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Griechenland muss produktiv werden
„Wir bringen das (griechische) Volksvermögen zum Arbeiten.“ Roland Berger, Berater.
Volksvermögen als (zumindest theoretisch) kollektives Eigentum kann naturgemäß schlecht privaten Profit abwerfen, deshalb muss es (nicht nur) nach Berger erstmal in Privateigentum übergeführt werden. Weil aber Kapital nichts anderes als tote Arbeit ist, kann auch dieses nicht arbeiten. Das müssen schon die Lebenden tun.
Marktbereinigung
Und daraus ergibt sich für Berger, dass das griechische Volksvermögen erstmal „privatisiert“ werden muss. Als Werkzeug für diese Privatisierung schlägt er die Schaffung einer Treuhandgesellschaft nach deutschem Vorbild vor. Deutschland hat bereits mehrfach Erfahrungen mit Treuhandanstalten gemacht, der schwedische Finanzminister meinte Anders Borg im Mai 2011 dazu: „Die Erfahrung mit der Treuhand ist eine, von der die Griechen sehr viel lernen können.“2Das meinen wir auch, wenn auch unsere Schlussfolgerungen andere sind, und deshalb erstmal zwei Exkurse:
Exkurs I: Haupttreuhandstelle Ost
Die erste Treuhand, genannt „Haupttreuhandstelle Ost“, wurde von den Nazis eingerichtet. Ihre Aufgabe bestand darin, das polnische „Volksvermögen“ zu arisieren, und das gelang ihr erschreckend rasch und vollständig. So wie die Haupttreuhandstelle Ost in Polen agierte, so wüteten die Nazis auch in Griechenland von April 1941 bis November 1944. Dazu schickten sie „erfahrene Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft“ in die Athener Zweigstelle des „Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes“ im Oberkommando der Wehrmacht. Ihre Aufgabe: Schnellstmöglich alles Brauchbare, alle Vorräte an Lebensmitteln, Treibstoffen, agrarischen Mineralien und Tabak sowie Bergbau- und Industriebetriebe zu erkunden und zu beschlagnahmen.
Der Beauftragte des Kruppkonzerns in Athen meldete bald nach Essen, in der Zeit vom 1. bis 10. Mai 1941 sei die gesamte griechische Bergbauproduktion „für Deutschland gesichert“ worden. Von besonderer Bedeutung erschien den Deutschen dabei die Kontrolle über die Elektrizitätserzeugung und -versorgung sowie über alle griechischen Mineralölgesellschaften und vor allem über die Banken. So nebenbei streiften sie auch noch 40 Tonnen Silbergeld aus der griechischen Staatskasse ein. Und sie sorgten für eine weitgehende Deindustriealisierung Griechenlands.3
Die Nazis zwangen Griechenland zur Übernahme der Besatzungskosten (monatlich 1,5 Mrd. Drachmen) und bedienten sich darüber hinaus bei der Bank von Griechenland, bei der sie einen Kredit aufnahmen, der bis heute nicht zurückbezahlt worden ist. Nach Angaben der Bank von Griechenland beläuft sich die aktuelle Kreditsumme inklusive Anpassungen und Zinsen auf einige Dutzend Milliarden Euro. Griechenland hat auf die Rückzahlung dieses Kredits niemals verzichtet, Deutschland bis 1990 argumentiert, dass es zwei deutsche Staaten gäbe und daher nicht klar sei, wer nun als Schuldner zu belangen sei.
Neben diesen Kreditschulden hat Griechenland auch niemals Reparationszahlungen für die Zerstörung des Landes und die Millionen Toten, die das Nazi-Regime unter der griechischen Bevölkerung gekostet hat, erhalten. Bei der Pariser Friedenskonferenz 1946 wurden Griechenland 7 Mrd. Dollar an Reparationen zugestanden, die das Land ebenfalls nie erhalten hat.
Während eines Generalstreiks in Griechenland 2011 tauchte in den Medien der Name Manolis Glezos auf. Manolis wurde von einem Sondereinsatzbeamten aus nächster Nähe mit einer Tränengaspistole direkt ins Gesicht geschossen. Glezos, 88 Jahre alt, hatte 1941 gemeinsam mit seinem Freund Lakis Santas sein Leben riskiert, um die über der Akropolis wehende Nazifahne herunterzureißen.
Heute ist Glezos in einem Komitee tätig, das die Bezahlung der deutschen Kriegsschuld fordert: „Griechenland ist das einzige Land in Europa, das nie Reparationszahlungen von Deutschland erhalten hat. Wir haben unsere Antiken, die von Kollaborateuren aus unseren Museen entwendet wurden und den Deutschen übergeben wurden, niemals zurückerhalten. Wir haben die Gebäude und Vermögen, die von den Nazis beschlagnahmt wurden, nie zurückerhalten“, sagt er. Das Komitee beziffert die Reparationsforderungen derzeit mit 162 Mrd. Euro. Glezos: „Das richtet sich nicht gegen die Menschen in Deutschland. Ich habe viele deutsche Freunde. Aber ich habe keine Verbindungen zu deutschen Behörden oder denen irgendeines anderen Landes.“4
Exkurs II: Treuhandanstalt
„Ich würde es sehr begrüßen, wenn unsere griechischen Freunde nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt eine regierungsunabhängige Privatisierungsagentur gründen würden“, formulierte Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker im Mai 2011 gegenüber dem Spiegel.5Sein Kollege, der schwedische Finanzminister Anders Borg, bezeichnete die „Privatisierung des DDR-Vermögens“ als „vorbildlich“.6
In Zeiten chronischer Überproduktion und fehlender Märkte dient die „Abwicklung des Volksvermögens“ vor allem der Vernichtung von Produktionsmitteln, um lästige Konkurrenz los zu werden. Diese Form der Abwicklung stürzt gleichzeitig eine Menge Menschen in schlimmste ökonomische Probleme und „richtet“ sie so für „neue Arbeitsbedingungen zu“.
Privatisierung oder neue Märkte?7
Die Idee, eine Treuhandgesellschaft zu gründen, um damit das gesamte DDR-Vermögen innerhalb weniger Jahre zu vernichten, stammt vom späteren IWF-Geschäftsführer und deutschen Präsidenten Horst Köhler und von dem studierten Volkswirt, SPD-Politiker und praktizierenden Rassisten Thilo Sarazzin.
Nach dem Wirbel über sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ musste Sarazzin seinen Posten als Bundesbankvorstand aufgeben. Doch schon in seiner „volkswirtschaftlichen“ Dissertation, geschrieben 1974, ließ er den Sozialdarwinisten raushängen. Darin beschäftigte er sich mit dem „Problem“, ob und wie die Sklaverei in den Südstaaten der USA profitabel war. Dazu verglich er „die Produktivität“ bei männlichen Sklaven, die „um ein Drittel bis um die Hälfte höher war“ als die der Skavinnen, dafür „bekamen die Frauen Kinder, welche auch wieder Einnahmen brachten.“ Weiter: „Folgende Größen gehen in die Ermittlung der Nettoeinnahmen für männliche Sklaven ein: Die Nettoverkaufspreise für Baumwolle ab Farm, also die Handelspreise minus Abschlag für Transport, Versicherung etc. Weiterhin die jährliche Produktion eines Sklaven und seine laufenden Unterhaltskosten. Auf dieser Grundlage werden unter wechselnden Annahmen bzgl. Kapitalkosten pro Kopf und Jahr, durchschnittlichen Nettoverkaufspreisen etc. fast durchweg positive Kapitalwerte ermittelt. Die ebenfalls ermittelten internen Zinsfüße schwanken zwischen 4,5% und 13%. (…) Die Investitionen in einen weiblichen Sklaven trugen längerfristigen Charakter und waren darum mit höherem Risiko belastet. Die Fruchtbarkeit weiblicher Sklaven war bei Kauf nicht immer bewiesen. Sklavinnen, welche schon ein Kind bekommen hatten, dürften höhere Preise erzielt haben. (…) Insgesamt lässt sich der Schluss ziehen, dass die Sklavenhaltung mindestens ebenso profitabel war wie alternative Verwendungen des eingesetzten Kapitals.“
Als zu Jahresbeginn 1990 die Pläne der Regierung Helmut Kohl zur Annexion der DDR immer konkreter wurden, rechnete der Bremer Historiker Arno Peters vor, dass von den hundert Milliarden Mark deutscher Reparationszahlungen an die Alliierten nach dem 2. Weltkrieg 98% von Ostdeutschland und nur 2% von Westdeutschland bezahlt worden waren. Peters übergab gemeinsam mit mehreren KollegInnen an die Regierungen der DDR und der BRD einen Reparationsausgleichs-Plan, nach dem die BRD der DDR – mit Zinseszinsen gerechnet – 727 Mrd. D-Mark für die ungleiche Verteilung der Reparationszahlungen schuldete. Eine Antwort kam von Kanzleramtsberater Horst Teltschik. Er behauptete, die DDR könne binnen weniger Tage zahlungsunfähig werden. Teltschiks Aussage war kein Versprecher, sondern Teil der Propagandaschlacht zur Übernahme der DDR durch das BRD-Kapital.
Der Runde Tisch in der DDR beauftragte am 1.3.1990 die Regierung Modrow mit der Einrichtung einer Treuhandanstalt, deren Aufgabe es sein sollte, das gesamte Volksvermögen der DDR zu erfassen und kompatibel zu westlichen Gesetzgebungen zu machen. Der Hintergrund für diesen Schritt war die absehbare „Wiedervereinigung“, die nicht zu Lasten der DDR-BewohnerInnen gehen sollte.
Das Statut der Treuhand sah u.a. ein breites Mitbestimmungsrecht der MitarbeiterInnen sowie die Ausgabe von „Volksaktien“ (Anteilscheinen am Gesamtvermögen der DDR vor). Immerhin handelte es sich um die – nach westlichen Quellen – 16.größte Volkswirtschaft der Welt, und die Schätzungen westdeutscher PolitikerInnen und Bosse bezüglich des DDR-Vermögens bewegten sich in der Größenordnung der von Peters genannten BRD-Schulden an die DDR.
Mit den Wahlen vom 18.3.1990 kam die Regierung De Maizière in der DDR an die Macht. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, den Anschluss an die BRD zu vollziehen. Als erstes wurde die Treuhand angeschlossen, indem der Vorstand ausgetauscht wurde. Zum Chef der Treuhand wurde Detlev Horst Rohwedder, Mitglied der SPD, bestellt. Durch diese Wahl wurde einerseits die Opposition ruhig gestellt, andererseits bot sich Rohwedder als der richtige Mann für den Posten an.
In ihrer Erklärung vom 1. April 1991 schreibt die RAF: „Als Bonner Wirtschaftsstaatssekretär organisierte er (Rohwedder) in den 70er Jahren die Rahmenbedingungen, die das BRD-Kapital für seine Profite in aller Welt braucht. Er war damals z.B. maßgeblich beteiligt am deal mit dem faschistischen Südafrika: Know-how für den Bau von Atombomben für Südafrika gegen Uran für die BRD-Industrie. (…) Aber auch für die glatte Abwicklung unzähliger, oft verdeckter Waffenexporte an faschistische Regime im Trikont suchte und fand er immer Wege.
In den 80er Jahren machte sich Rohwedder als Chef des Hoesch-Konzerns einen Namen als brutaler Sanierer. Er hat bei Hoesch in wenigen Jahren mehr als 2/3 aller ArbeiterInnen rausgeschmissen und den bankrotten Konzern zu neuen Profitraten geführt. Dafür wurde er 1983 zum Manager des Jahres gekürt.
Die Krönung von Rohwedders Karriere sollte seine Funktion als Bonner Statthalter in Ostberlin sein. Seit ihrer Annexion ist die Ex-DDR faktisch Kolonie der Bundesrepublik. Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entscheidungszentren liegen in Bonn bzw. bei bundesdeutschen Konzernen.
(…) soll die Wirtschaft der Ex-DDR genauso wie die sozialen Strukturen dort (vom Gesundheitssektor bis zu den Kinderkrippen) systematisch kaputtgemacht werden, damit danach das Kapital auf freiem Feld und mit entwurzelten Menschen den Neuaufbau nach seinen Maßstäben organisieren kann.
Das ist der Plan, und die Treuhandanstalt soll diesen Zusammenbruch organisieren.“ Rohwedder wurde am 1.4.1991 vom Kommando „Ulrich Wessel“ der RAF erschossen.
In ihrer Erklärung schreibt die RAF weiter: „Es geht den multinationalen Konzernen im Moment aber nicht um den großen wirtschaftlichen Aufbau der Ex-DDR. Die wenigen ausgesuchten Teilbetriebe, die sie bisher übernommen haben, sollen vor allem Monopolstellungen für bestimmte Branchen sichern. Ansonsten wird die Infrastruktur abgebaut.“
Den Strategen der Abwicklung der DDR ging es tatsächlich um eine mehrfache „Marktbereinigung“. So sollte lästige Konkurrenz aus dem Weg geräumt werden, was sich am deutlichsten in Bischofferode zeigte.
Bischofferode
Die „Thomas Müntzer“-Kali-Grube in Bischofferode wurde am 1.1.1994 geschlossen. Sie war Teil von sechs Bergbaubetrieben des volkseigenen Kombinats Kali Sondershausen, das jährlich 3,5 Millionen Tonnen Kali (hauptsächlich für Düngemittel) produzierte. Die DDR besaß über 17% der Weltvorräte an Kalirohsalz, lag in der Weltproduktion an 3. Stelle und war weltweit der zweitgrößte Exporteur von Kali. Damit war Kali Sondershausen direkter Konkurrent der westdeutschen BASF (im 3. Reich als „IG Farben“ eine der Hauptprofiteurinnen durch Zwangsarbeit im KZ Auschwitz) bzw. deren Tochter, der Kali + Salz AG.
Bereits am 14. Dezember 1990, zwei Monate nach dem DDR-Anschluss, saßen vier Leute aus dem Westen im fünfköpfigen Vorstand der Kali Sondershausen, darunter mit Alwin Potthoff ein vormaliger Direktor der Kali + Salz-Hauptverwaltung in Kassel.
Dieses Gremium ließ erstmal vier der fünf Gruben schließen, und so blieb nur noch Bischofferode als Produktionsstandort. Nun wurde der Kali Sondershausen mit einem sogenannten „Kooperationsmodell“ mit Kali + Salz der Markt im Westen entzogen (das Kali durfte nur noch in der Ex-DDR verkauft werden, wo es keinen Markt mehr dafür gab), und nachdem der Betrieb auf diese Weise in die roten Zahlen gedrückt worden war, wurde er flugs von der BASF geschluckt.
Tatsächlich aber war Kali + Salz nahezu bankrott (u.a. wegen der bedeutend schlechteren Qualität ihrer Produkte), und daher wurden die Verluste des westdeutschen Konzerns der Kali Sondershausen zugeschlagen. Im Endeffekt bezahlte die Treuhandanstalt, und damit die SteuerzahlerInnen in Ost- und Westdeutschland die Schulden der BASF in Höhe von 1 Mrd. D-Mark.
Diese Machenschaften wurden von der Treuhand ebenso wie von BASF lange geheim gehalten, erst 1993 wurden sie unter dem Pseudonym „Nurmi“ veröffentlicht, indem die entsprechenden Treuhand-Papiere an über vierzig Zeitungsredaktionen verschickt wurden.
Bischofferode wurde eine Zeitlang zum Synonym für den Widerstand der Betroffenen in der Ex-DDR gegen die Zerschlagung ihrer Lebensgrundlagen. Die Bischofferoder Kumpel wehrten sich verbissen gegen die Schließung der Thomas Müntzer-Grube. Das Treuhand-Vorstandsmitglied Klaus Schucht kommentierte eine Demonstration der Kumpel so: „Wer noch mit Eiern werfen kann, dem geht es nicht schlecht.“ Nach einem wochenlangen Hungerstreik, der tausende solidarische Menschen mobilisierte, wurde die Thomas Müntzer-Grube schließlich mit Jahresende 1993 geschlossen.
Die BASF schlug als Nachnutzung die Umwandlung des Bergwerks in eine Sondermülldeponie vor, womit die Kali-Ressourcen „nachhaltig“ vernichtet und BASF das Geschäft gesichert wäre.
Währungsunion
Neben der Tätigkeit der Treuhand bestand der wichtigste Hebel zur Vernichtung des DDR-Vermögens in der raschen Realisierung der Währungsunion. Über Nacht bekam die Ex-DDR eine neue Währung, die ca. fünfmal so „stark“ war wie die alte. Diese künstliche „Aufwertung“ der ehemaligen DDR-Mark musste zwangsläufig zum Zusammenbruch der Ökonomie in den nunmehrigen „neuen Bundesländern“ führen, wie eine Zeugenbefragung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Treuhandtätigkeit zeigte:
Frage vom Abgeordneten Otto Schily: „Sie meinen, das würde unsere Volkswirtschaft relativ teilnahmslos hinnehmen können, wenn wir unsere Währung um 400% bis 500% aufwerten?“
Antwort des ehemaligen Treuahndchefs Rainer Maria Gohlke: „400% bis 500%? Das hat einen Einfluss, das ist ja klar. Jetzt verstehe ich erst Ihre Frage. Das ist natürlich selbstverständlich, das hat einen dramatischen Einfluss. Wenn Sie sich mal überlegen, wir sind das Land, das die größte Exportabhängigkeit hat in der ganzen Welt. (…) Sie können immer 4% – 5% auffangen durch Produktivitätssteigerungen, aber solche Zahlen, das können Sie vergessen, da sind Sie pleite, ruckzuck, da haben wir den gleichen Effekt wie in der DDR. (…) Tatsache ist, dass im Grunde genommen in dem Augenblick, wo die Währungsunion kam, kein Unternehmen mehr wettbewerbsfähig war und dass die Zeit einfach zu kurz war.“
Auf 600 Milliarden D-Mark schätzte die Treuhand das Volksvermögen der DDR, als sie 1990 ihre Tätigkeit aufnahm. Nach nur fünf Jahren waren daraus 275 Milliarden Mark Schulden geworden und 2,5 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Dazu wurde erst den Chefs der Treuhandanstalt, später mehr oder weniger allen MitarbeiterInnen, vom damaligen Finanzminister Theo Waigel eine „Freistellung von der Haftung für leichte und schwere Fahrlässigkeit“ zugestanden, und somit praktisch die Erlaubnis, wenn schon nicht die Anweisung zu Korruption, Betrug und Gangsterei jeder Art erteilt.
Waigel wiederum nutzte seine Erfahrung in der Ausstellung von Persilscheinen, als fast zwei Jahrzehnte später der Siemens-Konzern in den USA wegen diverser Schmiergeldaffären vor einer Anklage stand. Um dieser zu entgehen, zahlte Siemens eine Milliarde Dollar an Strafe und setzte einen „Korruptionswächter“ ein, eben Theo Waigel, der dem Unternehmen umgehend bescheinigte: „Siemens ist sauber“. Siemens hat übrigens auch in Griechenland mit Schmiergeldzahlungen gearbeitet, im Parlament in Athen wurde deswegen extra ein Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Die Treuhandanstalt agierte schließlich wie ein Staat im Staat und verweigerte daher auch konsequent vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der 1993 eingerichtet wurde, so ziemlich jede Herausgabe ihrer Akten. Dazu ließ sie sich von dem Verwaltungsrechtler Gunnar Folker Schuppert ein Gutachten erstellen, das darin gipfelte, dass Schuppert der Treuhand bescheinigte: „Die Aufgabe der Überführung des DDR-Wirtschaftserbes in ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem ist eine genuine Regierungsaufgabe von großer politischer Bedeutung und besonderer politischer Sensibilität. Die Treuhandanstalt nimmt daher Regierungsfunktionen wahr. (…) Gegenüber dem Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses kann sie sich daher wie die Regierung selbst auf einen exekutiven Kernbereich berufen, der auch vom Untersuchungsausschuss zu respektieren ist.“
Fette Happen …
Soweit zu den Erfahrungen, von denen „die Griechen“ laut Anders Borg „sehr viel lernen können.“ Die Ankündigung von Jean-Claude Juncker, einem engen Freund von Helmut Kohl, im Mai 2011, sollten die GriechInnen als gefährliche Drohung auffassen: „Die Europäische Union wird das Privatisierungsprogramm künftig so eng begleiten, als würden wir es selbst durchführen“. Im Juli präzisierte er und verlangte, die Souveränität Griechenlands müsse deutlich eingeschränkt werden, denn für die anstehende Privatisierungswelle benötige Athen eine Lösung nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt.
Das Tagblatt lieferte dazu eine Liste von Schmankerln, die privatisiert werden sollen:8
Flughäfen
Der Athens International Airport gehört zu 55% dem Staat und zu 40% dem deutschen Baukonzern Hochtief, der den Flughafen auch betreibt. Die Regierung will die Lizenz für Hochtief verlängern und denkt über einen Börsegang des Flughafens nach. Einen Verkauf des alten Flughafens Hellenikon schlägt die EU-Kommission vor.
Wasser und Energie
Die griechische Regierung hat angekündigt, Aktienpakete an den als attraktiv geltenden Wasserversorgern zu veräußern: 10% an Athens Water und 23% an Thessaloniki Water. Auch die Beteiligungen am Stromkonzern (bislang 51%) und am Gasunternehmen Depa (65%) sollen auf gut ein Drittel reduziert werden.
Telekom
Die griechische Regierung will ihre 20%-Beteiligung an der Telefongesellschaft OTE zurückfahren, das Unternehmen befindet sich jetzt bereits zu 30% im Besitz der Deutsche Telekom.
Banken
Hier fallen insbesondere Beteiligungen an ATE (77%) und Hellenic Postbank (34%) ins Gewicht. Die Veräußerung von Anteilen der ATE-Bank hat Athen bereits in Aussicht gestellt.
Immobilien
Angekündigt hat die griechische Regierung die Gründung von zwei Dachgesellschaften für umfangreichen Immobilienbesitz, die an die Börse gebracht werden sollen. Sie sollen zahlreiche Liegenschaften umfassen, die in der Tourismuswirtschaft genutzt werden: Hotels, Thermalbäder, Strände und Jachthäfen.
Bahn
An der Eisenbahngesellschaft hält der Staat 49%, vor einem Verkauf müsste das verlustreiche Unternehmen aber erst „saniert“ werden.
Glücksspiel
Zur Debatte steht der Verkauf des 34%-Anteils des Staates am börsenotierten Wettbüro OPAP, das zuletzt am Markt mit rund 1,5 Mrd. Euro bewertet wurde. Als Berater soll hierbei u.a. die Deutsche Bank mitarbeiten. OPAP ist sehr rentabel und beschert dem Staat satte Einnahmen aus dem Glücksspielgeschäft.
Häfen9
Der Hafen von Piräus hat sich in den letzten zehn Jahren zum größten Passagierhafen Europas und drittgrößten weltweit entwickelt, er wird jährlich von mehr als 22 Millionen Passagiere frequentiert.
Der Frachthafen ist ebenfalls einer der größten Europas und soll in den kommenden Jahren zu einem führenden Container-Umschlagplatz ausgebaut werden.
Am Auto-Terminal von Piräus wurden 2009 über 275.000 Fahrzeuge abgefertigt, viele davon für den Handel mit Drittländern.
Der Hafen soll vor allem mit chinesischem Kapital weiter ausgebaut werden. Auf Pier II kam es in den letzten Jahren zu ArbeiterInnenunruhen wegen der Übergabe an das staatliche chinesische Unternehmen Cosco (China Ocean Shipping Company). Cosco hatte 2008 für 16,7 Millionen Euro das Recht erstanden, den Pier zunächst über einen Zeitraum von 30 Jahren zu betreiben.
Neben den Molen plant Piräus aber auch den Umzug des Archäologischen Museums auf das Hafengelände sowie die Errichtung eines Schifffahrts-Museums. An der Ausschreibung für die Errichtung einer dafür geplanten Einschienenbahn hat sich u.a. Siemens beworben, gegen dieses Unternehmen ermittelt eine Untersuchungskommission des griechischen Parlaments wegen Schmiergeldaffären.
Die beiden größten Hafenbetreibergesellschaften Griechenlands (OLP in Piräus und OLTH in Thessaloniki) befinden sich jeweils zu 74% in staatlichem Besitz, dazu kommen ca. 850 kleinere Häfen, die nach Regierungsplänen in einer Holding zusammengefasst und an die Börse (sprich privatisiert) werden sollen.
Im Frühjahr 2011 überboten sich die TeilnehmerInnen der „Privatisierungsdiskussion“ in hochgeschraubten Erwartungen. Während die griechische Regierung von bis zu 50 Mrd. Euro an Einnahmen ausging, bezifferte Juncker die möglichen Erlöse mit „erheblich mehr als 50 Mrd.“. Das Beratungsunternehmen Roland Berger erwartete gar 125 Mrd. Euro an Einnahmen für Griechenland aus dem Totalabverkauf seines Eigentums.
Berger unterbreitete auch den Plan, das gesamte Staatsvermögen („außer der Akropolis“) in einer Treuhand-Holding zusammenzufassen, und diese an eine EU-Institution zu verscherbeln. Mit einem Schlag würde sich das Staatsdefizit von 145% auf 90% des BIP verringern, griechische Anleihen wieder besser geratet und das Wirtschaftswachstum von -5% auf +5% hochschnellen.
In Deutschland konnte sich neben diversen CDU- und SPD-PolitikerInnen (z.B. der Fraktionsvorsitzende Walter Steinmeier) auch der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, mit dieser Idee rasch anfreunden: „Das Programm macht in Griechenland Sinn“, meinte er und sprach sich für eine Treuhandgesellschaft unter Aufsicht der EU-Kommission und des EU-Parlaments aus. Seine Einschränkung, dass „natürlich die griechische Regierung ein Mitspracherecht beim Verkauf haben müsste“, war weniger seiner „demokratischen Gesinnung geschuldet als der Suche nach einem Sündenbock, denn „das hätte auch den Vorteil, dass man den Vorwurf entkräftet, Griechenland zu entmündigen“. Auch Juncker hatte ja bereits vorgeschlagen, dass „die EU das Privatisierungsprogramm so eng begleiten wird, als würden wir es selbst durchführen“.
Um den GriechInnen die Totalprivatisierung schmackhaft zu machen, machte der IWF dieselbe schließlich zu einer der Vorbedingungen für die Überweisung weiterer Hilfsgelder an Griechenland.
Wenige Wochen später stand die neue griechische Privatisierungsbehörde namens HRADF. Ihr wurde von der Regierung nahezu das gesamte Staatsvermögen übertragen mit dem Auftrag, es so rasch wie möglich zu verkaufen. Im Direktorium finden sich Vertreter der Sozialisten, der Konservativen und der Nationalisten, die operative Führung liegt bei Kostas Mitropoulos, der zuvor die Investmentsparte der griechischen EFG Eurobank geleitet hatte, und bei dem früheren Post-Chef Andreas Taprantzis.
… lösen sich in Nichts auf
Großmundig kündigte die HRADF an, „alle zehn Tage werde ein Verkauf stattfinden“. Und schon wurden die Prognosen, was die zu erwartenden Erlöse betrifft, flugs nach unten revidiert.
Während im Juni noch von Einnahmen in der Höhe von 5,5 Mrd. Euro im Jahr 2011 die Rede war, zweifelte die Regierung bereits im Juli das Gesamtziel von 50 Mrd. bis 2015 an. Der stellvertretende Finanzminister Pantelis Oikomonou rechnete nicht mehr damit, das alles verkauft werden könne, was zur Privatisierung angeboten wurde. Da Investoren nicht am Kauf von Unternehmen interessiert seien, sondern eher an Finanzprodukten, kämen weniger als die geplanten 50 Mrd. zusammen.10
Was er nicht dazu sagte, schrieb die Frankfurter Rundschau bereits am 2. Juni 2011: „Selbst wenn die geplanten 50 Mrd. bis 2015 erlöst werden können, würden dadurch die Staatsschulden auf Grundlage der aktuellen Daten nur von 153,2% des BIP auf 131% sinken – keine wirkliche Wende.“11
Im Jänner 2012 erklärte der neue Chef der Privatisierungsbehörde, Koukiadis, dass im laufenden Jahr statt der geplanten 11 Mrd. bestenfalls 4,7 Mrd. Euro an Verkaufserlösen zu erwarten seien, womit die Haushaltsplanung für 2012 bereits Makulatur ist.
Warum das ursprüngliche Einnahmeziel und seine neue Schätzung so weit auseinanderklaffen, begründete Koukiadis mit den Worten: „Die Zahlen, die genannt worden sind, können auf keinen Fall verwirklicht werden. Im Übrigen sind diese Zahlen auf gut Glück festgelegt worden.“12
Im März 2012 meldete die HRADF schließlich, dass 2011 insgesamt 1,8 Mrd. Euro an Einnahmen aus Privatisierungen zu verbuchen waren, ein Drittel der geplanten Summe. Der größte Teil davon (1,42 Mrd.) bestand allerdings aus der Vergabe von Lotterielizenzen, wozu das manager magazin anmerkte: „Das Geld fließt erst später“. Somit blieben 380 Millionen Euro an Einnahmen aus dem Verkauf von Mobilfunklizenzen. 13
Auch für die Deutsche Bank kamen plötzlich Zweifel am Wert der griechischen Staatsunternehmen auf. Der Wert der börsenotierten Staatsbeteiligungen sei in den letzten Monaten gegen Null gefallen, selbst der Drittel-Anteil an der Gewinnmaschine OPAP sei keine Milliarde mehr wert, ganz zu schweigen von der Postbank, die vor kurzem noch mit einer der europaweit höchsten Kapitalquoten glänzte. „Der Markt scheint nicht an den Erfolg der Privatisierungen zu glauben“, erklärte der italienische Ökonom Paolo Manasse von der Uni Bologna, der hinzufügte, dass der Verkauf der staatlichen Unternehmen zwar die Staatsschulden mindere, aber in weit größerem Umfang auch die Einnahmen des Staates.
Eine Londoner Forschergruppe um den Betriebswirt Michael Jacobides forderte, die Privatisierungspläne zu überdenken. Die britische Erfahrung zeige, dass „ein Massenverkauf in einem schrumpfenden Markt zu einem Kollaps der Vermögenspreise führen kann“, warnte sie in Hinblick auf die griechischen Immobilien. Zusätzlich würde schrumpfendes Immobilienvermögen die Kaufkraft und den Konsum der GriechInnen weiter abwürgen.14
Schuldenschnitt15
Am 10.3.2012 meldet u.a. der Standard, dass „private Gläubiger den Griechen mehr als 100 Mrd. Euro an Schulden erlassen“. Hinter dieser runden Summe versteckt sich eine Menge an finanztechnischen Tricks, die alles andere als einen „Schuldenerlass“ bedeuten.
Für 1.000 Euro an griechischen Anleihen erhalten die Anleger mehrere neue Wertpapiere, nämlich
* eine Anleihe im Wert von 315 Euro. Diese Anleihe wird anfangs mit 2%, später dann mit 3% bzw. 4,3% verzinst. Nach den festgelegten 30 Jahren Laufzeit erhalten Anleger somit ziemlich genau wieder 1.000 Euro zurück.
* einen „Besserungsschein“, der ab 2015 die Verzinsung der Anleihen um 1% bewirkt, wenn die griechische Wirtschaft bestimmte Schwellen erreicht. Unter dieser Voraussetzung erhöht sich die Rückzahlung nach 30 Jahren auf ca. 1.200 Euro.
* eine Anleihe des Rettungsschirms (EFSF) über 150 Euro, die binnen zwei Jahren in eine Barauszahlung umgewandelt werden kann. Unter der (unrealistischen, weil nicht gerade am besten verzinsten) Annahme, dass diese 150 Euro ebenfalls in die „neuen“ griechischen Anleihen umgewandelt würden, sich somit die Anleihe von 315 auf 465 Euro erhöhen würde, erhöht sich die Rückzahlung nach 30 Jahren auf nahezu 2.000 Euro.
Nicht berücksichtigt ist bei dieser Berechnung die Inflation in den nächsten 30 Jahren, die vermutlich einen Großteil der Zinsgewinne (bzw. der Anleihewerte selbst) zunichte machen wird. Das bedeutet für die Anleger, dass sie tatsächlich einen Großteil ihres Kapitals verlieren könnten, für Griechenland aber, dass es weiterhin keinen Ausweg aus der Schuldenspirale geben wird.
Wer sind nun diese Anleger?
Am „freiwilligen Schuldenschnitt“ haben vor allem die Großbanken, Deutsche Bank, Commerzbank, Allianz, BNP Paribas, Intesa Sanpaolo oder UniCredit teilgenommen. Teilweise haben sich diese Anleger aber gegen Kreditausfälle „versichert“, indem sie CDS (credit default swaps, das sind die wunderbaren Wertpapiere, die bereits 2008 eine wichtige Rolle beim Krisenausbruch in der subprime Krise gespielt haben) gekauft haben.
Für diese CDS steht in Österreich u.a. die „notverstaatlichte“ KA Finanz, das ist die „bad bank“ der Kommunalkredit, gerade. Die Kommunalkredit macht sowohl beim Schuldenschnitt mit, und sie hat CDS über 500 Mill. Euro in ihren Büchern stehen, von denen sie vermutlich 80% abschreiben wird müssen. Allein die Kommunalkredit wird somit vermutlich einen Verlust von 1 Mrd. Euro hinnehmen müssen. Für sie gilt die Propaganda, dass „private Anleger“ auf einen Teil ihrer Forderungen gegenüber Griechenland verzichten, nicht, denn sie wurde vorsorglich verstaatlicht, um ihre Verluste zu sozialisieren.
Ähnliches gilt für Deutschland. Anlageberater werben bereits damit, dass etwa die Deutsche Bank am „haircut“ in Griechenland verdient. Zum einen hat die Deutsche Bank nur 1,6 Mrd. Euro an Griechenland verliehen, denn auch in Deutschland tragen die Landesbanken (die sich in öffentlichem Besitz befinden) den größeren Teil des „haircut“. Zum anderen können die Verluste aus dem Schuldenschnitt von Privaten abgeschrieben werden und sind somit automatisch „steuerlich gefördert“.16
Und nicht zu vergessen, der Schuldenschnitt macht Griechenland wieder „anlagefähig“. Bereits am 13. Februar 2012 bewertet die Ratingagentur Fitch die neuen griechischen Staatsanleihen wieder mit der Note „B“, was sie zum einen wieder handelsfähig macht, zum anderen aber weiterhin hohe Zinsgewinne verspricht.
Produktivitätssteigerung
„In der Volkswirtschaftslehre wird unter Produktivität das Verhältnis zwischen dem, was produziert wird und den dafür beim Produktionsprozess eingesetzten Mitteln verstanden“.17Daher ist die naheliegendste Form der Produktivitätssteigerung aus Sicht des Kapitals die Verschlechterung der Bedingungen für die Arbeitenden. Das bedeutet sinkende Löhne, wodurch die „beim Produktionsprozess eingesetzten Mittel“ verringert werden, und wegen steigender Arbeitslosigkeit erhöhten Arbeitsdruck. Landläufig nennen wir diesen Vorgang Sozialabbau.
Roland Berger führt als erfolgreiches Beispiel für die Produktivitätssteigerung die Regierung Gerhard Schröder an: Die Steuersenkungen für Unternehmen, die Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat (Hartz IV) und ein flexibler Arbeitsmarkt hätten dafür gesorgt, dass die Lohnstückkosten in Deutschland im letzten Jahrzehnt um nur 3,9% gestiegen sind, in den anderen EU-Ländern aber um 20% bis 30%.18
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, eine gelehrige SchülerIn Helmut Kohls, popularisierte die Produktivitätsdebatte, indem sie vorschlug, die „Anzahl der Urlaubstage für griechische Arbeitnehmer zu verringern und gleichzeitig das Rentenantrittsalter zu erhöhen“, um „europäisches Niveau“ zu erreichen. Wohl wissend, dass die Urlaubszeiten und das Pensionsalter in Griechenland genauso geregelt sind wie in Deutschland. Der Präsident des portugiesischen Gewerkschaftsdachverbandes CGTP, Manuel Carvalho da Silva, bezeichnete Merkels Äußerungen denn auch zutreffend als Kolonialismus pur.
Sparpakete …19
Um nun die Voraussetzungen für eine Produktivitätssteigerung in Griechenland zu schaffen, folgen dort die „Sparpakete“ im Zweimonatsrhythmus aufeinander.
1. Sparpaket, März/April 2010
Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19% auf 21%, Kürzung der Beamtengehälter, Einsparung von Verwaltungsausgaben um 1,9 Mrd. Euro.
2. Sparpaket, Mai 2010
Einfrieren der Beamtengehälter über 2.000 Euro, Abschaffung der Steuerbefreiungen, Reduzierung der Verwaltungsebenen von fünf auf drei, Reduzierung der Stadtverwaltungen von derzeit über 1.000 auf 370, Streichung des 13. und 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst, Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst, nur jede 5. frei werdende Stelle soll nachbesetzt werden; Anhebung des durchschnittlichen Rentenalters von 61,3 auf 63,4 Jahre, Anhebung der Mehrwertsteuer von 21% auf 23%, Erhöhung der Steuern auf Tabak, Spirituousen und Kraftstoff.
3. Sparpaket, Juni 2011
Leistungskürzungen und Steuererhöhungen, Anhebung der Vermögenssteuer, Anhebung der Mehrwertsteuer, Einführung einer „Solidaritätssteuer“, Wegfall vieler Steuerbefreiungen, Reduzierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um 150.000 bis 2015. Die verbleibenden BeamtInnen müssen länger arbeiten. Das Vermögen von „LeistungsbezieherInnen“ soll überprüft und eine Reihe von Leistungen gekürzt werden. Weitere Einsparungen von 310 Mill. Euro 2011 und von weiteren 1,43 Mrd. Euro bis 2015, etwa durch Absenkung der staatlich festgesetzten Preise (Zuschüsse?) für Medikamente.
Der wichtigste Punkt bei diesem Sparpaket, der Voraussetzung für die Freigabe der 5. Tranche des ersten „Rettungspakets“ von EU und IWF war: 50 Mrd. sollen durch Privatisierungen und Verkauf staatlicher Immobilien erlöst werden.
4. Sparpaket, September/Oktober 2011
Einführung des „Multi“-Gesetzes, es ermöglicht Entlassungen im öffentlichen Dienst. Die zu Entlassenden werden in eine neu geschaffene „Arbeitsreserve“ verschoben und erhalten noch maximal ein Jahr lang 60% ihres bisherigen Lohns. Löhne der Staatsbediensteten und viele Renten werden nochmals um 20% gekürzt. Steuerfreibetrag wird von 8.000 auf 5.000 Euro gesenkt, Verbindlichkeit der Tarifverträge wird abgeschafft. Bereits im September beschlossen: neue Sonderimmobiliensteuer, die mit der Stromrechnung eingetrieben wird.
… und kein Ende
Ein weiteres Sparpaket folgte im Frühjahr 2012, und im Juni soll wiederum eines beschlossen werden, bei dem vor allem die Renten, die bereits einmal um 25% gekürzt wurden, nochmals stark abgesenkt werden sollen.
… und die Folgen20
Das am 28. Februar 2012 verabschiedete Sparpaket senkte u.a. den Mindestlohn um 22% auf knapp über 500 Euro. Parallel dazu sinkt das Arbeitslosengeld auf höchstens 360 Euro, wobei Griechenland das einzige Land in der EU ist, das keinerlei Sozialhilfe vorsieht. Das bedeutet, spätestens nach einem Jahr Arbeitslosigkeit erhalten die Menschen keinerlei Unterstützung vom Staat mehr.
Und während das Bruttoinlandsprodukt seit 2008 jährlich schrumpft (2011 um 7%, für heuer werden ähnliche Werte erwartet), werden die staatlichen Ausgaben im Gesundheits- und Bildungsbereich massiv zurückgefahren. Immer mehr Menschen leben praktisch nur noch von ihrem Ersparten, immer mehr Menschen (vor allem MigrantInnen) ziehen mit Einkaufswägen durch die Stadt und sammeln aus Mülltonnen wiederverwertbare Materialien, die sie zu verkaufen versuchen. Immer mehr Menschen ernähren sich in Suppenküchen, die von der Kirche, NGOs, Freiwilligen und Stadtverwaltungen finanziert werden. Dort kann man auch Kleidung und Medikamente bekommen. Die Kirche verteilt nach eigenen Angaben in Athen 200.000 Essensrationen am Tag. Man hört von SchülerInnen, die während des Unterrichts aufgrund von Unterernährung in Ohnmacht fallen.
Inzwischen zeigen diese Maßnahmen bereits erste Wirkungen im Sinne des Kapitals: Jugendlichen unter 24 Jahren wurde der Mindestlohn nochmals um 10% gekürzt – seither gibt es immer mehr Jobangebote speziell für Leute bis 24! Das Ende der Kollektivverträge führte dazu, dass viele Vollzeitarbeitsverträge in Teilzeit- oder flexible Arbeitsverträge umgewandelt wurden. ArbeiterInnen in kleinen Betrieben können auf diese Angriffe kaum reagieren. Etwa die Hälfte aller Kleinbetriebe bleibt ihren langjährigen Angestellten monatelang den Lohn schuldig. Allein 2011 sind etwa 35.000 (vorwiegend kleine) Unternehmen bankrott gegangen.
Widerstand …21
Mit den zunehmenden Krisenangriffen stehen einander zwei soziale Tendenzen immer stärker gegenüber: solidarisches Verhalten oder sozialer Kannibalismus, kollektive Lösung oder persönliche Rettung.
Alles Interessante, was in Griechenland gerade passiert, passiert unterhalb der traditionellen Organisationen, an der Basis. Niemand glaubt mehr ans Parlament, es gibt ein allgemeines Mißtrauen gegen das politische System, ein Drittel der Leute wird nicht mehr wählen gehen.
Auch was am Arbeitsplatz organisiert wird, kommt auf Druck der ArbeiterInnenbasis zustande. Allerdings ist der Weg der Organisierung von unten und der praktischen „kleinen Revolten“ ein sehr langer. Ein paar Beispiele für Kämpfe der letzten Zeit:
Besetztes Krankenhaus in Kilkis/Nordgriechenland
In ihrer ersten Erklärung Anfang Februar kündigten die Beschäftigten an, das Krankenhaus zu besetzen und unter Selbstkontrolle zu stellen; sie würden nur noch Notfälle behandeln und Leute kostenlos versorgen. Mit der zweiten Erklärung vom 26. Februar gaben sie bekannt, dass sie das Krankenhaus seit dem 20. Februar besetzt haben. Gewerkschafter und die leitenden Beamten aus der Verwaltung haben die Vollversammlung der Belegschaft verlassen. Basisdemokratische Arbeitsgruppen unter der Kontrolle der Vollversammlung verwalten nun das Krankenhaus. Ihre Ziele überwinden die Funktion des Krankenhauses und sind auch politisch: sie fordern die Unterstützung der Gesellschaft, Ausweitung von (dauerhaften und nicht symbolischen) Besetzungen auf Betriebe und öffentliche Räume sowie eine friedliche Umwälzung der Regierung.
Sie fordern auch Überstundenbezahlung, Nachtschichtzulage, Finanzierung des Gesundheitssystems, Einstellung von mehr Leuten, Abschaffung der Subunternehmer, Direkteinstellung der Putzfrauen usw.
Am 17. März ging die Besetzung leider zu Ende. In ihrer Erklärung dazu sagen die Leute, dass einige von ihnen bedroht wurden, in andere Krankenhäuser versetzt zu werden; außerdem hätten sich am Ende immer weniger aktiv an den Streikposten beteiligt.
Medien
In der Medienbranche gibt es noch relativ große Belegschaften, die fast alle angegriffen wurden. Viele Zeitungen sind bankrott, und die Belegschaften haben keine andere Perspektive.
Eleftherotypia ist eine Zeitung, die nach der Diktatur gegründet wurde, linksliberal, aber linker als die deutschen Alternativen, sie war die beste Tageszeitung in Griechenland. 900 Angestellte haben das Gebäude besetzt, nachdem sie seit Monaten keinen Lohn bekommen hatten. Sie haben bisher zweimal eine Streikzeitung herausgegeben, Die Arbeitenden. Die erste Ausgabe hatte eine Auflage von 31.000, die zweite von 61.000 Exemplaren.
Canal Alter ist ein besetzter Fernsehsender. Anfangs sendete die Belegschaft sporadisch Berichte und Liveschaltungen, mittlerweile ist der Kabelkanal aber tot, er wurde gekappt.
Hotels und Gastronomie
Diese Branche boomt im Sommer und ist – wie der Tourismus allgemein – das Paradies der Schwarzarbeit. Es gibt so gut wie keine gewerkschaftlichen Vertretungen, die Betriebe sind über das ganze Land verteilt. Außer in Athen und Thessaloniki haben die Belegschaften nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sich zusammenzuschließen. Trotzdem gibt es immer wieder vereinzelte Streiks, in Athen und Thessaloniki gab es in den letzten zwei Jahren Mobilisierungen gegen Entlassungen.
Bei einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg-Stiftung in Berlin berichteten griechische AktivistInnen:
Nicht Griechenland würde momentan gerettet, wie die Medien behaupten, sondern die Banken, Versicherungen und institutionellen Anleger, die griechische Staatsanleihen halten. Die Rechnung dafür müssen die ArbeitnehmerInnen tragen, während die griechische Oberschicht bereits 200 Mrd. Euro in die Schweiz und andere Länder geschafft habe.
Der Stahlarbeiter Katsaros verwies darauf, dass Griechenland zu einem Experimentiertfeld mit Modellcharakter für das restliche Europa geworden sei: Die Kürzungen, die jetzt der griechischen Bevölkerung drohen, werden schon bald auch in Spanien, Italien und irgendwann Deutschland kommen. Katsaros schilderte den Kampf in seinem Stahlwerk Elliniki Chalywurgia, dessen Arbeiter seit 135 Tagen gegen Entlassungen und Lohnkürzungen streiken. Dieser Streik wurde von gewerkschaftlichen Basisgruppen organisiert und musste weitgehend ohne Unterstützung der großen Gewerkschaftsverbände geführt werden, die, so Katsaros, aufgrund ihrer Nähe zur sozialdemokratischen PASOK oft keinen konsequenten Kampf gegen die Politik der Troika in Griechenland führen würden. „Das Kapital wird nicht aufhören, bis alle Arbeitnehmerrechte weltweit platt gewalzt sind. Wir Arbeiter müssen unsere Rechte verteidigen, die wir in Jahrzehnten erkämpft haben!“, so der Stahlarbeiter.
Frau Daskalopulou von der Zeitung Eleftherotypia meinte, in Griechenland gäbe es eine neue Diktatur, „eine Diktatur der Märkte. Die Diktatoren von heute kommen nicht mehr in den Uniformen der Generäle daher, sondern in den Anzügen der Banker.“ Sie schilderte die soziale Verwüstung in Griechenland in Folge der aufgezwungenen Sparmaßnahmen. Athen befinde sich am Rande eines humanitären Notstandes, 250.000 Menschen seien bereits auf Ernährung durch Suppenküchen angewiesen. „Feministinnen der Generation meiner Mutter kämpften für das Recht, keine Kinder bekommen zu müssen. Feministinnen meiner Generation kämpfen heute dafür, noch Kinder kriegen zu können, denn wir können uns aufgrund der neuen Armut keine mehr leisten.“ Sie schilderte den Kampf der JournalistInnen, DruckerInnen und Angestellten ihrer Zeitung, die seit Dezember im Streik sind, täglich auf Versammlungen über den weiteren Verlauf des Streiks beschließen und mittlerweile täglich eine Streikausgabe ihrer Zeitung unter Kontrolle der Beschäftigten herausbringen.
Der Arbeitsrechtler Kapsalis erläuterte die fundamentalen Angriffe auf Gewerkschaftsrechte und die Tarifautonomie, die sich momentan in Griechenland vollziehen. So droht Beschäftigten, die innerhalb von drei Monaten keinen neuen Tarifvertrag schließen, ein automatischer Absturz ihres Lohnes auf das Niveau des jetzt auf 620 Euro im Monat abgesengten Mindestlohns. Erstmals in der jüngeren griechischen Geschichte gelten nicht mehr gewerkschaftlich ausgehandelte Branchentarifverträge als verbindlich; statt dessen gäbe es nun die Möglichkeit für Arbeitgeber, individuelle Verträge mit den einzelnen Beschäftigten oder Personenvereinigungen abzuschließen und die Gewerkschaften außen vor zu lassen.
Drei Tage der Wut23
Während das Parlament in Athen am Sonntagabend, 12. Februar 2012, über das von der Troika geforderte Sparpaket abstimmte, demonstrierten etwa 200.000 Leute in Athen und auf dem Syntagmaplatz vor dem Gebäude. Davor hatte es am Freitag und Samstag einen zweitätigen Generalstreik gegeben. Abends kam es landesweit zu den schwersten Krawallen der letzten 20 Jahre in Griechenland. In Athen wurden mindestens 45 Gebäude zerstört oder abgebrannt, darunter auch Kinos, Banken und Cafés. Die chaotische Seite war, dass auch kleine Geschäfte zerstört und geplündert wurden. Die Auseinandersetzungen zogen sich lange hin, die meisten Leute waren fünf bis sieben Stunden auf der Straße, deutlich länger als beim Generalstreik.
Im ganzen Land kommt es dazu noch zu Besetzungen von Rathäusern. Fakultäten, etc. und mindestens 1500 Gefangene beteiligen sich an den Kämpfen. Außerdem finden in mehreren Orten wilde Streiks und Betriebsbesetzungen statt. Allein in Iraklion auf Kreta demonstrierten 15.000 Menschen.
Auch in anderen Teilen Griechenlands kam es zu Demonstrationen, z. B. in Thessaloniki, Kozani, Volos, Trikala und der Insel Skopelos. Die Präfektur der Stadt Larisa wurde besetzt und auch die der Stadt Korfu. Auf der Insel Kreta besetzten Studenten die Polytechnische Uni von Chania und riefen die Bewohner der Stadt dazu auf, mit ihnen gemeinsam an der Streikdemo teilzunehmen. Das Rathaus in Rethymnos wurde ebenfalls besetzt. In Heraklion (Kreta) blockierten etwa 50 Anarchisten in Solidarität mit dem Arbeitskampf der Kaufhausangestellten des gleichen Konzerns, die sich seit 15 Tagen im Streik befinden, den Supermarkt Ariadni. Die selben Protestierenden blockierten auch eine Filiale der Alpha Bank. Anteilseigner dieser Bank ist Manesis – der Großindustrielle, der auch Besitzer der „Griechischen Stahlwerke“ in Aspropyrgos ist, wo die Stahlarbeiter immer noch kämpfen und gerade den 101. Tag ihres Streiks hinter sich gebracht haben.
… und ein Hinweis an uns alle
Seit Jahren schon verfolgt der innere Klassenfeind [gemeint ist die griechische Bourgeoisie] die heutigen Sparmaßnahmen und Arbeitsreformen, seine think tanks hatten immer wieder Studien vorgelegt
Der Nationalstaat ist der zentrale Kommandant der Disziplin. Die zentrale Rolle der griechischen Bosse und Politiker bei den Sparmaßnahmen muss immer wieder aufgezeigt werden!
Gegen die Rolle der Troika und der ausländischen Banken beim Durchsetzen der Sparprogramme muss die Arbeiterklasse in den jeweiligen Ländern kämpfen.
Die Krise ist für uns keine nationale Frage, sondern eine Frage des Klassenkampfs.24
Anmerkungen
1 Das Beratungsunternehmen Roland Berger ist eines der größten der Welt, es erwartete gar 125 Mrd. Euro an Einnahmen für Griechenland aus dem Totalabverkauf seines Eigentums. Siehe auch diepresse.com/home/wirtschaft/economist/672358/Roland-Berger-will-die-Griechen-retten
2 www.euractiv.de/finanzen-und-wachstum/artikel/treuhand-loesung-fr-griechenland-004840
3 Martin Seckendorf in Otto Köhler, Die große Enteignung
4 www.tlaxcala-int.org
5 www.fr-online.de/schuldenkrise/privatisierungen-juncker-will-treuhand-fuer-griechenland,1471908,8475572.html
6 www.euractiv.de/finanzen-und-wachstum/artikel/treuhand-loesung-fr-griechenland-004840
7 Die Darstellung folgt im wesentlichen Otto Köhler, Die große Enteignung, Verlag Das Neue Berlin. Neuauflage 2011.
8 www.tageblatt.lu/nachrichten/story/12885804
9 Diese Zusammenfassung stammt vom 14.9.2010 (www.nzz.ch/nachrichten/wirtschaft/aktuell/grosse_plaene_griechenlands_fuer_den_hafen_von_piraeus_1.7547686.html)
10 www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/0,2828,823281,00.html
11 www.fr-online.de/wirtschaft/eurokrise-tafelsilber-und-schrott,1472780,8517014.html
12 diepresse.com/home/wirtschaft/eurokrise/727916/GriechenlandPrivatisierung-laeuft-katastrophal
13 www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/0,2828,823281,00.html
14 www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/0,2828,823281,00.html
15 derstandard.at/1331206929294/Auf-einen-Blick-Fragen--Antworten-zum-Haircut
16 www.gevestor.de/details/bankenstress-griechenland-deutsche-bank-verdient-sogar-geld-bei-haircut-investieren-lohnt-sich-501935.html
17 wikipedia.de
18 diepresse.com/home/wirtschaft/economist/672358/Roland-Berger-will-die-Griechen-retten
19 wikipedia.de
20 wildcat 92
21 wildcat 92
22 www.rosalux.de/event/45627/griechenland-demokratie-unter-beschuss.html
23 wildcat 92, radio-kreta.de/griechenland-3-tage-der-wut-auch-auf-kreta/
24 D., Athen, in wildcat 92