.
Frage: Wegen der Frage, warum es mit der Gewerkschaft gelungen ist, dass sie den Streik so lange unterstützt. Ich habe mir nach Lektüre des Buches dazu gedacht, dass das vielleicht damit zusammenhängt, dass es eine relativ kleine, unbedeutende Gewerkschaft ist im Unterschied zur IG Metall. So ist das, oder? Dass die viel mehr darauf angewiesen sind, dass es ihnen schaden würde, wenn es heißen würde …
A: Einmal das, aber sie sind auch einfach nicht so geschickt. Ich denke, sie haben einige Sachen nicht überblickt. Sie hatten totale Personalschwierigkeiten, das abzudecken. Sie konnten in keinem anderen Betrieb etwas machen, weil ihre gesamten Kapazitäten am Flughafen rumhingen. Sie mussten noch Gewerkschaftssekretäre von anderswo einfliegen, um das abzudecken.
Das stimmt auf jeden Fall, die IG Metall hätte andere Sachen aufgefahren, um ihren Willen durchzusetzen.
Frage: Bei mir ist der Eindruck entstanden beim Verhältnis Belegschaft – Gewerkschaft, dass die Gewerkschaft praktisch von der Belegschaft im Zaum gehalten hat werden können, und das von eurer Seite als Stärke der Belegschaft ausgelegt wird. Ich glaube, dass das eher ein Zeichen der Schwäche war.
Erstens die Größe des Konfliktes war für die Gewerkschaft überschaubar. Zweitens, der entscheidende Punkt, der in der Bedeutung des Flughafens rausgekommen ist, dass der Flughafen eine große Fabrik ist, wo durch ein kleines Steinchen bei günstiger gewerkschaftlicher und persönlicher Arbeit die ganze Großfabrik Flughafen zum Stillstand gebracht wird. Diese Tendenz wird nicht mitbedacht.
Es war von daher ein ungefährlicher Konflikt für das Kapital, den man sechs Monate ausstehen hat können, weil die Großfabrik im Wesentlichen weiter funktioniert hat.
Wie das bei Opel Bochum ausgeschaut hat, wo die Großfabrik praktisch europaweit vor dem Stillstand gestanden ist, haben wir ja gesehen. Die Gewerkschaftsbürokratie hat sich um die Presse überhaupt nichts gekümmert. Das war ihnen egal. Das ist durchgezogen worden in dieser Rhein-Ruhr-Halle oder wo das war, undemokratisch, weil da hat der Hut gebrannt.
Es ist 2:0 für die Belegschaft gestanden, und wenn sie über‘s Wochenende weiter gestreikt hätten, wäre es 7:0, 8:0, 9:0 gestanden. Daran möchte ich die Frage anhängen zur Großfabrik Flughafen: Wie hat die Belegschaft, wie habt ihr versucht, die Großfabrik Flughafen in diesen Streik einzubeziehen? Das effektivste Mittel, den Streik zum Erfolg zu führen, wäre die Ausdehnung gewesen. Welche Schritte hat man da gesetzt, welche Möglichkeiten hat es gegeben?
C: Das hat der Betriebsrat schön beschrieben. Es gab solche Versuche. Es hat auch ein paar Solidaritätsbekundungen oder Erfolge gegeben. Der Hauptkonkurrent von Gate Gourmet im weltweiten Catering ist LSG Sky Chefs, das ist eine Lufthansatochter, die ist weltweit die größte Cateringfirma. Und da war auch Gate Gourmet in den ersten Streiktagen an LSG, die auch in Düsseldorf am Flughafen catern, rangegangen und wollte Arbeit von denen haben. Und da hat der Betriebsrat z.B. von LSG gesagt „nee, wir haben so einen hohen Krankenstand, das können wir nicht machen.“
Es gab Solidarität vor allem von den Firmen, wo die ArbeiterInnen selber Probleme haben. Am Auffälligsten war das bei der Firma Klüh, das ist die größte Firma am Düsseldorfer Flughafen, die die Putzarbeiten macht. Ein sehr schmutziger Job. Das sind die Leute, wo gesagt wurde, dass die Gate Gourmet-Leute ihnen den Staubsauger weggeschmissen haben, aus dem Flugzeug raus, wenn sie nicht klarkamen. Trotzdem waren die sehr solidarisch. Das sind noch schlechter bezahlte Leute, die unter hohem Stress arbeiten, und wo es auch schon massenhaft Konflikte gegeben hat.
Wir hatten gehofft, für das Buch noch einen kleinen Passus dazu zu machen. Das ist daran gescheitert, dass wir nicht rechtzeitig Übersetzungen aus dem Türkischen bekommen haben, weil eine türkische Tageszeitung darüber berichtet hat. Aber in der deutschen Presse gab es dazu nichts.
Als es schon den Konflikt gegeben hat, kam der Betriebsrat aus dieser Firma öfter zum Streikzelt, sie haben sich an Demonstrationen, die es am Flughafengelände gab, beteiligt. Aber sie haben sich selber zu schwach gefühlt, um auch zu streiken. Auch das hätte in manchen Sektoren, bei Langstreckenflügen, dazu geführt, dass die Flugzeuge nicht hätten abfliegen können.
Woran es vor allem gefehlt hat, war praktische Solidarität von der LTU. Die LTU hat ihren Heimatflughafen in Düsseldorf und Gate Gourmet ist entstanden aus einer ehemaligen LTU-Tochter und macht immer noch vor allem Catering für die LTU. Wenn es da mehr praktische Solidarität gegeben hätte, dann hätten genau solche Effekte eintreten können.
Das ist doppelt absurd, weil momentan die Beschäftigten der LTU ganz massiv unter Druck gesetzt werden. Ich habe einmal erlebt, da kam einer in die Haupthalle der LTU, die ist schräg gegenüber von Gate Gourmet, und sagte „wir haben jetzt auch gerade Tarifverhandlungen. Kann gut sein, dass wir in zwei Wochen neben euch stehen.“Von denen wird auch verlangt, auf‘s Weihnachtsgeld, auf alles mögliche zu verzichten.
Aber es ist taktisch nicht passiert. Und der Betriebsrat von LTU hat sich, glaube ich, nach zwei Monaten zum ersten Mal am Streikzelt blicken lassen. Von denen kam keine Solidarität. Und was auch verwunderlich war: Es kam keine wirkliche Solidarität von der Betreibergesellschaft des Flughafens. Dort hatte es zwei Jahre vorher Konflikte gegeben. Die hatten damals ca. 4.000 Beschäftigte, und 2.000 sollten outgesourcet werden. Da haben die ein paar Betriebsversammlungen gemacht, die auch zur Behinderung des Flugverkehrs geführt haben.
Trotzdem kam in dieser Situation keine praktische Solidarität. Das hat viel mit dieser Spaltung zu tun. Am Düsseldorfer Flughafen ist jede Firma bei einer anderen Gewerkschaft, manche bei ver.di, andere bei anderen Gewerkschaften. Die Solidaritätsaktion in Heathrow war dadurch erleichtert worden, dass dort ein Sonderfall ist, weil alle am Flughafen in derselben Gewerkschaft sind. Dieser Solidaritätsstreik war im Grunde auch zumindest mit Rückendeckung der Gewerkschaft begonnen worden. Leider Gottes wurde er dann auch mit Rückendeckung der Gewerkschaft abgebrochen.
In dem Moment, wo die Transport and General Workers Union von Gate Gourmet die Zusage hatten, wir verhandeln mit euch, wir akzeptieren euch als Gewerkschaft, um zu verhandeln, da haben die innerhalb von 36 Stunden den Streik abgebrochen. An einem Freitag Nachmittag im August.
Wenn man da zwei Tage länger gestreikt hätte, hätte man ein Wochenende im August getroffen. Viele von den Gate Gourmet-Arbeitern waren da ziemlich enttäuscht, sie haben gesagt, hätten sie nochmal 36 Stunden weiter gestreikt, dann hätte wahrscheinlich Gate Gourmet anders reagieren müssen.
Sie haben damals 800 Leute rausgeschmissen, auf einen Schlag, und von denen sind viele nicht wieder eingestellt worden. Das Kompromissabkommen war deswegen so umstritten, weil es eine drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen beinhaltete, und weil Gate Gourmet ganz klar gesagt hat: Von den 800 sind 400 troublemakers, Unruhestifter, die kommen auf keinen Fall wieder rein. Darauf hat sich die Gewerkschaft eingelassen.
Das war schon andauernd Thema: Warum kommt es nicht zu einer Verbindung? Der Betriebsrat ist rumgerannt, das steht irgendwo im Buch, er sagte: „Ich bin die ersten Tage nur rumgerannt. Ich habe dann mitbekommen, es gibt 300 Firmen am Flughafen, und 28 davon haben Betriebsräte. Ich bin überall rumgerannt und habe gefragt.“Und meist haben die Leute, um Solidarität zu zeigen, e-mails geschickt, oder am Flughafen ist es näher, da kommt man mal vorbei, bringt Schokolade mit. Aber damit legt man natürlich nicht einen Flughafen lahm.
Aber ich denke, die Idee ist präsent, uns sind alle möglichen Sachen durch den Kopf gegangen. Im Nachwort erwähnen wir Kampfformen, die auch schon real praktiziert worden sind, Anfang der 90er Jahre bei der Sanierung von Air France. Da sind die Leute auf die Rollbahn gegangen. Das ist die effektivste Form. Es ist nicht so schwierig, aber sehr hart.
Letzten Juli sind am Flughafen von Barcelona, da sollen Gepäckabfertiger von Iberia ausgelagert werden und zu schlechteren Bedingungen arbeiten. Die haben letzten Juli für einen ganzen Tag die Rollbahnen besetzt. Da laufen heute noch Verfahren, weil einige strafrechtlich verfolgt worden sind. Aber das ist sicher die effektivste Form, einen Flughafen lahm zu legen.
Solche Ideen hatte man in Düsseldorf auch in anderen Zusammenhängen. Düsseldorf ist der zentrale Abschiebeflughafen für Nordrhein-Westfalen. Wenn man dann Aktionen macht wegen Abschiebeflügen, dann kommt man auch auf solche Ideen. Aber dafür sind wir nicht stark genug geworden.
Wir hatten die Hoffnung, irgendwann mal 500 – 600 Leute hin zu bekommen, und das ist nicht gelungen. Daran arbeiten wir noch.
Frage: Mir fällt als Vergleich in Österreich nur Veloce ein.
C: Veloce wurde auch in Deutschland, unter Fahrern, viel diskutiert.
Frage: Und ich frage mich, was der Unterschied ist. Die Kleinheit des Landes (Österreich) kann es nicht sein, und die Umstrukturierungsprozesse, die im Buch beschrieben werden, die kann dir jede Arbeiterin hier auch schildern, das ist genau gleich. Auch die Rolle der Gewerkschaften ist eine ähnliche. Vertrauensleute gibt es bei uns nicht, aber bei Ford Köln, wo, wie du gesagt hast, Vertrauensleute und Betriebsrat deckungsgleich sind, gibt es vermutlich auch keinen Streik?
C: Doch, gibt es. Das Problem ist auch, viele Streiks wirst du gar nicht sehen. Wenn du jemand fragst, wird der sagen, bei Ford hat es seit was weiß ich wann keine Streiks mehr gegeben. Aber es hat schon kleine, wilde Streiks gegeben, die es ab und an auch in die lokale Presse geschafft haben. Da geht es um Fragen der Bandgeschwindigkeit, Auslagerung oder Unklarheit von Weiterbeschäftigung. Ab und zu gibt es solche Sachen.
Du wirst vermutlich nur 10% davon mitbekommen. Aber man muss aufpassen, von der äußeren Erscheinung auszugehen. Ich habe gesagt, der Vertrauensleutekörper ist gleichgerichtet mit dem Betriebsrat bei Ford. Aber auf der unteren Ebene wirst du trotzdem einzelne finden, unter Umständen auch bei einem wilden Streik – die hören einfach für 2 Stunden zu arbeiten auf.
Sie selber nennen das ja gar nicht Streik. Vielleicht auch bewusst nicht, um nicht kriminalisiert zu werden. Oft verstecken die Leute ihre eigenen Kämpfe, um nicht angreifbar zu werden. So wie die türkische Kollegin sagte mit den Tischen und den Bändern: „Vielleicht wollten wir nicht, vielleicht konnten wir nicht“. Man lässt das in der Schwebe. Oft sagt man einfach nur „wir wollen mit dem Management reden. Die müssen jetzt zu uns kommen. Nein, wir streiken nicht, aber jetzt kommt doch mal, vorher fangen wir nicht an zu arbeiten.“
Frage: Das gibt es sicher, sowieso, abgesehen von einem Streik. Auch in Wien, in Österreich gibt es solche Haltungen, Kampfmaßnahmen, inneren Kündigungen, wenn die Leute kein Interesse mehr haben. Aber das ist nicht Ausdruck einer organisierten, gemeinsamen, kollektiven Haltung wie es ein Streik ist. Die Frage ist aber, die Gewerkschaft vor sich hertreiben, das geht nur bis zu einem gewissen Grad. Das geht, wenn die Gewerkschaft klein ist und der Streik nicht so eine Macht entfaltet, dass er wirklich bedrohlich wird.
Der ÖGB, wenn man einmal kurz „biep“macht, stehen eine Million Leute. Der hätte sehr schnell eine sehr große Macht. Insofern besteht das Problem, dass man Organisationen braucht außerhalb von diesen institutionalisierten Gewerkschaften, der Arbeiteraristokratie. Sehr interessant kam mir vor, dass das unter den jetzigen Bedingungen ein Zusammenspiel sein muss von Leuten, die im Betrieb sind und eine Gewerkschaft vor sich hertreiben, und einem UnterstützerInnenkreis, dass das ein Moment einer ArbeiterInneneinheitsfront wäre. Dazu fallen mir aber leider kaum Ansätze ein.
C: Ich habe mir als Vorbereitung kurz die Streikstatistik für Österreich auf der website des ÖGB angeschaut. Da taucht für 2004 und noch ein Jahr ein Begriff auf, den ich aus Deutschland nicht kannte. Da stand stolz in dieser Spalte „streikfrei“. Das ganze Jahr. Das ist das eine. Ihr habt hier, glaube ich, eine ziemlich korporatistisch verfestigte Sozialpartnerschaft, die das reguliert.
Auf der einen Seite ist dann immer die Frage, was darunter läuft. Wahrscheinlich, umso korporatistisch verfestigter das Ganze ist, umso unsichtbarer sind dann die Kämpfe. Wenn ich mir die Zahlen für Österreich ansehe, dann boomt die Automobilzuliefererindustrie wie Magna in Graz. Wärst du da drinnen, würdest du sicher auch solche Konflikte finden, die an der Tagesordnung sind. Auf die man sich von außen aber ganz schlecht beziehen kann.
Das ist in der Tat ein Problem. Wir haben ja viel mit den Leuten gesprochen, hatten eine Veranstaltung in Berlin. Da war ein Vergleich Gate Gourmet und Bosch-Siemens Hausgerätewerk. Das war halt eine viel kürzere Zeit. Der Streik ging auch vier Wochen, davor hatten sie zwei Wochen lang Betriebsversammlungen gemacht. Trotzdem war das viel zu kurz, um gut in Kontakt zu kommen. Das ist schwierig.
Wenn du es nun nur mit untergründigen Kämpfen, die sich vor dem ÖGB verstecken müssen, zu tun hast, ist das noch schwieriger. Es wird nur funktionieren, wenn es einen direkteren Draht gibt. Da ist das erste und wichtigste, die Informationen zirkulieren zu lassen. Wir erleben auch jetzt Minikonflikte, wo es erstmal unser Job ist, die bekannt zu machen. Oder bei anderen Streiks zu erwähnen. Oder wo Leute sich gegen irgendwas gewehrt haben, unzufrieden waren. Aber ihr könnt ja ein bisschen hoffen, denn ich habe gesehen, dass der ÖGB an Mitgliedern verliert. Das schafft manchmal ja auch Freiräume.
Frage: Ich habe den Eindruck, immer wenn es um Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft geht, geht es um Machtpositionen. Ich habe Veloce nicht so genau verfolgt, aber vielleicht hat es deshalb funktioniert, weil die Fahrradboten in ihren prekären Dienstverhältnissen jemand waren, wo die Gewerkschaft sich erhofft hat, diese prekären Leute als Mitglieder an sich zu binden. Aber in gut durchorganisierten Betrieben haben sie das nicht notwendig.
Wenn dort gestreikt wird, bringt das dem Betriebsrat nichts. Das geht nur punktuell. Auch bei dieser Flughafengeschichte: Wenn das eine kleine Gewerkschaft war, war das für einmal die Möglichkeit, sich zu positionieren, vorzukommen. Deshalb haben sie nicht so schnell sagen können: „Lassen wir das.“Da hing ihr Image dran, das konnten sie verlieren.
Der ÖGB kann sein Image nicht mehr verlieren. Die arbeiten auf einer anderen Ebene. Das ist institutionalisiert, rituelle Streiks – sowas schon. Da kommt dann eine Million Leute auf den Ballhausplatz, und das reicht dann auch schon wieder, um die Machtposition zu zeigen: „So und so viele Mitglieder haben wir, und die stehen auf der Straße.“Und das reicht.
Ein Streik in irgendeinem Betrieb, sei es ein kleiner oder ein großer, hilft denen nichts in ihrer sozialpartnerschaftlichen Machtfestigung. Warum sollten sie ihn unterstützen?
Frage: Mir fällt noch ein – zum Magna-Konzern gab es vor einiger Zeit einen Fernsehbeitrag, wo es um strafrechtliche Verfahren gegen Belegschaftsmitglieder ging. Weil die begonnen hatten, Teile aus der Fabrik wegzuräumen, um eigene Landrover zu produzieren. Das haben die auch geschafft, da wurden die fertigen Fahrzeuge gezeigt.
Das sind auch so Aufstandselemente, die müssen sich ja gut organisiert und einen Spaß an Kollektivität entwickelt haben. Sowas kriegt man sonst ja nicht mit. Die sind natürlich alle gekündigt worden und die Verfahren laufen. Aber bei Magna gibt es nach wie vor keinen Betriebsrat. Wie ist das in Deutschland?
C: Das ist keine Vorschrift. Es muss kein Betriebsrat gewählt werden. Aber gesetzlich festgelegt ist, wenn eine Gewerkschaft nachweisen kann, dass sie in einem Betrieb einen bestimmten Prozentsatz vertritt, oder eine bestimmte Menge an Leuten im Betrieb sagt, wir wollen einen Betriebsrat, dann dürfen sie ihn einrichten. Aber gerade in prekären Bereichen, in Leiharbeitsbetrieben, gibt es Probleme.
Ihr habt ja gerade einen Streit bei KiK, der Tengelmann-Tochter. Solche Fälle gibt es auch bei uns, bei Burger-King in Dortmund, wo die Betriebsräte mit Staatsanwaltschaft rausgedrängt werden. Gerade in prekären Bereichen wird das unterlaufen und mit allen Mitteln dagegen vorgegangen, dass Betriebsräte gegründet werden.
Die Gewerkschaft macht dann Kampagnen, etwa bei Lidl. Die ist zwar umstritten, aber da geht es auch darum, wenn die Betriebsräte gegründet haben, dann hat Lidl die Filialen geschlossen, um die Betriebsräte fernzuhalten.
Frage: Das Problem ist auch, dass Gewerkschaften sich zusammenschließen. Davon kriegt man kaum etwas mit. Dabei haben die etwa bei der HTV einfach viele Sachen weggeschmissen. Die haben Sachen gehortet, die sie dann einfach weggeworfen haben, der Oberchef hat das gemacht. Ich finde das schade, weil damit kleine Gewerkschaften einfach weg sind, im ÖGB untergehen.
C: Schönen Dank für die Diskussion.
Applaus.
Weitere Infos unter http://www.gg-streik.net/