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Krieg und Widerstand im Irak
Der anfänglich sporadische militärische Widerstand gegen die Besatzungsmächte entwickelte sich in den letzten Wochen zu einem eigentlichen Guerillakrieg. Aber auch die täglichen Demonstrationen gegen das Besatzungsregime sind ein Ausdruck des immer breiteren Widerstandes im Irak. Sein politisches Spektrum reicht von den reaktionären fundamentalistischen Isla­misten bis zu kommunistischen Kräften.
Die guten Nachrichten aus dem Irak gleich vorweg. Nicht nur die reaktionären isla­mistischen Kräfte erleben seit der anglo-amerikanischen Besetzung des Landes einen Aufschwung. In weit geringerem Ausmass zwar, aber immerhin, es regen sich auch fortschrittliche Menschen. Unterstützt von der kommunistischen Arbeiterpartei des Irak, WCPI wird am 22. Juni die Organisation der Freiheit von Frauen im Irak, OWFI gegründet. Die Organisation kämpft für die bedingungslose Gleichheit von Frauen und Männern. Angesichts der Bedrohung Frauenrechte durch die reaktionären Ayatollahs ein mutiger Schritt. Bereits im Juni wurde die Gewerkschaft der Arbeitslosen im Irak, UUI in Bagdad gegründet. In der Zwischenzeit eröffnete die UUI Büros in Karbala, Balad, Nasiriyah und Kirkuk. Die von der UUI regelmässig organisierten Demonstrationen können angesichts ihrer Bedeutung auch von den hiesigen Medien nicht gänzlich totgeschwiegen werden. Gegen diese Demonstrationen reagieren die US-Militärs meist gewaltsam. So wurden beispielsweise am 3. August während einer Blockade der US-Verwaltung der Gewerkschaftsführer Kasim Hadi zusammen mit 54 Demonstranten festgenommen und während 5 Tagen festgehalten. Die Bevölkerung wird aber nicht nur durch die US-Truppen terrorisiert. Auch die im Irak stationierten italienischen Carabinieri bringen ihre Erfahrungen der auf dem rechten Auge blinden Aufstandsbekämpfung mit.
Was ist geschehen? Am 16. Juli besetzte ein islamisches Terrorkommando das Parteibüro der WCPI in der Stadt Nasiriya, entführte vier Genossen und folterte diese schwer. Am 20. Juli gelang es der WCPI, den Terrortrupp zu vertreiben. Ein erneuter bewaffneter Angriff mit der Unterstützung des Hohen Islamischen Revolutionsrates scheiterte am Widerstand der Genossen. Nach diesem Terrorakt stürmten italienische Carabinieri das Parteilokal und nahmen alle anwesenden Genossen fest.
Der Kleinkrieg gegen die Besatzungsmächte
Bewaffnete Angriffe auf die Soldaten gehören mittlerweile zum Alltag, genauso wie Sabotageaktionen. Nur noch die spektakulärsten wie die Angriffe auf Pipelines oder Wasserversorgung werden überhaupt erwähnt. Durchaus zu Recht ins Visier geraten ist auch die UNO. Wer auch immer hinter dem blutigen Anschlag auf den UNO-Sitz in Bagdad gestanden hat: Eine humanitäre Organisation, die, so Generalsekretär Kofi Anan in seiner ersten Empörung, dem irakischen Volk Hilfe und Unterstützung bringt, wurde damit sicherlich nicht getroffen. Der seinerzeit von der UNO verhängte wirtschaftliche Boykott gegen den Irak hat grosse Teile der Bevölkerung in tiefes Elend gestürzt und ist gemäss UNICEF, einer UNO-Organisation, für den Tod von hundertausenden Kindern verantwortlich. Mit dem erneuten Einzug in Bagdad demonstrierte die UNO ihre mit der Resolution vom 22.5.03 formulierte bedingungslose Unterstützung mit den imperialistischen Besatzungsmächten im Irak. Die vermeintlich fortschrittliche Opposition der UNO im Vorfeld des Krieges war lediglich der Versuch der militärisch schwächeren imperialistischen Mächte Deutschland, Frankreich und Russland, die Region nicht dem US-Imperialismus zu überlassen.
Eine Randbemerkung zur extensiven Verwendung des Terrorismus-Begriffs drängt sich auf: Seit es Nationalstaaten gibt, gilt das auch im Völkerrecht verankerte Widerstandsrecht gegen fremde Besatzungsmächte. Der Angriff auf diese Truppen und ihre Strukturen, und dazu gehört das UNO-Hauptquartier, ist das legitime Recht des irakischen Volkes. Jeder Staat verfügt über solche Verteidigungsszenarien. Ein Beispiel dafür ist das in den 70er-Jahren berühmt gewordene Buch des Schweizer Offiziers von Däniken, „Der totale Widerstand“, eine Sammlung von Vorschlägen für „terroristische“ Handlungen gegen eine mögliche Besatzungsmacht.
Der Widerstand im Irak
Hinter dem Widerstand stehen verschiedenste Interessen, von der arabisch-nationalistisch, weltlich ausgerichteten Patriotischen Union über Islamisten verschiedenster Couleur bis hin zu fortschrittlichen Kräften für einen sozialistischen Irak. Die Patriotische Union unter dem Vorsitz von Dschabbar al Kubaysi kämpfte bis 1992 gegen das Saddam-Regime. Danach stellten sie den bewaffneten Kampf ein, weil davon nur die USA profitiert hätten. Die brennende Frage, wer denn hinter dem Widerstand im Irak steht, beantwort Dschabbar al Kubaysi mit den Worten: „Der Widerstand wird von drei Gruppen getragen. Die erste wird von Saddam Hussein und seinen Gefolgsleuten geführt. Sie macht sich vor allem in Bagdad und Tikrit bemerkbar. Die zweite besteht aus Baathisten und Armeeangehörigen, die mit Saddam gebrochen haben. Sie agiert zum Teil im Süden. Die dritte Gruppe wird die „Jugend der Moscheen“ genannt. Das sind religiös gebundene Menschen, die aber keiner islamistischen Partei angehören. Die dritte Gruppe erhält die Waffen von der zweiten Gruppe.“. Die Patriotische Allianz strebt ein breites Bündnis an, getragen aus „Baathisten, Kommunisten, die sich gegen die Verräter in ihrer Führung wenden, Islamisten und säkularen Demokraten.
Die islamischen schiitischen Kräfte sind in drei Strukturen organisiert. Die bedeutendste ist der Hohe Rat für eine islamische Revolution im Irak, SCIRI , der von Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim im iranischen Exil gegründet wurde. Im Iran baute der Ayatollah unter Mithilfe der Revolutionswächter auch die rund 15.000 Mann starke Badr-Armee auf. Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim kontrolliert den Zigarettenschmuggel und finanziert damit im Irak Suppenküchen, Spitäler und Waisenhäuser. Der SCIRI strebt einen Gottesstaat nach iranische Muster an.
Im Unterschied dazu orientiert sich schiitische Fraktion um Ayatollah Muktada as-Sadr an den afghanischen Taliban. Seine Organisation soll den aus London eingeflogenen britischen Günstling Ayatollah Abdelmajid al Khoi in einer Versammlung ermordet haben.
Die dritte schiitische Kraft gruppiert sich um den ehemaligen Favoriten des US-Imperialismus, Ayatollah Ali as-Sistani, der anfangs seine Anhänger für den Koran und gegen die Kalaschnikow mobilisierte. Seine Basis goutierte diese Position angesichts des imperialistischen Besatzungsalltags immer weniger und zwang auch Sistani, Abstand vom US-Imperialismus zu nehmen.
Die kurdischen Parteien und der US-Imperialismus
Im Norden des Landes kooperieren die Patriotische Union Kurdistans PUK und die Kurdische Demokratische Partei KDP bis jetzt mit den Besatzungsmächten. Dieser Honeymoon der kurdischen Parteien mit dem US-Imperialismus dürfte allerdings nicht mehr allzu lange anhalten. Zur Entlastung der eigenen Truppen bot die USA den türkischen Militärs mit dem Gehabe des Eroberers ein Gebiet nach freier Wahl im Irak an. Der türkische Aussenminister Gül brüstete sich danach öffentlich mit dem Angebot der USA: „Als die USA dem militärischen Hauptquartier ihren ersten Vorschlag unterbreiteten, sagten sie: Sie können es sich aussuchen.“ Osmanische Weltmachtsträume werden so wieder belebt und verbunden mit dem alten Wunsch der Militärs, den kurdischen Teil des Irak zu kontrollieren. Mit bis zu 30.000 Soldaten will die Türkei den Norden Iraks besetzen. Es liegt auf der Hand, dass dies die PUK und KDP nicht kampflos hinnehmen werden.
Die NATO – nach Belgrad und Kabul nun auch in Bagdad?
Der zunehmende militärische Widerstand gegen die Besatzungsmächte im Irak kommt den übrigen imperialistischen Mächte nicht ganz ungelegen. Für den US-Imperialismus, der nach weiteren Aggressionen förmlich lechzt, sind die derzeit im Irak stationierten 145.000 Soldaten das Limit, will er militärisch handlungsfähig bleiben. Wohl oder übel muss er also die bis dahin vor die Tür gesetzten europäischen Mächte um militärische Hilfe angehen. Die Leiche des irakischen UN-Statthalters Sergio Vieira de Mello ist noch warm, und schon geht in der UNO das Gerangel um eine neue UN-Resolution los. Die Kernfrage ist natürlich, wer künftig im Irak das Sagen hat. Trotz der Haltung des US-Imperialismus, Truppen ja, Mitsprache nein, scheinen die übrigen imperialistischen Mächte bereit zu sein, zähneknirschend mitzuspielen. Immerhin können sie so zumindest wieder militärisch einen Fuss in die Region setzen. Zur Debatte steht im übrigen nicht die Entsendung von UNO-Truppen. Wie in Afghanistan soll auch im Irak die NATOmit einem UNO-Mandat die Besatzungsmächte entlasten. Ein entsprechender Vorstoss der USA wird an der bevorstehenden NATO-Herbsttagung erwartet. Die imperialistischen Mächte drehen also weiter an der Kriegsspirale. Die Kriegsindustrie freut sich, Kanonen statt Sozialausgaben. Die proletarischen Massen zahlen den Preis, als Kanonenfutter oder mit weiterem Sozialabbau.
Anmerkungen
1Worker Communist Pary of Iraq, www.wpiraq.org. Nicht zu verwechseln mit der revisionistischen Kommunistischen Partei Iraks, die sich vor dem Ueberfall auf den Irak in die vom US-Imperialismus organisierte Opposition einspannen liess und auch heute noch mit dem US-Imperialismus kollaboriert.
2 Organisation of Women’s Freedom in Iraq, www.equalityiniraq.com
3 Interview mit Dschabbar al Kubaysi, JW 22.7.03. Seine Bemerkung bezüglich der Kommunisten bezieht sich auf die Kommunistische Partei Iraks, vergl. auch Fussnote 1
4 Supreme Council for Islamic Revolution in Iraq
5 Mostafa Danesch, Auf dem Weg zum Gottesstaat im Zweistromland? NZZ 15.8.03
6 Aspirationen Ankaras auf eigene Zone im Irak, NZZ 23.8.03