Mail & Guardian, 17.8.2012 - http://mg.co.za/article/2012-08-17-00-lonmin-crisis-a-tinderbox-of-discontent
Lonmin-Krise: ein Pulverfass der Unzufriedenheit
Es war spätabends am Mittwoch (15.8.2012), als die Sonne hinter dem Hügel verschwand, wo rund 3.000 streikende Arbeiter der Lonmin-Mine ein Lager errichtet hatten.
Den ganzen Tag über hatte es einen Medienzirkus auf dem offenen Feld im Westen der informellen Siedlung Nkanini gegeben, wo einige der Arbeiter unter fürchterlichen Bedingungen leben müssen. Die JournalistInnen, die sich gleich hinter den rund 30 Polizeifahrzeugen, rund 150 Meter von den Minenarbeitern entfernt befanden, hatten ihre Augen auf „action“ trainiert, während ihre Fahrzeuge in die entgegengesetzte Richtung geparkt waren, fluchtbereit, sollte das notwendig werden.
Am Mittwoch jedenfalls gab es keine Gewalt in dem wochenlangen Streik in einer der drei Minen von Lonmin. Als früher an diesem Tag die Verhandlungen über Entwaffnung kollabierten und die Minenarbeiter ihren Trotz durch das Singen von Liedern ausdrückten, lag so etwas wie ein militärisches Patt der Kolonialzeit in der Luft – Gewehre gegen Speere – und doch konnte mensch sich des Gefühls nicht erwehren, dass dieser Tag verschwendet worden war, durch leere Posen auf beiden Seiten.
Dann, gegen 17:30 Uhr, kam ein Konvoi von Autos mit dem Präsident der National Union of Mineworkers (NUM), Senzeni Zokwana an und parkte in der Nähe des Polizeilagers. Zokwana und einige Minenarbeiter wurden in ein gepanzertes Polizeifahrzeug gebracht und einige hundert Meter weit geführt, um seine „Verfassungsmässigkeit“ aus dem Nyala1heraus zu zeigen. Nachdem er die unempfänglichen Arbeiter aufgefordert hatte, zurück zur Arbeit zu gehen und die Arbeiter sich weigerten, das Nyala zu verlassen, verließ Zokwana eilig die Szenerie, den Schwanz zwischen seinen Beinen eingezogen.
Die Ankunft des Präsidenten der rivalisierenden Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU), Joseph Mathunjwa, nur wenige Minuten später, war ein völlig gegensätzlicher Auftritt. Flankiert von zwei Kollegen weigerte sich Mathunjwa zunächst, ins Nyala zu steigen (ein Punkt, den er während seiner Sonnenuntergangsrede des öfteren hervorhob), er bevorzugte es, daraus eine Mahlzeit zuzubereiten, indem er zu Fuss zur versammelten Menge ging.
Die Polizei und die Sondereinsatzkräfte versuchten, ihn dazu zu überreden, diesen Gang zu unterlassen. Nicht weil er sich in Gefahr begeben hätte können, sondern weil es zu offensichtlich ein Signal für die Wachablösung in Lonmin gewesen wäre, sogar für die JournalistInnen, die sich hinter einem menschlichen Schutzschild von Sondereinsatzkräften verschanzt hatten.
Günstige Bedingungen
Mathunjwa‘s Ansprache war eine Lektion darin, die Menge unter Kontrolle zu bringen, gepfeffert mit Parolen und Phrasen, die Loyalität zeigten. „Ihr seid keine Bazillen, ihr seid genau so wie wir“, rief er in schlechtem Xhosa und erntete teilweise herzliche Reaktionen. „Niemand wird entlassen werden … aber ich muss euch darüber aufklären, dass die Polizei das hier zu einer Sicherheitszone erklärt hat“.
Mathunjwa sagte, dass es eine Schande sei, dass nach 18 Jahren der Demokratie Arbeiter immer noch 4.000 Rand2monatlich verdienen. Er ersuchte die Arbeiter um ihr Vertrauen darin, dass er helfen werde, bessere Bedingungen bei Wiederaufnahme der Arbeit herauszuholen, ehe er die Führer der Arbeiter dazu aufrief, ihre Beschwerden vorzutragen. Innerhalb von 45 Minuten, als die Dämmerung der Nacht wich, war Mathunjwa fertig und machte sich davon.
Wieder einmal hatten die versammelten Arbeiter gesprochen. Wie bei Implats, wo die Peinlichkeit der NUM vom Generalsekretär der COSATU, Zwelinzima Vavi, noch übertroffen wurde, standen die Zeichen für NUM bei Lonmin schlecht.
Früher an diesem Tag hatten Arbeiter geprahlt, wie todesmutig sie angesichts der Polizeipräsenz seien. Dienstag abend hatten fünf Hippos3sich gleich hinter dem kleinen Hügel postiert, Tränengaskanister und Waffen vor den tanzenden Arbeitern geschwungen, so sagten diese. Ein junger, gutrasierter, Xhosa sprechender Sprecher der Streikenden in grün-schwarzem Trainingsanzug, der sich selbst als Nzuza vorstellte, sagte: „Wir sind nicht davongelaufen, deshalb sind sie abgehauen.“
Nzuza sagte, ein Hubschrauber, der über den versammelten Arbeitern gekreist sei, hätte ebenso seine Flughöhe gesenkt, um auf die bewaffneten Soldaten aufmerksam zu machen, ehe er weggeflogen sei. Am Mittwoch sagte er zu Journalisten: „Die Polizei hat gesagt, sie möchten uns ein Feedback vom Management überbringen, aber sie rücken mit nichts heraus. Sie wollen uns, die Führer, verhaften, damit dieser Streik zu einem Ende kommt. Wir möchten, dass der Arbeitgeber herkommt. Ian Farmer (Vorsitzender von Lonmin) muss kommen. (Barnard) Mokwena (der Vizepräsident für Humankapital und Außenbeziehungen) ist bloß ein Briefträger.“
Nzuza erklärte den JournalistInnen, dass die Männer sich nicht unter der Fahne einer bestimmten Gewerkschaft versammelt hätten, und dass der Streik vielleicht von Arbeitern an den Bohrern begonnen worden sei, aber „alle bei Lonmin“ seien hier vertreten. Seine Co-Sprecher, ein größerer Mann, der zwei Speere mit sich führte und einen grünen Kilt am Rücken trug, behauptete, die Verhandlungen mit der Polizei am Mittwoch seien abgebrochen worden, weil die Arbeiter erkannt hatten, dass „NUM-Mitglieder in den Hippos waren, genau dieselben Leute, die uns (am Samstag) umgebracht haben“. „Welche Polizisten sprechen denn Fanakano?“ fragte er.
Vergeltungskampagne
Die Minenarbeiter, die mittels peer representation sprachen, sagten, dass sie sich seit Sonntag am „Berg“ gesammelt hätten, nachdem am Samstag im nahegelegenen Wonderkop Hostel angeblich „von Heckenschützen in roten T-Shirts der National Union of Mineworkers“ auf sie gefeuert worden ist, wobei zwei Arbeiter ums Leben gekommen sind.
Seither haben sie, so sagen sie, eine Vergeltungskampagne gestartet, wobei unter den Opfern auch Polizisten und Security-Angehörige seien. Ein Mann wurde am Dienstag in gekreuzigter Stellung am Fuß des Hügels gefunden, sein Kopf war eingeschlagen und am Körper wies er Stichwunden auf, angeblich hat er die Todsünde der „Informationsbeschaffung“ begangen. Sein lebloser Körper war den ganzen Tag über als Warnung für nicht Streikende zu sehen.
Polizeisprecher Dennis Adriao sagte: „Von seiten der Polizei möchten wir ein einvernehmliches Ende dieser Situation erreichen. Die Arbeiter müssen sich entwaffnen und zerstreuen. Wir haben mit den Arbeitern gesprochen. Wir haben mit den Gewerkschaftsführern gesprochen, mit Arbeitern und mit dem Minen-Management. Wenn es heute zu keinen Ergebnissen kommt, werden wir morgen gezwungen sein zu handeln.“
Dienstag abend machte die Polizei ihre Drohung wahr, sie tötete mehrere Arbeiter, zusätzlich zu den 10 Fällen früher in dieser Woche, unter denen 2 Polizisten waren.
Der ungeschützte Streik begann Ende letzter Woche, als sich an die 3.000 Bohr-Arbeiter am Freitag versammelten und angeblich Angestellte bedrohten. Seither fordern sie 12.500 Rand monatlich für die am schlechtesten Entlohnten, unter denen sich die Bohr-Arbeiter und ihre Helfer befinden.
Verhandlungen
Wie in Implats im Februar folgte ein öffentliches sich gegenseitig Beschuldigen von NUM und AMCU. Mathunjwa‘s Schlusswort bei einer Sendung von SAFM am Mittwochmorgen gegenüber dem Generalsekretär der NUM, Frans Baleni: „Greift nicht zur Gewalt, wenn ihr Mitglieder verliert. Assoziationsfreiheit. 1994 haben wir für diese Freiheit gestimmt.“ Die NUM hat inzwischen hervorgehoben, dass die Gewalt Teil einer Einschüchterungsstrategie ist. „Eastern Platinum möchte wieder arbeiten.“ Baleni sagte zuvor in dieser Sendung: „Gestern habe ich Arbeiter getroffen, 5.000 von ihnen … Alle Mörder sollen verhaftet werden, auch wenn sie NUM-Mitglieder sind.“
Nach ihrem täglichen Treffen beim Hügel kehren die meisten streikenden Arbeiter zurück ins Wonderkop Hostel. Bei einer Pressekonferenz bei Lonmin am Vortag sagte Baleni: „Wie unsere Mitglieder vermuten, kommt alle Gewalt von dieser verzweifelt kleinen Gewerkschaft. Alle Verhafteten sind von dieser Gewerkschaft. Die Bestätigung dafür wird bald folgen.“
Mokwena von Lonmin sagte, dass die AMCU 21% Mitglieder unter den verhandelnden Gruppen habe. Aber das scheint sich zugunsten von AMCU zu ändern, denn NUM verliert Mitglieder unter den Minenarbeitern. Zu versuchen, Arbeiter zu finden, die sich offen zur NUM bekennen, ist ein wenig viel verlangt in Wonderkop wegen der Unzufriedenheit und der Einschüchterungen.
Lonmin stellte am Donnerstag nachmittags fest: „Die streikenden Bohrarbeiter sind immer noch bewaffnet und bleiben der Arbeit fern. Das ist nach dem Arbeitsgesetz illegal. Deshalb wurde den illegal Streikenden – in Übereinstimmung mit einem Gerichtsbeschluss vom 11. August 2012, heute (16.8.) ein letztes Ultimatum gestellt, an die Arbeit zurück zu kehren, und zwar zu ihrer nächsten Schicht am Freitag, 17. August – oder sie riskieren die Entlassung … Wegen der Betriebsstörung hat Lonmin bisher sechs Tage an Minenproduktion verloren, das entspricht rund 300.000 Tonnen Gestein oder 15.000 Unzen Platin.“4
Crispen Chinguno, ein baldiger Absolvent der Wits School of Science, der sich in den letzten Jahren mit dem Studium von Gewaltmustern in Platinminen in der Gegend Rustenberg beschäftigt hat, sagte, dass Gewalt bei Streiks in dieser Region inzwischen zur Routine geworden ist.
„Die Arbeiter spüren, dass sie sowohl positive als auch negative Seiten hat“, sagte er. „Bei Implats, wo die Arbeiter ebenfalls Lohnerhöhungen abseits von Tarifverhandlungen forderten (9.000 Rand), erhielten sie schlussendlich mehr als 8.000 Rand. Der Streik war illegal, einige wurden entlassen, aber die meisten von ihnen erhielten die Jobs zurück. Von dieser Warte aus betrachtet spüren die Arbeiter, dass der Einsatz von Gewalt für sie arbeitet. Die negativen Aspekte sind, dass einige die Jobs verlieren, dass es Verletzte und Tote gibt.“ Chinguno glaubt, dass sich dieses Muster, wie bereits geschehen, in anderen Minen wiederholen könnte. Unlängst hat es in der Aquarius Platin-Mine Kroondal Tote gegeben.
Das hohe Niveau an Verstimmung in den Werkstätten gegenüber den etablierten Gewerkschaften wie NUM öffnet anderen Gewerkschaften Tür und Tor, die den Arbeitern bessere Vertretung versprechen. Das wird oft, wie beispielsweise von der NUM, als Gewalt beschrieben, als opportunistische und unethische Rekrutierungsmethode.
Chinguno, den seine Forschungen nach Aquarius, Implats, Lonmin und Anglo Platinum führten, glaubt, dass eine weitere Erklärung für die Gewalt in der Tatsache liegt, dass Arbeiter fragmentierter sind als früher. Einige leben in informellen Siedlungen außerhalb der Minen, einige leben immer noch in Hostels und einige schwarze Arbeiter besetzen bessere Positionen als andere. Gewalt ist ein Weg, Solidarität durchzusetzen.
Chinguno sagte, AMCU‘s Position sei die der NUM vor 30 Jahren, eine aufsteigende Gewerkschaft, die einspringt, um eine Pore der Unzufriedenheit zu schließen. Während AMCU nicht direkt mit der Gewalt verbunden werden kann, sagte er, dass Interviews mit hochrangigen AMCU-Führern zeigten, dass diese Gewalt als Strategie der Arbeiter verstehen, eine Mehrheit durchzusetzen.
Anmerkungen
1 Nyala, eigentlich eine Antilopenart, hier offensichtlich ein spezielles, gepanzertes Polizeifahrzeug
2 Zehn Rand sind ungefähr ein Euro
3 Offensichtlich ebenfalls Polizeifahrzeuge
4 Eine Unze Platin notiert derzeit mit 1.472,25 US-Dollar, d.h. das Unternehmen hat nach eigenen Angaben Platin im Wert von 22.083.750 Dollar in sechs Tagen verloren.