Info-Verteiler, Zusammenstellung aus: www-wildcat.de, www.fau.org/soli/gate-gourmet/art_060322-132031, germany.indymedia.org/2006/01/136999.shtml, www.gg-streik.net, NadA - 29.12.05 von FAU Moers, www.labournet.de/branchen/dienstleistung/gast/ungehalten.pdf
Streik bei Gate Gourmet
Gate Gourmet ist das weltweit zweitgrößte Catering-Unternehmen für Bordverpflegung. An über hundert Standorten in 29 Ländern arbeiten 22.000 Beschäftigte. Gate Gourmet ist ein Musterbeispiel dafür, wie das Kapital heutzutage das Letzte aus den ArbeiterInnen herauspressen will.
2002 wurde Gate Gourmet aus der Konkursmasse der Swissair herausgekauft – von der Texas Pacific Group, jener Investmentfirma, die im letzten Jahr in Deutschland die „Heuschrecken“-Debatte auslöste. Private-Equity-Firmen setzen darauf, die von ihnen gekauften Firmen nach ein paar Jahren mit viel Gewinn weiterzuverkaufen. Dazu schicken sie Unternehmensberater wie McKinsey in die Firmen, die mit Stoppuhr und standardisierten Arbeitsabläufen die Arbeit extrem verdichten. Firmen wie Texas Pacific Group führen vor, wie der moderne Kapitalismus funktionieren soll. Systematisch werden alte Strukturen und Zusammenhänge zerschlagen. In London-Heathrow haben die Manager ganz offen erklärt, dass sie mit der zu neunzig Prozent aus asiatischen Menschen bestehenden Belegschaft nicht mehr arbeiten wollen. Daher wurden fast 800 am 10.8.2005 rausgeschmissen und neue Leiharbeiter in den Betrieb geholt. Denn die ArbeiterInnen hatten sich beharrlich geweigert, die neuen, verdichteten Arbeitsweisen zu akzeptieren.
In Düsseldorf haben sich die ArbeiterInnen zwei Jahre lang eine extreme Produktivitätssteigerung gefallen lassen. Die Arbeit wurde soweit flexibilisiert, dass den Beschäftigten kaum noch ein soziales Leben blieb. Die Wut über diese Behandlung trägt den Streik, den sie am 7. April ein halbes Jahr lang energisch und entschlossen führen. Ihr Ziel drücken sie in einem Wort aus: „Menschenwürde“. Hier geht es nicht um ein paar Lohnprozente, sondern in ganz existentieller Weise darum, wie wir uns gegenüber den maßlosen Ansprüchen der Kapitaleigner und Bosse behaupten können. Gate Gourmet geht alle an. Die ArbeiterInnen aus London und Düsseldorf haben Kontakte geknüpft und sich kennen gelernt. Sie haben sich gegenseitig besucht und Mut gemacht. Denn allein kann keine Belegschaft gegen Gate Gourmet oder die Texas Pacific Group gewinnen. Aber sie sind überall auf der Welt, an allen Standorten machen sie Druck, um Produktivität und Profit zu erhöhen. Und die Texas Pacific Group steckt nicht nur bei Gate Gourmet hinter dem Terror der Arbeitshetze – sie haben bei der Firma Grohe (Armaturenhersteller) in Deutschland aufgeräumt, sie sind an Burger King beteiligt, sich bei Mobilcom eingekauft usw.
Mit dem Aktionstag am 7./8. April 2006 wollen wir die ganz akut laufenden Kämpfe bei Gate Gourmet in Düsseldorf und in London unterstützen. Wir wollen herausbekommen, an welchen anderen Standorten von Gate Gourmet die ArbeiterInnen sich gegen diese Verschärfungen zu Wehr setzen und Verbindungen herstellen. Die Entschlossenheit der Kämpfe in London und Düsseldorf macht uns allen Mut, die Diktatur des Geldes und des Profits nicht weiter hinzunehmen. Verteilt Flugblätter zu den Streiks vor den Gate-Gourmet-Standorten oder an den Flughäfen! Diskutiert mit den ArbeiterInnen, informiert Euch über ihre Situation, unterstützt ihren Widerstand! Öffentlichkeitswirksame und praktische Aktionen können Gate Gourmet und Texas Pacific Group unter Druck setzen.
Soliaktion in Buenos Aires
Flugblätter zum Streik bei Gate Gourmet in Düsseldorf gab es nun auch am Flughafen Aeroparque in Buenos Aires, wo ArbeiterInnen verschiedener Flughafenbetriebe ebenfalls harte Konflikte ausfechten.
Gate Gourmet ist überall – zum Beispiel in Argentinien. Zum 100. Streiktag in Düsseldorf (14.1.) kam eine Grußadresse von Kollegen aus verschiedenen Flughafenbetrieben des Flughafens „Aeroparque Jorge Newberry“ in Buenos Aires. Und vor der dortigen Filiale von Gate Gourmet haben sie am 12. Januar Flugblätter verteilt, um die ArbeiterInnen über den Streik ihrer KollegInnen in Düsseldorf-Alemania zu informieren. Einige Arbeiter von Gate Gourmet meinten, dass ihnen die Gründe für den Streik absolut bekannt vorkämen: auch bei ihnen wären in den letzten Jahren der Arbeitsdruck enorm erhöht worden, bei immer weniger Respekt gegenüber den arbeitenden Menschen.
In Argentinien haben im letzten Jahr die Arbeitskonflikte enorm zugenommen. Nach Jahren von Krise und Lohnverlusten, und nachdem in den letzten Jahren vor allem die organisierten Arbeitslosen (Piqueteras) und BetriebsbesetzerInnen Druck gemacht haben, melden sich nun die ArbeiterInnen mit Lohnforderungen zu Wort. Den Anfang machten die ArbeiterInnen der „Subte“, der U-Bahn von Buenos Aires, die im Februar 2005 eine Lohnerhöhung von 44 Prozent durchsetzen konnten. Seitdem ist es in den verschiedensten Branchen und Betrieben zu Kämpfen gekommen.
Am Flughafen Aeroparque steht mitten in der Abfertigungshalle ein Protestzelt von entlassenen Arbeitern der Firma Aerohandling (Tochter von Aerolineas Argentinas). Der Entlassungsgrund: Sie hatten an einer selbstorganisierten Arbeiterversammlung zu Lohnforderungen teilgenommen. Die compañeros fordern seit neun Monaten ihre Wiedereinstellung, mit Demonstrationen, Hungerstreiks und Rockkonzerten am Flughafen. Diese Forderung ist von den Technikern und Piloten der Luftfahrtgesellschaft Aerolineas Argentinas übernommen worden, nachdem sie Anfang Dezember mit einem neuntägigen Streik erhebliche Lohnerhöhungen und die Wiedereinstellung ihrer Entlassenen durchsetzen konnten. Ebenfalls Anfang Dezember sorgten die Beschäftigten der Fluggesellschaft Southern Winds mit Protesten wegen ausstehender Löhne und drohender Betriebsschließung am Flughafen Aeroparque für Chaos.
Anfang letzten Jahres kämpften die ArbeiterInnen der staatlichen Firma LAFSA gegen ihre Privatisierung und die Übernahme durch die chilenische LAN. Die Privatisierung konnten sie letzten Endes nicht verhindern, aber sie haben erreicht, dass alle ArbeiterInnen zu den gleichen Bedingungen übernommen wurden. In diesem Kampf haben sie viel Solidarität erfahren. Im April kam es nach einer Besetzung der Schalter zu einer heftigen Repression, mit zahlreichen Verletzten und zwei Festnahmen. Anschließend zogen tausende von Arbeitslosen, die gerade in eigener Sache in der Stadt demonstrierten, mit den FlughafenarbeiterInnen vor das Ministerium, um die Freilassung der compañeros zu fordern. Am nächsten Tag traten wiederum die Subte-ArbeiterInnen mit einem Solidaritätsstreik in Aktion. Alle fünf U-Bahn-Linien der Metropole Buenos Aires standen für eine halbe Stunde. Danach konnte die Freilassung der Flughafenarbeiter gefeiert werden.
Der Texas Pacific Group auf die Pelle rücken – Solibesuch in London
Donnerstag nacht, am 23.3.06, machte sich eine Delegation der Streikenden aus Düsseldorf auf den Weg nach London – zu ihren KollegInnen von Gate Gourmet, die im August 2005 fristlos entlassen worden waren und bis heute für ihre Wiedereinstellung kämpfen. Mit ihnen reisten einige UnterstützerInnen aus verschiedenen deutschen Städten. Bei ihrem Besuch in Düsseldorf am 22.2. hatten die beiden Gate-Gourmet-Arbeiterinnen die Streikenden hier zu ihrer Demonstration am Samstag, den 25.3., in London eingeladen. Die Idee fanden viele prima – und weil die einzige Europavertretung der Texas Pacific Group auch in London sitzt, ging es schon am Donnerstag los, um mal bei dieser Investmentfirma vorbeizuschauen, die hinter der brutal durchgesetzten Verschärfung der Arbeitsbedingungen in London, Düsseldorf und an vielen anderen Standorten von Gate Gourmet steckt.
Nach einer ruhigen nächtlichen Überfahrt mit der Fähre über den Ärmelkanal kamen wir morgens in London an und wurden sofort mit einem klassischen englischen Frühstück herzlich in Empfang genommen. Nicht ganz ausgeschlafen, aber mit Bacon, Eier, Bohnen und Chips gestärkt, ging es dann zur Texas Pacific Group – mitten im Finanzzentrum der Londoner City. Der Anblick der Transparente und lauten Slogans dürfte für die während der Mittagspause aus den Büros heraus- und hereineilenden Angestellten und Bankiers ungewohnt gewesen sein. Ein paar Mal schielten auch ein paar Angestellte aus der zweiten Etage des Gebäudes an Carlton Gardens, wo die Texas Pacific ihren Sitz hat. „Stirling Square“ heißt der Block bezeichnenderweise.
Mit englischen und deutschen Parolen wurde lautstark auf die Rolle der Texas Pacific im Kampf gegen Gate Gourmet in London und in Düsseldorf hingewiesen: „Texas Pacific – Slave Labour Bosses“ und ihr der Kampf angesagt: „Texas Pacific – wir werden dich in Düsseldorf und London besiegen!“ Von 12 bis 14 Uhr protestierten etwa 50 Streikende und UnterstützerInnen vor dieser Finanzzentrale und störten die Ruhe ihrer dreckigen Geschäfte.
Anschließend war bei sonnigem Wetter Sightseeing angesagt – für viele war es der erste Besuch in London. Am Themseufer stießen drei Streikende aus Düsseldorf auf ein Denkmal zur Erinnerung an den 150. Jahrestag der Anti-Sklaverei-Koalition (1839-1989) – sicher kein Zufall. Abend ging es dann vom Stadtzentrum nach Southall, einem asiatisch geprägten Stadtteil in der Nähe des Flughafens Heathrow, in dem auch viele der Gate-Gourmet-ArbeiterInnen wohnen. Auf der eineinhalbstündigen Fahrt mit Kleinbussen zu der von den Londoner KollegInnen vorbereiteten Abendveranstaltung mit indischem Essen wurden uns die Dimensionen der Stadt und das tägliche Verkehrschaos deutlich. Kein Wunder, dass die meisten ArbeiterInnen am Flughafen in den angrenzenden Stadtteilen wohnen. Wir waren alle überrascht, wie viel Mühe sich unsere GastgeberInnen mit unserem Empfang, der Verköstigung und Unterbringung gemacht hatten. Es war ihnen deutlich anzusehen, wie wichtig es ihnen ist, von den KollegInnen aus Deutschland unterstützt zu werden und dem Multi Gate Gourmet gemeinsam entgegentreten zu können. Zum Abschluss traten noch indische und kurdische Folkloregruppen auf und wir wurden alle privat untergebracht.
Am Samstag versammelten wir uns im Stadtteil Hounslow zur Solidaritätsdemonstration mit den Entlassenen und für den gemeinsamen Kampf in London und Düsseldorf. Am Aufstellungsort erfuhren wir näheres zum Stand der Auseinandersetzung. Nach der langen Zeit des Kampfs um die Wiedereinstellung haben nun viele der etwa 700 Entlassenen doch die Verträge unterschrieben: etwa 300 haben die Abfindung genommen und schätzungsweise 200 haben die Rückkehr an den Arbeitsplatz zu den verschlechterten Bedingungen akzeptiert. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, der Weigerung des Arbeitsamtes Arbeitslosengeld zu bezahlen mit Hinweis auf die fristlose, angeblich selbstverschuldete Entlassung und der Weigerung der Gewerkschaft TGWU noch irgendeine Unterstützung zu gewähren, war der wirtschaftliche Druck einfach zu hoch. Aber knapp 200 kämpfen weiter um ihren Arbeitsplatz – vor allem die 144 KollegInnen, die auf der schwarzen Liste von Gate Gourmet sind und auf keinen Fall ihren Job zurückbekommen sollen. Sie klagen zur Zeit vor dem Arbeitsgericht, aber das Verfahren wird sich noch Monate hinziehen. Einige der ArbeiterInnen erzählten uns, dass es durch diese Spaltung jetzt noch schwieriger geworden sei, den Kampf fortzuführen und Druck auf Gate Gourmet auszuüben. Aber sie wollen nicht aufgeben. Die Londoner Unterstützergruppe für den Streik bemüht sich mit allen Kräften, Spenden zu sammeln und hat bereits einmal eine kleine Streikunterstützung an die KollegInnen auszahlen können.
Etwa 300 Menschen marschierten dann um 14 Uhr los, ein buntes Bild, aufgelockert durch die Streikenden aus Deutschland und ein paar Transparente in deutscher Sprache. Die Nähe auch dieses Stadtteils zum Flughafen war unschwer an den im Ein-Minuten-Takt über uns hinwegdonnernden Fliegern erkennbar. Nachdem es zunächst über eine wenig belebte Straße Richtung Hounslow-Zentrum ging, wandelte sich das Bild schlagartig, als wir in die Fußgängerzone des Stadtteils einbogen. Hier herrschte ein buntes Treiben und fast alle Passanten blieben stehen und beobachteten aufmerksam die Demonstration. Einige schlossen sich spontan an oder winkten solidarisch am Rande. Die Menschen hier schienen um den Konflikt bei Gate Gourmet zu wissen und zeigten ihren Respekt gegenüber der Hartnäckigkeit, mit denen die indischen Frauen um ihren Arbeitsplatz kämpfen.
Die Demonstration ging dann weiter zum Gemeindezentrum des Stadteils Hounslow, wo wir uns im Sitzungssaal des Gemeinderats versammelten. Es sprachen Streikende aus London und Düsseldorf, VertreterInnen einiger anderer Gewerkschaften, die ihre Solidarität versicherten und das Verhalten der TGWU-Führer scharf verurteilen; und auch ein Gemeinderat von der Labour-Partei sicherte seine Unterstützung zu.
Eigentlich wären wir noch gerne bei Gate Gourmet am Flughafen vorbeigefahren, aber die Zeit bis zur Abfahrt wurde zu knapp. Mit einem typisch englischen Fish-and-Ships-Mal wurden wir dann aufs herzlichste verabschiedet.
Der Besuch in London hat beiden Seiten neuen Mut gemacht. Er hat gezeigt, dass sich internationale Solidarität ganz unkompliziert und unbürokratisch von den kämpfenden ArbeiterInnen selber organisieren lässt und wie wichtig es ist, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen – international.
Our best wishes to all the comrades in London, who did so much for this great experience of international solidarity! We will stay in contact and fight together.
Solidaritätsaktion in Madrid für den Streik bei Gate Gourmet
Am 22. Dezember verteilten Mitglieder unserer spanischen Schwestergewerkschaft CNT Flugblätter zum Streik bei Gate Gourmet in Düsseldorf an mehreren Orten der spanischen Hauptstadt. Es fanden u.a. Aktionen bei Air Cater, einer der beiden spanischen Töchter von Gate Gourmet statt. Mitglieder der Betriebsgruppe der CNT bei der spanischen Fluggesellschaft Iberia verteilten Flugblätter zum Streik im Flughafen Madrid-Barajas und diskutierten dort u.a. mit KollegInnen von Air Cater und Iberswiss (der zweiten spanischen Gate Gourmet Tochter) über den Streik in Düsseldorf. Die CNT befindet sich bei Iberia derzeit übrigens ebenfalls im Streik. Die Fluglinie versucht ein Umstrukturierungsprogramm auf dem Rücken der Beschäftigten durchzusetzen.
Aus der Nachricht der spanischen GenossInnen:
(...) Es war uns nicht möglich, etwas für den 17. Dezember zu organisieren, weil der Konflikt mit Iberia uns an diesem Tag ziemlich auf Trab hielt. Aber wir haben uns am 22. Dezember vor dem Eingang von Air Cater versammelt, wo wir Flugblätter an alle ArbeiterInnen, die rein- oder rausgingen verteilt haben und die restlichen auf dem LKW-Parkplatz losgeworden sind. Wir konnten leider nicht zur Zentrale von Iberswiss gehen, weil die in einem Industriegebiet liegt, das man nur mit einer Autorisierung betreten kann. Dafür wurden aber ebenfalls am 22. Dezember Flugblätter zum Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf im Flughafen Madrid-Barajas von GenossInnen der CNT-Betriebsgruppe bei Iberia verteilt, wo sie mit ArbeiterInnen von Iberswiss und von Air Cater diskutierten und sie über den Streik in Düsseldorf informieren konnten. Ich schicke euch auch ein Foto unserer Versammlung am 22. Dezember bei Air Cater mit. Ich hoffe, dass diese kleinen Solidaritätsaktionen den KollegInnen, die sich in Düsseldorf im Streik befinden, Mut machen werden (...).
Organisator des Streikbruchs
Sevket Avci im Rathaus
Am 17.1.2006 fand eine Demonstration vor der Firma G+A, Rheintörchen Str. 126, Duisburg-Wanheimerort, statt. Seit dem Beginn des Streiks bei Gate Gourmet am 7.10.2005 schickt die Firma massenhaft Leiharbeiter als Streikbrecher zum Flughafen.
Damals versprach der Firmenchef Sevket Avci, er werde ab Februar keine Streikbrecher mehr zu Gate Gourmet schicken, das Geschäft würde nun die Firma GMA aus Düsseldorf mache. Es stimmt zwar, dass neben TERTIA aus Krefeld auch die Firma GMA Leiharbeiter zu Gate Gourmet schickt. Aber Sevket Avci hatte dreist gelogen. Bis heute schickt er immer mehr Leiharbeiter zu Gate Gourmet, inzwischen sogar LKW-Faher mit Rollfeldgenehmigung.
Sevket Avci ist gleichzeitig Vorsitzender des „Beirats für Zuwanderung und Integration“ in Duisburg. Er gibt sich gerne als Sprecher der Migranten und pflegt selbst zu linken Parteien gute Kontakte. Aus Sorge um sein politisches Ansehen hatte er ver.di versprochen, keine weiteren Streikbrecher zu schicken - und gehofft, die Situation bei Gate Gourmet werde nicht bekannt werden. Denn damals war sein Rücktritt als Beiratsvorsitzender gefordert worden.
Am 21.3. leitet Herr Avci die öffentliche Sitzung des Beirats im Rathaus (Saal 100, Beginn 15 Uhr). Es ist ein Skandal, dass dieser Mann es immer noch wagt, sich als Sprecher der Migranten aufzuspielen, während er schamlos seinen Profit mit dem Streikbruch und der Ausbeutung von überwiegend türkischen Migranten als Streikbrecher macht.
Eine ungehaltene Rede
(Sie durfte nicht gehalten werden am 7.4.06, am Streikzelt vor Gate Gourmet Düsseldorf, aufgrund der Intervention des NGG-Funktionärs Dieter Schormanns. Er hatte zuvor den Streikenden das Ergebnis der Urabstimmung mitgeteilt.)
Was ist das Kriterium dafür, ob man einen Kampf gewonnen hat? Es ist nicht nur das materielle Ergebnis!
Als Halil vor zwei Monaten (mit Christian zusammen) in Hamburg war, hat er einen Satz gesagt, den ich noch im Ohr habe: „Mit dem Streik haben wir die Unmenschlichkeit im Betrieb bekämpft und wir sind im Streik menschlicher geworden“.
Ich stelle mir vor, daß die letzten neun Monate (also nicht nur die 6 Monate im Streik sondern auch die Monate davor) eine Achterbahnfahrt der Gefühle für jeden für euch waren. Ich stelle mir vor, sie haben jeden verändert. Entweder eure Vorgesetzten wissen das oder sie werden merken, daß andere Menschen wieder reinkommen als am 7.Okt.05 rausgegangen sind. Sie werden merken, daß eine Gruppe, eine Gemeinschaft in den Betrieb zurückkehrt, die nur respektvoll zu behandeln sein wird.
In London, am Themse-Ufer haben Aische, Gülsüm und Mohamed ein Denkmal entdeckt, daß an die Befreiung der Sklaven in den Kolonien im Jahre 1839 erinnerte. Sie ließen sich davor ablichten. Es faszinierte sie, weil sie selbst und ihr alle die Sklaverei bei Gate Gourmet Düsseldorf in der Zeit vom 7.10.05 bis 7.4.06 abgeschafft habt. Am Tag nach der Urabstimmung bei AEG Nürnberg hörte ich eine Radio- Sendung, in der eine Kollegin sagte: „Wir haben 20 Jahre nebeneinander gearbeitet, aber im Streik haben wir uns erst menschlich kennengelernt.“ Ähnliches sagen die noch Streikenden bei CNH (früher Ohrenstein und Koppel) in Berlin-Spandau.
Euer Kampf ist nicht nur für euch wichtig, nicht nur für die Streikenden von ver.di und IGM – er ist schon heute ein denk-mal (klein geschrieben und in zwei Worten!) für alle Menschen, die Widerstand leisten gegen den Großangriff von Kapital und Regierung auf Löhne und Transferleistungen. Es gibt einen Satz aus den deutschen Bauernkriegen (schon 500 Jahre her): „Geschlagen ziehen wir nach Haus, unsre Enkel fechtens besser aus!“ Ihr geht nicht geschlagen in den Betrieb zurück. Eure Kinder und Enkel lernen: Menschenwürde ist das Wichtigste! Der Mensch kann und muß sich wehren, wenn es notwendig ist, über die eigenen Grenzen hinaus! Ihr setzt auch euren Kindern und Enkeln ein denk-mal in die Köpfe und Herzen.
Hier hängt ein neues Transparent: Nach dem Streik ist vor dem Streik. Ja, die Streiks bei ver.di und IGM laufen noch, die Angriffe von Kapitalseite und Regierung auf unsere Löhne, Arbeitsbedingungen und Transfertleistungen werden nicht aufhören, sondern sich verstärken. Ihr habt euch während der langen Streikwochen kennengelernt. Ihr habt gute Kontakte zu den Unterstützern geknüpft und die Unterstützer untereinander haben sich kennengelernt. Das sind wichtige Voraussetzungen für die Kämpfe in der Zukunft.
In einem Interview sagte Halil kürzlich, er sei sich wie ein Missionar vorgekommen, als er die letzten Monate durch die Republik reiste. (Ich habe zwar innerlich nie auf der Seite der Missionare gestanden sondern immer auf Seiten der Heiden – aber wir wissen, was Halil gemeint hat). Man kann statt missionieren auch überzeugen sagen. Ich gebe Halil aber von Grund auf recht. Wir sind in Deutschland in der Arbeiterbewegung an einem Tiefpunkt angekommen, wo missioniert werden muß: der ursprüngliche Gedanke, weshalb Gewerkschaften vor 150 Jahren entstanden sind, nämlich sich zusammenzuschließen, um für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen und letztlich für eine menschliche Gesellschaft – diese Überzeugung muß wieder reingetragen werden in die Köpfe.
Ihr habt viel Solidarität erfahren, nicht nur durch den Düsseldorfer Unterstützerkreis vor Ort, sondern auch aus der ganzen Republik. Das aber, was am dringendsten nötig gewesen wäre, die Unterstützung durch die übrigen Gate Gourmet Betriebe in Deutschland (die bei ver.di organisiert sind), ist unterblieben. Ver.di-Funktionäre stellten sich trotz bevorstehender Tarifverhandlungen für die bei ver.di organisierten Gate Gourmet-Betriebe auf den Standpunkt: Erst mal sehen, was bei denen in Düsseldorf rauskommt. Ich denke, euer Kampf wäre leichter und effektiver gewesen, ihr hättet mehr rausgeholt, wenn die ver.di-organisierten Betriebe solidarisch gewesen wären. Was sie gemacht haben, war unterlassene Hilfeleistung!
Erlaubt mir zum Schluß noch eine kritische Anmerkung: Ich denke, es müssen nicht nur unsere KollegInnen missioniert werden, sondern oftmals auch unsere Gewerkschaftsfunktionäre. Sie haben während der ökonomischen Ausnahmebedingungen der letzten 50 Jahre Vokabeln gelernt wie :
Sozialpartnerschaft, Co-Management, Kompromißbereitschaft, Standortdenken, Stellvertreterpolitik. Ich denke, wir sollten sie die Worte lehren: Kapitalismus, Klassenkampf, Organisierung von Solidarität, demokratische Verhältnisse in den Gewerkschaften.
Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser – aber vom Arbeiten her: Streiken!
Seit dem wilden Streik bei Opel-Bochum im Oktober 2004 werden die eingefahrenen Gleise der gewerkschaftlich regulierten Klassenauseinandersetzungen auch in Deutschland wieder in Frage gestellt. Mit Müh und Not konnte die IGM die Wut der AEG-ArbeiterInnen in Nürnberg in die Bahnen eines kontrollierten Streiks lenken. In Düsseldorf begrüßen die Streikenden die Aktionen von UnterstützerInnen, die mit Blockaden die Streikbrecherarbeit behindern – egal, ob das ihrer Gewerkschaft passt. Streikposten von ver.di wurden in Osnabrück von der Polizei angegriffen, als sie den Einsatz von 1-Euro-JobberInnen als Streikbrecher verhindern wollten. An die Stelle der gewohnten Streikrituale, die keinem weh tun (sollen), treten reale Machtkämpfe und erste eigenständige Aktionen. Als die NGG bei Gate Gourmet Düsseldorf im Oktober zur Urabstimmung rief, hätte sie nicht gedacht, dass daraus eine monatelange Auseinandersetzung würde.
Uwe: Wir sind alle so in den Streik gegangen: „der wird bestimmt nicht lange dauern, wir haben die Herbstferien vor uns, wir werden viele Flüge haben und genügend Druck aufbauen können, um den Arbeitgeber in die Knie zu zwingen.“ Das war leider nicht der Fall. Das kam auch daher, dass die LTU – mit achtzig Prozent unser Hauptkunde – der Gate Gourmet viele Vorteile gegeben hat, die wir im normalen Alltag nie hatten: vorgezogene Beladungen, Reduzierung von Beladung usw. Dadurch konnten die den Flugbetrieb aufrechterhalten, und Gate Gourmet ihr Geschäft. Nach 14 Tagen war der Streik immer noch nicht beendet. Jetzt ging das Desaster los. Nach den Herbstferien fing die schwache Saison an, bis Weihnachten, wo noch mal ganz kurz eine höhere Abflugzahl ist. Wir haben auf Weihnachten gehofft. In dieser ganzen, langen Zeit hat der Arbeitgeber sich natürlich auch neu orientiert und umstrukturiert. Personal von anderen Stationen ist eingesetzt worden, um Streikbrecherarbeit zu leisten, und 75 bis 80 Leute sind von einer Fremdfirma eingestellt worden.
Die NGG hatte sich in zwei Richtungen geirrt: Sie hat einerseits den Gegner unterschätzt, die Texas Pacific Group, die Gate Gourmet 2002 aufgekauft hat. Die TPG ist eine sogenannte „Private- Equity“-Firma, die mit Kapital von „Privatleuten“ Firmen aufkauft und umstrukturiert, um sie nach ein paar Jahren mit hohem Gewinn weiterzuverkaufen. Für sie zählen nicht einzelne Betriebe, sondern die Renditeerwartungen der internationalen Finanzmärkte. Das wurde spätestens am 6. Dezember klar, nach zwei Monaten Streik, als die Verhandlungskommission einen Kompromiss zu dem von Gate Gourmet geforderten Katalog von Einsparungen vorlegte. Vielleicht hätten die Streikenden dieses Ergebnis sogar zähneknirschend akzeptiert. Aber sie kamen gar nicht dazu, darüber abzustimmen.
Holger: Der Verhandlungsführer der Gate Gourmet hat gesagt, dass dieser Kompromiss die Standortsicherung und gleichzeitig die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens sichern würde. Der Kompromiss bedeutete eine weitere Einsparung von 3,4 Prozent. Niemand konnte ahnen, dass am 7. Dezember, einen Tag später, die Konzernzentrale ihren eigenen Verhandlungsführer und den Landesschlichter bloßstellt und sagt:“Mir reicht das jetzt nicht mehr.“ Daran sieht man: Es geht hier nicht mehr um eine Standortsicherung, es geht auch nicht mehr darum, konkurrenzfähig zu bleiben, es geht nur darum, die Marge der Texas Pacific zu erfüllen. Es geht um zehn Prozent Einsparung bei den Personalkosten.
„… dass einen die Gewerkschaft in den rechtlichen Bahnen hält.“
Die NGG hat aber nicht nur die TPG, sondern auch die Streikenden unterschätzt. Ende Januar machte die NGG massiv Druck auf die ArbeiterInnen in der Tarifkommission, ein noch schlechteres Ergebnis zu akzeptieren, und Anfang Februar gab es Gerüchte, die NGG wolle den Streik gegebenenfalls auch ohne neuen Tarifvertrag beenden. Dies löste bei den Streikenden erheblichen Unmut aus, sodass der Landessekretär schließlich in einer Sitzung versicherte, dass die NGG den Streik auf keinen Fall gegen ihren Willen beenden würde (was sie rechtlich könnte, denn die Entscheidung über Beginn und Ende eines Streiks liegt beim Hauptvorstand; Urabstimmungen sind dafür nicht erforderlich). Die Streikenden sind auf die Gewerkschaft angewiesen. Gerade in einem so langen Streik ist das Streikgeld existenziell und funktioniert als wichtiges Machtmittel. „Jetzt ist die NGG unser Arbeitgeber „, sagen viele, wenn sie sich die Streikposten-Schichten vom Gewerkschaftssekretär abzeichnen lassen. Aber sie haben auch erhebliche Eigenaktivität entwickelt, teilweise gegen den Willen der Gewerkschaft. Da sie den Eindruck hatten, dass die NGG ihren Streik zu wenig in die Öffentlichkeit bringt, haben sie selbst Kontakte zur Presse aufgebaut. Gemeinsam mit den UnterstützerInnen haben sie im Februar Kolleginnen von Gate Gourmet in London-Heathrow eingeladen, die dort seit dem Streik im August für ihre Wiedereinstellung kämpfen, und sind zu einer Kundgebung zum größten Gate-Gourmet-Standort in Deutschland, nach Frankfurt-Zeppelinheim, gefahren.
Halil: Ich habe seit drei Jahren mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Zeppelinheim einen guten Kontakt. Der hat selbst gesagt, wir sollen kommen und dort demonstrieren. Das war auf eine Art seine Idee. Aber der hat gedacht, dass ver.di mitmacht. Es gibt ja Betriebsräte, die sind völlig abhängig von der Gewerkschaft. Ohne Gewerkschaft wissen die nicht mehr, was sie machen sollen. Bei so einer Firma wie Gate Gourmet fühlen die sich völlig verloren. Vor ein paar Tagen hat er mich angerufen und gesagt: „ver.di will mit dieser Demonstration nichts zu tun haben, deswegen bitte nicht kommen!“ Er hat mich mitten in der Nacht zwei-, dreimal angerufen. Der war am Ende, der arme Kerl. Ein anderer Kollege im Betrieb, zu dem ich mittlerweile Kontakt habe, hat mir gesagt, es ist gut, wenn wir hinkommen, die Leute sind äußerst neugierig, von uns offiziell was hören zu können. Und das hat ja auch funktioniert mit unserer Demonstration. Der rief mich am gleichen Abend an, als wir aus Frankfurt zurückkamen, und sagte: „Es gibt Unruhe im Betrieb. Es gibt Diskussionen, die es noch nie gegeben hat. Leute kommen zum Betriebsrat und sagen: ‚Wann machen wir denn den Streik?‘“
„Streikt endlich mit! Glaubt ihr, wir können die Kastanien alleine aus dem Feuer holen?“ Das war der Titel des deutsch-türkischen Flugblatts, das an die KollegInnen in Frankfurt verteilt wurde. Aber genau das ist bis heute nicht passiert, und das ist das größte Problem des Streiks: Die DüsseldorferInnen sind isoliert geblieben, und sie sind nicht in der Lage, den Streikbruch zu verhindern und ökonomischen Druck aufzubauen. Sie machen allerdings kein Geheimnis daraus, dass sie die direkten Aktionen und Blockaden der UnterstützerInnen begrüßen und selber gerne mehr machen würden.
Uwe: Die Gewerkschaft hat nur am 18. November blockiert, da war der 144. Geburtstag der NGG, da haben die vielleicht gedacht „Das lassen wir uns was kosten“. Das ist natürlich sehr wirksam gewesen, und es war unsere Blockade. Wir haben aber ein Problem. Weil wir am Airport arbeiten, sind wir alle vom Luftfahrtbundesamt sicherheitsüberprüft, und da können wir uns nur einmalig so eine Aktion leisten. Sonst würden wir die Sicherheitsüberprüfung verlieren und hätten dann gar keinen Job mehr. Das ist das große Problem. Wir sind teilweise wie gelähmt, wenn die Unterstützergruppen kommen. Das ist vielen Kollegen mehr als peinlich, so dazustehen: wir können nichts tun. Die Aktionen haben uns unheimlich geholfen. Durch die Blockaden ist der Firma ein erheblicher Schaden entstanden. Bei jeder Tarifverhandlung wurde erstmal eruiert: „Was ist da passiert, was habt ihr wieder gemacht, uns ist soundsoviel Schaden entstanden.“ Es gibt einige Schreiben von dem Rechtsanwalt der Gate Gourmet, dass in Richtung NGG eine Schadensersatzklage kommen könnte. Da ist die NGG natürlich gleich wieder zwei Stühle nach hinten gerückt und hat gesagt: „Jungs, haltet den Ball flach“. Wir können uns nicht über den Willen der Gewerkschaft drüberwegsetzen. Es gab da wirklich mehrere Sachen, die man so angedacht hat. Bloß man muss natürlich davon ausgehen, dass einen die Gewerkschaft in den rechtlichen Bahnen hält.
Gegen den Terror der Arbeit
Die Wut und Entschlossenheit der ArbeiterInnen in diesem Kampf, mit der weder die Kapitalseite, noch die Gewerkschaft gerechnet haben, ist das Ergebnis einer brutalen Umstrukturierung. Um die höhere Produktivität durchzusetzen, wurden die ArbeiterInnen in den letzten Jahren systematisch schikaniert und gegeneinander aufgehetzt. Das Arbeitsklima war vergiftet, das Privatleben wurde durch die flexiblen und überlangen Arbeitszeiten zu einer unplanbaren Restgröße, ein soziales Leben war kaum noch möglich. In den Gesprächen mit den Streikenden geht es immer wieder um diesen Terror der Arbeit, der das ganze Leben bestimmt. Sie sagen offen, dass die Lohnforderung nur ein Vorwand war, endlich dagegen aktiv zu werden – nachdem sie jahrelang Zugeständnisse gemacht haben.
Holger: Als die Texas bei uns eingestiegen ist, ging eine systematische Überschuldung des Unternehmens los. Das war der Grund, warum es 2003 zu einem Sanierungstarifvertrag bei uns gekommen ist. Da haben wir schon auf 3,8 Prozent unseres Lohns verzichtet. Weil man gesagt hat: Das Unternehmen ist so hoch verschuldet, das muss man erstmal wieder auf solide Beine stellen. Man hat uns suggeriert, dass wir, wenn diese Sanierung abgeschlossen ist, 2005 zum alten Manteltarifvertrag zurückkehren würden. Das hatten die aber nie vor.
Uwe: Man hat damals einen sogenannten Arbeitszeitkorridor von 25 bis 48 Stunden eingeführt, wo der Arbeitgeber frei verfügen kann. Der hat wirklich gesagt: „Du hast morgens um vier Uhr Dienst, und wenn‘s mir passt, dann gehst du um neun, und wenn es mir nicht passt, oder wenn das Geschäft sich dementsprechend entwickelt, dann bleibst du eben bis vierzehn Uhr.“ Das war noch nicht mal genehmigungspflichtig vom Betriebsrat. Sie haben dann sogar bei den zuschlagspflichtigen Schichten die Festangestellten nach Hause geschickt und die Fremdfirmen weiter arbeiten lassen, die keine Schichtzuschläge bekommen. Mit diesen Betriebsvereinbarungen hat das Unternehmen 30 bis 40 Leute eingespart.
Durch die Flexibilität war mit der Familie überhaupt nichts mehr zu planen, die Frau musste zuhause bleiben und auf das Kind aufpassen, weil ich meine Arbeitszeit nicht mehr planen konnte. So ein Arbeitstag sieht so aus: Ich stehe um zwei Uhr auf, damit ich um 3:45 Uhr anfangen kann, irgendwann so um 14 Uhr hab ich dann Feierabend, komme um 14:30 Uhr zuhause an, dann werden noch Hausaufgaben gemacht mit dem Kind, was gegessen, geduscht, und dann wird wieder geschlafen, damit ich zur nächsten Schicht antreten kann. Wir haben teilweise inklusive Wochenende bis zu sechzig Stunden in einer Woche gearbeitet.
Halil: Das „Teile und herrsche“ hat in diesem Betrieb sehr gut funktioniert. Die Leute waren völlig durcheinander und geteilt, vor dem Streik. Der Arbeitgeber hat das bewusst eingesetzt. Jahrelang haben sie den administrativen gegen den produktiven Bereich ausgespielt. Die Supervisor und Vorarbeiter sind so unter Druck gesetzt worden, die mussten, ob sie wollten oder nicht, mit der Peitsche hinter den Mitarbeitern her sein, um die eigene Haut zu retten.
Anna: Das Arbeitsklima zwischen den Abteilungen Produktion, Zoll und Dispatch, das war sehr separat. In der Kantine haben sich alle aus der Produktion in einer Ecke zusammengesetzt. Wir hatten das Gefühl, dass die das beabsichtigt haben, dass man nicht soviel Kontakt miteinander hatte während der Arbeitszeit.
Bella: Wir haben uns kaum mal begrüßt, dann hieß das schon: „Was ist denn da hinten los, ihr müsst anfangen. Band an, sofort rüber!“ In der Kantine hatte man auch keine Ruhe. Wenn wir beim Essen oder der Kaffeepause waren, kam der Supervisor rein: „Ich brauche zwei TK-Essen.“ Du hattest keine Pause, du konntest noch nicht mal essen. Und bei diesem Druck wird man automatisch gegenüber Kollegen und Mitarbeitern auch mal nervös.
Anna: Sie haben auch viel gedroht, die Vorarbeiter und Supervisoren. Wenn irgendwas schief gelaufen ist, oder wenn man sich gegen irgend etwas gewehrt hatte, dann haben die gesagt: „Entweder du machst das jetzt, oder wir gehen direkt zum Chef.“ Bei einigen sind die mit so was auch durchgekommen.
McKinsey: Rationalisierung –
ein Kinderspiel?
Mit der Rationalisierung wurde die Unternehmensberatungsfirma McKinsey beauftragt. Die erledigt ihr dreckiges Geschäft nicht mit Druck, sondern mit Freundlichkeit und Spielchen. Die Rationalisierer durften geduzt werden, sie luden die Belegschaft zum Kart-Fahren ein, und nutzten die Gelegenheit, die KollegInnen genau zu beobachten: Wer bringt sich ein, wer lässt sich motivieren? Mit dem Zusammenbauen von Spielzeug-Autos wurde den ArbeiterInnen beigebracht, den Produktionsprozess selbst zu optimieren.
Holger: Man kam sich manchmal vor wie im Kindergarten. Wir haben Autos zusammengebaut, aus so kleinen Lego-Bausteinen! Die Aufgabe war: „Ihr müsst mit sechs Mann zwölf Autos in einer gewissen Zeit machen. Jetzt überlegt mal, wie der Ablauf sein muss, damit ihr das erreicht.“ Wir haben gewaltige Produktivitätsfortschritte gemacht! Am Anfang haben wir geteilt: 18 Teile durch sechs sind drei. Der erste hat für seine Teile so lange gebraucht, dass der zweite minutenlang gar nichts zu tun hatte. Dann hat man gesagt: „Der macht vielleicht nur ein Teil, und ein anderer macht dafür vier, weil das leichte Teile waren.“ Wir waren nachher sogar schneller, als die Zeit, die die wollten! Die haben nie gesagt: „Du musst das so oder so machen. „ Aber es kam immer das raus, was die wollten. Die haben einen spielerisch da hingebracht. Die haben die Leute dazu gebracht, selber ihre Arbeit in Frage zu stellen: „Die haben ja recht! Wir müssen wirklich mal anfangen, unsere Arbeitsabläufe zu überprüfen.“
Uwe: Die große Überschrift war immer: „Wir wollen euch die Arbeit erleichtern, dass ihr nicht mehr so schwer arbeiten müsst.“ Der Streik hätte eigentlich schon wesentlich früher anfangen müssen, denn von 2002 bis 2005 ist es zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung gekommen. Sie haben Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent erreicht.
Holger: Am Anfang haben alle gedacht: „So schlimm kann das ja nicht werden. Wenn ich mich nicht so oft bücken muss, dann hat das ja auch Vorteile.“ Nach einer Zeit, wenn man genau geguckt hat, sah man schon, worauf das hinauslief. Aber verkauft haben die das gut, das muss man ihnen lassen. Die Analysierer von McKinsey haben mehrere Monate lang im Betrieb Wege vermessen, Zeiten gestoppt und verschiedene Anordnungen ausprobiert. Die zu produzierenden Tabletts und Schubladen wurden fotografiert und als Standard aufgehängt, versehen mit den jeweiligen Richtzeiten.
Anna: Gate Gourmet wollte, dass nach dieser Umstrukturierung jeder überall einsetzbar ist. Die haben versucht, die Arbeit für jeden so leicht wie möglich zu beschreiben. Das sollten also leicht ersetzbare Tätigkeiten werden.
Holger: Man war von Seiten von McKinsey von Anfang an bestrebt, die Arbeitsprozesse zu zerlegen, um irgendwann auf den Fahrer, der früher mal alles gehandhabt hat, nicht mehr angewiesen zu sein. Heute sind die Arbeitsprozesse so klein und übersichtlich, und so gut plakativ gestaltet, dass sie jeder machen kann, auch die Fremdarbeiter, ohne große Einarbeitungszeit. Der Fahrer konnte früher tausend Dinge gleichzeitig. Nur, das war niemandem zu vermitteln, vor allem war das keinem zu vermitteln, der das für fünf Euro die Stunde macht.
Die Richtzeiten waren kaum zu schaffen, da sämtliche Nebentätigkeiten – wie z.B. Müll wegräumen – in diesen Hochrechnungen unberücksichtigt blieben. Arbeiterinnen aus der Produktion, die die vorgegebenen Zeiten nicht schafften, bekamen Abmahnungen. Trotz guter Worte und Repression lief die Rationalisierung in der Produktion nicht reibungslos. McKinsey wollte das Band abschaffen und an Einzeltischen produzieren lassen. Diese Vereinzelung haben die ArbeiterInnen verhindert.
Clara: Du kannst nicht jeden Tag im selben Tempo arbeiten. Am Band ist es ja so, dass jeder teilt. Manchmal gehe ich an die leichten Teile, manchmal an die schweren Teile, und man hilft sich gegenseitig. Aber so musst du alles selber ranschleppen. Wenn das Band aufgebaut wird, dann holt jeder eine Sache, und in sieben, acht Minuten ist ein Flieger fertig. Und das dauert am Tisch, von einer Person. Vielleicht konnten wir das nicht machen oder vielleicht wollten wir das nicht machen, ich weiß es nicht – das hat bei uns drei oder vier Stunden gedauert, bis wir eine Maschine fertig hatten.
Anna: Deren Ziel war eigentlich, dass nur ein Auffüller da ist, nur eine durfte rennen, und die anderen sollten an den Tischen stehen und arbeiten. Das war eigentlich deren Ziel, aber das ist nicht machbar gewesen. Wenn nur eine holt, und das acht bis zehn Stunden am Tag, dann ist das wirklich schwere körperliche Tätigkeit. Wir haben immer nur dagegen gekämpft und haben gesagt: „Das geht nicht, das geht nicht.“
Clara: Wir haben das nicht geschafft, dann sollten wir zwei Stunden, fünf Stunden länger arbeiten, das haben wir nicht mitgemacht. Wir haben alles stehen lassen und sind nach Hause gegangen. Die haben das Band wieder eingeführt, weil sie gesehen haben, dass die Maschinen nicht mehr rausgingen.
Beruf: Streikerin!
Im Februar 2005 kam es im Betriebsrat zu einer Diskussion über die Auswirkungen der Arbeit. Die Befragung unter den Betriebsräten ergab, dass sich das gesamte soziale und kulturelle Leben nur noch am Dienstplan bzw. am Flugplan der LTU orientierte und dass es keinerlei Freiräume mehr gab, die das Leben lebenswert machen. Nach dem Aushang dieser Ergebnisse machten in der folgenden Belegschaftsversammlung KollegInnen massiv ihrem Ärger über die Situation Luft.
Holger: Spätestens im März oder April war bei uns abzusehen, dass die Leute nicht mehr bereit waren, das weiter mitzumachen. Die waren vor allem psychisch fertig, nicht nur physisch. Da ging gar nichts mehr.
Drei Monate vor Streikbeginn wurde der unternehmerlastige Betriebsratsvorsitzende, der heute Streikbrecher ist, abgewählt, und Halil wurde zum Betriebsratsvorsitzenden.
Bella: Wir hatten vorher überhaupt keine Infos vom Betriebsrat. Da war jeden Mittwoch Betriebsratssitzung. Wir haben immer gefragt, was gelaufen ist. „Immer dasselbe“, hieß es dann nur. Aber wenn Halil in die Küche gekommen ist, der arbeitet ja auch, der muss ja die Essen holen, dann hat er immer gefragt: „Mädels, geht‘s euch gut, oder habt ihr Probleme, dann sagt es mir.“ Nachher gab es Druck von oben: „Was will der schon wieder hier. Was sagt der?“ Denn er hat immer türkisch geredet.
Halil: Unser Streik hat schon lange in den Köpfen geschwebt, bevor er offiziell angefangen hat. Es fehlte nur noch der Tropfen, damit das Fass überläuft. Jetzt reisen wir überall in Deutschland rum, und diese Veranstaltungen sind äußerst erfolgreich. Jeder fragt was, jeder erzählt Probleme, und immer wieder taucht die Frage auf, wie wir am besten die Angst verlieren können. Wir erzählen das so: Angst hilft uns nicht mehr, das ist schon lange vorbei. Wie lange soll ich um meinen Arbeitsplatz Angst haben? Wenn ich gesundheitlich pleite bin und familiär, wenn ich sozial ausgegrenzt bin, was nützt mir da mein Arbeitsplatz? Wir leben seit so vielen Jahren in diesem asozialen Zustand. Wir haben kein Vereinsleben mehr, wir haben kein vernünftiges Familienleben mehr, wir haben überhaupt keine Bekannten mehr. Durch diese verschiedenen Schichten erleben wir das soziale Abseits. Das ist das Problem, warum die Leute gesagt haben: Noch mehr ist nicht drin. Wir haben sämtliche Grenzen schon lange überschritten. Aus diesem Grund sind wir rausgegangen. Letztens hat mal eine Kollegin bei einer Veranstaltung der NGG gefragt: „Ich kann euch nicht verstehen, wie lange wollt ihr denn noch?“ Ich habe gesagt: „Bis ich meinem Sohn erklärt habe, dass er demnächst 60 Stunden arbeiten muss, wenn er mich nicht unterstützt.“ Denn das geht in diese Richtung.
Holger: Wir werden den Betrieb nicht betreten, bevor wir nicht einen günstigen Manteltarifvertrag haben. Ich weiß, was uns blüht, und das wissen wir alle, wenn wir ohne Tarifvertrag da reingehen. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Nach drei Wochen sind zwei Streikende wieder reingegangen. Seitdem – und das ist jetzt über vier Monate her – ist kein einziger mehr reingegangen. Da geht auch keiner mehr rein. Texas Pacific und Gate Gourmet haben keinen Hehl daraus gemacht, dass die Senkung der Personalkosten weltweit stattfinden wird. Die betrifft nicht nur uns. Wir sind nur die ersten, die dran sind. Das ist auch ein Grund, warum ich sage: „Notfalls stehe ich da auch noch ein Jahr, wenn das sein muss. Damit habe ich dann wenigstens erreicht, dass sie die Senkungen auf anderen Stationen auch nicht durchkriegen.“
Bella: Arbeiten oder Streiken? Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser – aber vom Arbeiten her: Streiken! Da kannst du ein bisschen reden und so. In der Firma kannst du überhaupt nicht reden. Wenn da ein lauterer Ton ist, dann heißt es gleich wieder: „Was ist da unten los?“
Anna: Die haben das geschafft, dass wir zusammengeschmolzen sind. Wir sind alle mittlerweile dicke Freunde geworden. Man kann mit jedem Spaß machen. Ich glaube schon, dass der Zusammenhalt zumindest eine Zeit lang anhalten wird. Ich glaube nicht, dass das für die Ewigkeit so bleiben wird, aber auf jeden Fall eine Zeit lang, mit Sicherheit. Wenn mich jemand fragt, was ich von Beruf bin, dann sag ich schon: Berufsstreikerin! Die Texas Pacific hat mich dazu gemacht. Ich bin Dauerstreikerin – wir kommen bald ins Guinnessbuch der Rekorde. Ich hab so was noch nie gemacht, aber irgendwann ist immer das erste Mal. Ich bin auf den Geschmack gekommen.